Oxenstierna [1]

[273] Oxenstierna (spr. -schérna), altes schwed. Adelsgeschlecht mit vielen namhaften Mitgliedern, wurde 1561 in den Freiherren-, 1645 (bez. 1651) in den Grafenstand erhoben. Erwähnt seien:

1) Axel, Graf, schwed. Staatsmann, geb. 26. Juni 1583 auf Fånö (Upland), gest. 7. Sept. 1654 in Stockholm, wurde, nachdem er in Rostock, Jena und Wittenberg studiert hatte, 1603 Kammerjunker bei Karl IX. und ging 1606 als Gesandter nach Mecklenburg. Hierauf Reichsrat und 1611 Mitglied der Vormundschaftsregierung, wurde er von Gustav Adolf nach dessen Mündigkeitserklärung sofort (Anfang 1612) zum Reichskanzler ernannt und übte seitdem in der innern, bez. äußern Politik als des Königs Berater einen durchgreifenden, zumeist segensreichen Einfluß aus. Er verhandelte untern anderm die Friedensverträge mit Dänemark (1613) und Rußland (1617), begleitete Gustav Adolf wiederholt bei den Feldzügen gegen Polen und entfaltete zugleich eine rege diplomatische, bez. administrative Tätigkeit. Seit Herbst 1626 Generalgouverneur von Preußen, kam er Anfang 1632 nach Frankfurt a. M. und trat hier an die Spitze des Kriegswesens und der Zivilverwaltung in[273] den Rheinlanden. Seit dem Tode Gustav Adolfs leitete er unumschränkt die schwedische Politik in Deutschland, wo er besonders die Zersplitterung der protestantischen Kräfte möglichst zu verhüten suchte, und wurde, wider den Willen des sächsischen Kurfürsten Johann Georg 1., von den Ständen der vier obern Kreise auf dem Heilbronner Konvent (im April 1633) als Leiter der evangelischen Union anerkannt. Gleichzeitig entwarf er für Schweden eine neue VerfassungRegierungsform« von 1634), die für ihre Zeit ein Meisterwerk der Staatskunst war, auf die Dauer aber die Entwickelung einer Adelsoligarchie nicht zu hindern vermochte. 1636 kehrte er nach Schweden zurück, wo er als Haupt der Vormundschaftsregierung für die Königin Christine mit deren Mutter Maria Eleonora bald in ein Zerwürfnis geriet. Er bestimmte die Haltung Schwedens im Westfälischen Friedenskongreß und wurde nach Beendigung des siegreichen Krieges mit Dänemark (1645) von der inzwischen mündig gewordenen Königin in den Grafenstand erhoben, fiel aber später bei ihr in Ungnade und verlor allmählich einen großen Teil seines Einflusses; doch wurde kein wichtiger Beschluß ohne ihn gefaßt. An den auf ihre Abdankung bezüglichen Verhandlungen nahm er keinen Anteil. Ihr Nachfolger Karl X. Gustav schenkte ihm, wie schon in frühern Jahren, sein volles Vertrauen. – O. war nicht nur einer der genialsten Staatsmänner aller Zeiten, sondern hat sich auch um die innere Entwickelung Schwedens unvergängliche Verdienste erworben. Seine Hauptschwächen, übertriebener Adelsstolz und Herrschsucht, zeigten sich erst nach dem Tode Gustav Adolfs, dem er in unwandelbarer Treue zugetan war. 1890 wurde ihm vor dem Stockholmer Ritterhaus ein Denkmal errichtet. Vgl. »A. Oxenstiernas skrifter och brefvexling« (hrsg. von Styffe, Sondén u.a., Stockh. 1888–1905, 14 Bde.); Lundblad, Leben Oxenstiernas (deutsch, Strals. 1827); Struck, Johann Georg und O., November 1632 bis Herbst 1633 (das. 1899); Sondén, Axel O. och hans broder (Stockh. 1903).

2) Johan, Graf, schwed. Staatsmann, Sohn des vorigen, geb. 4. Juli 1611 in Stockholm, gest. 15. Dez. 1657 in Wismar, seit 1639 Reichsrat, ging 1641 nach Deutschland und vertrat Schweden auf dem Westfälischen Friedenskongreß, lebte aber mit seinem Kollegen, dem von der Königin Christine begünstigten Adler-Salvius, im bittersten Streit. 1655 wurde er Legat in Deutschland u. Präsident des Wismarer Tribunals. Vgl. »Bref från Axel O. till Johan O. 1642–1649« (hrsg. von Gjörwell, Stockh. 1810–19, 2 Bde.).

3) Erik, Graf, schwed. Staatsmann, Bruder des vorigen, geb. 23. Febr. 1624 auf Fiholm (Södermanland), gest. 2. Nov. 1656 in Frauenburg (Ostpreußen), wurde 1646 Gouverneur von Esthland, 1651 Reichsrat, 1652 Präsident im Handelskollegium, 1654 Reichsvizekanzler und nach dem Tode seines Vaters (s. oben) dessen Nachfolger in der Reichskanzlerwürde. Seitdem der allmächtige Berater Karl X. Gustavs in der innern und äußern Politik, begleitete er ihn nach Preußen, wo er Ende 1655 auch Generalgouverneur wurde und die wichtigen Verhandlungen mit Brandenburg, bez. Holland leitete. Sein plötzlicher Tod war für Schweden ein Unglück, für die Zukunft Brandenburgs aber von größter Bedeutung. Vgl. Ellen Fries, Erik O., biografisk studie (Stockh. 1889)

4) Bengt, Graf, schwed. Staatsmann, geb. 26. Juli 1623 auf Mörby (Upland), gest. 22. Juli 1702, weilte seit 1648 fast ununterbrochen als Gesandter in Deutschland, wurde Ende 1654 Reichsrat und war während des schwedisch-polnischen Krieges (1655–60) teils als Gouverneur in Polen, teils in diplomatischen Aufträgen tätig. 1662 wurde er Generalgouverneur von Livland, 1666 Präsident des Wismarer Tribunals. An den Friedensverhandlungen zu Nimwegen hervorragend beteiligt, übernahm er 1680, nach dem Tode Gyllenstiernas (s. d.), als Kanzleipräsident die Leitung der auswärtigen Politik, was eine Annäherung Schwedens an die antifranzösische Koalition und auch sonst einen völligen politischen Systemwechsel zur Folge hatte. Seine wichtigsten diplomatischen Errungenschaften waren der Haager Garantievertrag von 1681 und der Altonaer Vergleich von 1689, wodurch der Herzog von Holstein in seine Rechte wieder eingesetzt wurde. Seit 1697 Mitglied der Vormundschaftsregierung, verlor er nach der Mündigkeitserklärung Karls XII. fast allen Einfluß auf die auswärtigen Angelegenheiten.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 273-274.
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