Reformirte Kirche

[648] Reformirte Kirche (die) ist die Schwesterkirche der evangelisch-protestantischen und wurde, wie diese durch die Reformation Luther's in Deutschland, durch die Reformation Zwingli's (s.d.) in der Schweiz gegründet. Dieselbe begann unter fast gleichen Verhältnissen wie in Deutschland als ein Kampf gegen kirchliche Misbräuche und röm. Willkür, nahm aber bei der weniger aus tiefer Glaubensfülle als klarer wissenschaftlicher Erkenntniß hervorgegangenen Wirksamkeit Zwingli's und dem Einflusse des bürgerlichen Freiheitsgeistes auf dieselbe, einen raschern und gewaltsamern Gang und erhielt dadurch auch eine nach innen verschiedenere Gestaltung. Nachdem zuerst Zwingli, seitdem er den Pfarrdienst am großen Münster zu Zürich verwaltete (1519), gegen den Unfug des Ablaßkrämers Bernhardin Samson, eines Franziskaners aus Mailand, dessen Sündentaxe noch wohlfeiler war als die Tezel'sche, geeifert und das Verderben der Kirche und die Nothwendigkeit einer Verbesserung derselben zur Überzeugung gebracht hatte, befahl schon 1520 der Rath zu Zürich den Predigern, das Wort Gottes rein nach der h. Schrift zu lehren und von allen Menschensatzungen zu schweigen. In einem Religionsgespräche, welches hierauf der Rath von Zürich, damit die Wahrheit offenbar werde, zwischen Zwingli und dessen Gegnern 1523 veranstaltete, vertheidigte dieser siegreich 67 Sätze gegen die ganze Aeußerlichkeit des katholischen Kirchenwesens. Kräftiger schritt nun Zwingli auf der einmal betretenen Bahn fort und durch Luther's eifrig in der Schweiz gelesene Schriften unterstützt, fand er in den meisten Schweizerstädten Theilnahme und Nachahmung. Zwingli's Amtsgenosse, Leo Judä, übertrug 1525 Luther's Übersetzung des N. T. in Schweizer-Deutsch und Meinung, das A. T. übersetzte er aus dem Grundtexte, und noch in demselben Jahre wurde zu Zürich die Messe abgeschafft und der neue Gottesdienst eingeführt. Die Landesgemeinde im Canton Appenzell Außer-Rhoden beschloß 1524, daß allen Predigern, welche lehrten, was sich nicht aus der h. Schrift erweisen lasse, Brot, Mus und Schutz genommen sein solle. In Basel brachte 1526 Öcolampadius (Hausschein), des Erasmus gelehrter Freund und durch Luther's Schriften zum Reformator gebildet, und in Bern Berchthold Haller 1528 die Reformation zur Entscheidung. Auf ähnliche Weise erklärten sich Schaffhausen, Glarus und Solothurn dafür. Mit der Messe und den ältern Ceremonien verwarf man in der Schweiz aufs entschiedenste auch allen Bildergebrauch in der Kirche (in Basel wurden auf einmal zwölf Scheiterhaufen von heiligen Bildern errichtet und verbrannt); ja der Haß gegen die bisherige gottesdienstliche Einrichtung fand nur in der äußersten Entfernung von derselben seine Grenze; selbst Orgelklang und Glockengeläute mußten weichen. Wo die Reformation einmal siegte, wurde die widerstrebende Partei durch den Volkswillen hart bezwungen. Die Päpste konnten den Sturm um so weniger aufhalten, je mehr sie selbst der Schweizer im Kriege bedurften und je weniger auch gegen den Volkswillen einer Republik sich etwas ausrichten ließ; sie suchten deshalb nur geheim und durch Aufregung der treugebliebenen Cantone zu wirken. Daher vereinigten sich 1524 die Eidgenossen in den Gebirgscantonen, unter dem Einflusse der Geistlichen und Mönche, auf einer Tagsatzung zu Luzern zum Schutze des altväterlichen Glaubens; doch unterblieb der Ausbruch der Feindseligkeiten noch so lange, als mehre zwischen beiden Parteien angestellte Religionsgespräche die Aussicht zu einer friedlichen Ausgleichung darboten. Unterdeß war [648] Zwingli dadurch, daß er im Abendmahlsstreite zwischen Luther und Karlstadt (s.d.) für Letztern Partei genommen, mit Luther in Berührung gekommen. Der Streit wurde seit 1526 zu einem persönlichen Kampfe beider Reformatoren an der Spitze ihrer Parteien und zu Zwingli hielten auch die oberdeutschen Reichsstädte. Nach dessen Meinung war Christus im Abendmahl blos in der Erinnerung gegenwärtig, wogegen Luther die wirkliche Gegenwart des Leibes Christi, kraft seiner unzertrennlichen Verbindung mit einer göttlichen Person, behauptete und zwar um so entschiedener, je mehr er in der Meinung Zwingli's eine offenbare Hinneigung, die Offenbarung als Gegenstand endlich verständiger Erkenntniß zu behandeln, erkannte. Das Religionsgespräch zu Marburg 1529, das beide Reformatoren vereinigen sollte, blieb, so sehr auch Landgraf Philipp die Aussöhnung wegen der gemeinsamen, ein festes Zusammenhalten fodernden Gefahr betrieb, in seinem Zwecke unerreicht und Luther und Zwingli trennten sie nun noch mehr. Unterdeß hatte die Stellung der katholischen Cantone in der Schweiz zu den evangelischen einen immer feindseligern Charakter angenommen. Als mit dem Religionsgespräch zu Bern 1528, dem auch Zwingli beiwohnte, jede Aussicht einer friedlichen Ausgleichung verschwand, schlossen Schwyz, Uri, Unterwalden, Zug und Luzern zur Unterdrückung der Evangelischen ein Bündniß, an welchem auch Herzog Ferdinand von Östreich, Bruder des deutschen Kaisers Karl V., Theil nahm, und einzelne Hinrichtungen bewiesen den Ernst ihrer Absichten. Die reformirten Cantone verboten nun gegen Zwingli's Rath die Zufuhr und den Handel ins Gebirge, worauf es 1531 zum Kriege und zur Schlacht bei Cappel kam (11. Oct.), in der die Züricher, verlassen von den andern Evangelischen, allein gegen die viel zahlreichern Katholiken fochten und durch Verrath besiegt wurden. Zwingli selbst endete auf dem Schlachtfelde, aber seine Schüler und Freunde übernahmen die Leitung und Fortbildung der neuen Kirche, bis dieselbe in Calvin (s.d.) seit 1536 einen einflußreichen und mächtigen Vertreter fand, durch welchen Genf zum Hauptsitz der schweizerischen Reformation erhoben wurde. Obgleich nun unter Calvin dieselbe an äußerm Umfang gewann und sein überwiegendes Ansehen zur Bildung der Kirchengemeinschaft unter den reformirten Gemeinden kräftig wirkte, so war doch einerseits die Verschiedenheit des Standpunktes, den er als Reformator zu Zwingli einnahm, sowie andererseits die an sich freiere und von einer mächtig wirkenden Persönlichkeit weniger bestimmte Entwickelung der schweizerischen Reformation der Grund zu Verschiedenheiten und Abweichungen innerhalb derselben, sodaß der Begriff reformirte Kirche ein sehr schwankender und unbestimmter ist. Es zeigt sich dies besonders in dem Mangel eines gemeinschaftlichen Glaubensbekenntnisses, deren zwar die reformirte Kirche eine sehr große Anzahl besitzt, die aber immer nur für einen Theil derselben Ansehen und Geltung haben. Außer der Schweiz wurde der reformirte Lehrbegriff, obwol nicht ohne die vorerwähnten Abweichungen, in Frankreich, wo die Anhänger desselben den Namen Hugenotten führten und bis zum Edict von Nantes 1598 in der äußersten religiösen und bürgerlichen Bedrückung sich befanden, in den Niederlanden, in England, Schottland und zwei früher lutherisch gesinnten Ländern, der Pfalz (Baden) und Brandenburg, angenommen. In den Niederlanden erzeugte zu Anfang des 17. Jahrh. die strenge Lehre Calvin's von der unbedingten Gnadenwahl (s. Prädestination) unter den Reformirten eine Spaltung, durch welche die Arminianer (s.d.) als eine Partei der reformirten Kirche hervorgerufen wurden. Die öffentliche Anerkennung erhielt die reformirte Kirche als eine der augsburgischen Confession verwandte kirchliche Partei erst später im westfäl. Frieden 1648, während sie früher als solche neben der lutherischen Kirche nur geduldet worden war. Wie die Reformation überall, wo sie Eingang fand, das geistige Leben weckte, so wurde dasselbe auch in der aus ihrem Schoose hervorgegangenen reformirten Kirche in einem hohen Grade zur Herrschaft gebracht, ja sie behauptete selbst durch die größere Anzahl tiefer und gründlicher Gelehrten, die sie in allen Fächern der Wissenschaft aufzuweisen hatte, im 17. Jahrh. eine Zeit lang das Übergewicht vor der lutherischen Kirche. Wenn aber beide Kirchen, ungeachtet sie nur die h. Schrift als den Grund des Glaubens und der Lehre betrachten, in ihrem Unterschied beharrten, der bei der reformirten Kirche außer der Lehre vom Abendmahl und der Prädestination noch in der größern Einfachheit der kirchlichen Einrichtungen und der von Synoden abhängigen Kirchenverfassung hervortritt, so hat man dagegen in neuerer Zeit beide Kirchen einander zu nähern und, wie in Preußen, zu einer evangelisch-protestantischen Kirche zu vereinigen gesucht.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 648-649.
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