Waldpflanzen

[333] Waldpflanzen, Gewächse, die als Bäume in mehr oder weniger einheitlichen Beständen (Waldformationen) auftreten, oder in deren Schutz eine aus Sträuchern, Stauden und Kräutern bestehende tiefere Vegetationsschicht bilden. Nach den Polen zu finden die Wälder ihren Abschluß in der Baumgrenze, die auf der nördlichen Halbkugel in ihrem Verlauf ungefähr mit der Juliisotherme von 10° übereinstimmt. Über letztere hinaus dringen in das Gebiet der arktischen Flora nur noch strauchige Holzpflanzen, wie Juniperus nana, Betula nana, Zwergweiden u. a., vor. Auf der südlichen Halbkugel, im äußersten Süden des amerikanischen Kontinents, gehen bei etwa 46° südl. Br. die vorwiegend immergrünen Gehölze allmählich in Buschformen über. Die baumlose Nord- und Südzone der Erde entspricht im allgemeinen dem »polaren« Gürtel Köppens, in dem das ganze Jahr hindurch niedrige Temperaturen (unter 10°) herrschen und die Vegetationszeit weniger als drei Monate umfaßt. Nach den Wendekreisen beschränken Niederschlagsmangel und Dürrhitze auf weitgedehnten Steppen und Wüsten als Schranken das Baumleben. Die Wälder nehmen auf beiden Erdhalbkugeln außerhalb der Tropenzone einen streifenförmigen Gürtel ein, der ihnen zwischen der Glazialregion sowie der Grasland- und Wüstenzone (s. Steppenflora und Wüstenpflanzen) frei bleibt. In Nordamerika trennt das Präriengebiet (nebst der Mohaveküste in Kalifornien, der Salzsteppe des Großen Beckens im Felsengebirge u. a.) die Baumzone in zwei Hauptabschnitte, die als pazifischer und atlantischer Wald unterschieden werden.

Der boreale wie der australe Waldgürtel zerfällt infolge weiterer klimatischer Verschiedenheiten[333] in eine Reihe von Unterabteilungen, die auf der nördlichen Erdhälfte als Gürtel der frostharten Nadelhölzer (s. Nadelholzzone), der sommergrünen Laubbäume (s. Laubholzzone) und der immergrünen, wärmeliebenden Gehölze (s. Immergrüne Gehölze) sich gegeneinander absetzen. Auf der südlichen Halbkugel fehlt eine deutlich entwickelte Zone von laubabwerfenden Bäumen, dort herrschen immergrüne Holzpflanzen fast ausschließlich vor.

Die Formationsglieder der immergrünen Gehölze, der sommergrünen Laubbäume und der frostharten Nadelhölzer begegnen uns in gleicher Reihenfolge wie beim Fortschreiten von südlichen Breiten zu nördlichen auch beim vertikalen Aufsteigen in Hochgebirgen als ebenso viele übereinander liegende Regionen. Naturgemäß zeigt sich am Gebirgsfuß nur diejenige Waldformation entwickelt, die dem Klima des umgebenden Gebietes entspricht. In den mittel- und südeuropäischen Gebirgen erreichen im Mittel die immergrünen Gehölze, einschließlich Castanea, 800–900 m, die Laubbäume 800 m (Sudeten) bis 1800 m (Pyrenäen), die Nadelhölzer 1200 m (Sudeten) bis 2400 m (Pyrenäen). Die über dem Nadelholzwald sich ausbreitende, meist aus Pinus montana bestehende Knieholzregion steigt in den Pyrenäen und Alpen bis 2400 m, in den Sudeten bis 1400 m auf.

Während der atlantisch-amerikanische Wald 66 Baumgattungen mit 155 Arten und der ostasiatische etwa ebensoviel Gattungen mit 168 Arten besitzt, finden sich im europäischen nur 33 Gattungen mit 85 Arten. In Nordamerika hat der atlantische Wald eine größere Zahl von Gattungen vor dem pazifischen voraus. Letzterer beschränkt sich in Kalifornien vorzugsweise auf die Linien der Küstenkette mit Sequoia sempervirens und der Sierra Nevada mit Sequoia gigantea. Dem europäischen Walde fehlen eine große Zahl von atlantisch-nordamerikanischen Typen, wie Magnolia, Liriodendron, Asimina, Negundo, Gleditschia, Robinia, Nyssa, Liquidambar u. a., dagegen zeigt sich eine auffallende Verwandtschaft zwischen der atlantischen und der ostasiatischen Waldflora. Zur Erklärung dieser Tatsache dienen die Verbreitungsverhältnisse der W. in der jüngern Tertiärzeit. Zur Miocänzeit waren die meisten der genannten Gattungen auch im heutigen Europa mit zum Teil jetzt noch lebenden Arten (wie z. B. Taxodium distichum) verbreitet. Während der Eiszeit verschwanden die atlantischen Formen aus Europa, indem sie zwischen zwei baumfeindliche Gletschergebiete, einem nördlichen, von Skandinavien ausstrahlenden, und einem alpinen, von den Pyrenäen bis zum Kaukasus reichenden, eingeschlossen wurden und nach ihrem infolge des Klimawechsels eingetretenen Absterben auch beim Wiedererwachen eines mildern Klimas ihre alten Standorte nicht wieder zu erobern vermochten. In Nordamerika dagegen stellten die vorwiegend von N. nach S. verlaufenden Gebirgszüge während der bis etwa 40° nördl. Br. südwärts reichenden Vergletscherung der zurückweichenden atlantischen Waldflora kein wesentliches Hindernis in den Weg; sie hat sich daher hier viel reichlicher erhalten können als in Europa. Für einen Teil der Waldflora in gemäßigtem Klima ist ein arktotertiärer Ursprung als sicher anzunehmen. Die Reste der südlichen Tertiärflora haben sich nur im Mittelmeergebiet, in Japan, im Himalaja und in Nordamerika erhalten.

Der am Äquator gelegene, beiderseits von einer Grasland- und Wüstenzone begrenzte Erdgürtel beherbergt den Tropenwald (s. d.). Über die geographische Verbreitung der W. vgl. die Karte zum Artikel »Pflanzengeographie«, welche die Zonen der Nadelhölzer, der laubabwerfenden Bäume, der immergrünen Gehölze (Buschpflanzen) und des tropischen Urwaldes zur Anschauung bringt.

Die zweite Hauptgruppe der W., die Gewächse des vom Walde beschatteten Untergrundes, gliedert sich in die Formation des Unterholzes und die der Waldbodendecke. Im mitteleuropäischen Wald wird erstere durch eine Reihe von Gebüsch- u. Strauchformen, wie Juniperus, Crataegus, Lonicera, Sambucus, Rhamnus, Evonymus, Rubus, Rosa, Calluna, Vaccinium u. a., vertreten. Die den Waldboden bedeckende Flora ist von der Beschattung und von der Beschaffenheit des Bodens abhängig. Dicht geschlossene, dunkle, mit einer mehr oder weniger mächtigen Schicht vermoderter Pflanzenteile ausgestattete Wälder entwickeln bei uns und in noch größerm Maßstab in den Tropen eine Reihe von Humuspflanzen (s. d.). Die Waldhumusschicht ermöglicht ferner die Vegetation von Wurzelpilzen (s. Mycorrhiza), die für die Ernährung einer größern Zahl von W. von besonderer Bedeutung zu sein scheinen und diesen den Stickstoffgehalt der Humusbestandteile erschließen. Die Mannigfaltigkeit in der Mischung der Waldgrundflora ist so groß, daß es selbst innerhalb des genauer durchforschten mitteleuropäischen Florengebietes schwer ist, die Haupttypen dieser Flora gegeneinander abzugrenzen. Einen Hauptgegensatz bildet die Vegetation der Niederungswälder in der Ebene und der Hügelregion und die der Bergwälder im Mittel- und Hochgebirge; erstere entwickeln sich auf dauernd versumpftem Boden als Bruchwälder mit Erlen, Sumpfbirken und im Untergrunde mit Riedgräsern und Sumpfstanden, ferner in nur periodisch überfluteten Talniederungen als Auenwälder mit gemischten Laubholz beständen, im trockenern Hügelland als Mischwälder oder bei Vorherrschen der Strauchvegetation als Vorhölzer (Haine), auf dem Sandboden der baltischen Niederung vorzugsweise als Kiefernwälder oder auf stark humösem Untergrund von der Ostsee bis zu der untern Region der Mittelgebirge und der Kalkalpen als geschlossene Buchenhochwälder. In der untern Bergregion erscheinen Fichtenmengwälder mit vorherrschender Fichte und beigemengten Laubhölzern oder einheitliche Tannenwälder mit der Edeltanne (Abies pectinata), die im deutschen Mittelgebirge bei 51–52° eine Nordgrenze erreicht. Oberhalb dieser Region folgen (zwischen 800 und 1000 m) ausschließlich von der Fichte gebildete Nadelholzwälder (obere Fichtenwälder), die im Hochgebirge im Verein mit Lärchen und Zirbelkiefern die obersten Waldbestände (zwischen 1500 und 1900 m) bilden. In allen diesen Formationsabschnitten zeigt auch die waldbegleitende Untergrundflora eigenartige, in der floristischen Zusammensetzung der Vegetationsdecke zum Ausdruck kommende Züge. Die des Baumschutzes durch Abholzung oder andre Ursachen entkleideten Waldblößen pflegen eine charakteristische Adventivflora (häufig mit Epilobium angustifolium, Senecio silvaticus und Jacobaea, Cirsium lanceolatum u. a.) zu entwickeln. wobei entweder der Wind die mit Flugapparaten versehenen Samen und Früchte herbeiführt, oder schon längere Zeit im Boden liegende (ruhende) Samen bei veränderten Bodenverhältnissen zur Keimung gelangen. Auch in Nordamerika tritt nach dem Abbrennen der Wälder mit größter Regelmäßigkeit als »fire weed« zuerst eine Epilobium-[334] Art (E. spicatum) aus. Vgl. Asa Gray, Forest geography and archaeology (in Sillimans »American Journal«, Bd. 16); Borggreve, Die Verbreitung und wirtschaftliche Bedeutung der wichtigern Waldbaumarten innerhalb Deutschlands (Stuttg. 1889); Drude, Handbuch der Pflanzengeographie (das. 1890) und Deutschlands Pflanzengeographie (das. 1896, Bd. 1); Warming, Lehrbuch der ökologischen Pflanzengeographie (2. Aufl. von Graebner, Berl. 1902); Köppen, Geographische Verbreitung der Holzgewächse des europäischen Rußlands und des Kaukasus (Petersb. 1888–89, 2 Tle.); Mayr, Die Waldungen von Nordamerika (Münch. 1890) und Fremdländische Wald- und Parkbäume für Europa (Berl. 1906); Büsgen, Bau und Leben unsrer Waldbäume (Jena 1897); Sargent, Catalogue of the forest-trees of North America (Washingt. 1880).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 333-335.
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333 | 334 | 335
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