Biedermann

[831] Biedermann, 1) Karl, Publizist und Historiker, geb. 25. Sept. 1812 in Leipzig, gest. daselbst 5. März 1901, studierte Philologie und Staatswissenschaft, habilitierte sich 1835 in Leipzig und wurde 1838 außerordentlicher Professor. In den von ihm herausgegebenen Zeitschriften. »Deutsche Monatsschrift für Literatur und öffentliches Leben« (1842–45), der Vierteljahrsschrift »Unsre Gegenwart und Zukunft« (1846–1848)und der Wochenschrift »Der Herold« (1844–47) kämpfte er maßvoll für nationalen Fortschritt und den Anschluß der Kleinstaaten an Preußen. 1848 als Vertreter Leipzigs ins Frankfurter Vorparlament, darauf in die Nationalversammlung gewählt, war er Schriftführer im Fünfzigerausschuß und im Parlament selbst, ward erster Vizepräsident und ging mit der Kaiserdeputation nach Berlin. Nach Sachsen zurückgekehrt, vertrat er auch als Mitglied der sächsischen Zweiten Kammer 1849–50 die deutsche Unionspolitik gegen die partikularistischen Bestrebungen Beusts und bekämpfte nach Auflösung der Kammern die Wiedereinberufung der alten Stände, verlor 1853 seine Professur und siedelte nach Weimar über, wo er die »Weimarische Zeitung« redigierte. 1863 nach Leipzig zurückgekehrt, leitete er hier (bis 1879) die Redaktion der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« und erhielt auch 1865 seine Professur wieder. 1869–76 war er wieder nationalliberales Mitglied der sächsischen Zweiten Kammer und 1871–74 des deutschen Reichstags. Von Biedermanns zahlreichen Schriften sind anzuführen: »Die deutsche Philosophie von Kant bis auf unsre Tage« (Leipz. 1842–43, 2 Bde.); »Erinnerungen aus der Paulskirche« (das. 1849); »Die Erziehung zur Arbeit« (das. 1852, 2. Aufl. 1883); das kulturgeschichtliche Werk »Deutschland im 18. Jahrhundert« (das. 1854–80, 2 Bde. in 4 Tln.; Bd. 1 u. 2,1. Abt., 2. Aufl. 1880); »Frauenbrevier«, kulturgeschichtliche Vorlesungen (das. 1856, 2. Aufl. 1881); »Friedrich d. Gr. und sein Verhältnis zur Entwickelung des deutschen Geisteslebens« (Braunschw. 1859); »Deutschlands trübste Zeit, oder der Dreißigjährige Krieg in seinen Folgen für das deutsche Kulturleben« (Berl. 1862); »Dreißig Jahre deutscher Geschichte«, 1840–1870 (das. 1880, 2 Bde.; 2. Aufl. 1883) und »1815 bis 1840. 25 Jahre deutscher Geschichte« (das. 1889–1890, 2 Bde.), beide Werke in neuer Ausgabe u. d. T. »Geschichte Deutschlands etc., 1815–1871« (1891, 2 Tle. in 4 Bdn.); »Mein Leben und ein Stück Zeitgeschichte 1812–1886« (das. 1886, 2 Bde.); »Fünfzig Jahre im Dienste des nationalen Gedankens«, Aufsätze und Reden (das. 1892); »Zeit- und Lebensfragen aus dem Gebiete der Moral« (Bresl. 1899); »Vorlesungen über Sozialismus und Sozialpolitik« (das. 1900); »Deutsche Volks- und Kulturgeschichte für Schule und Haus« (4. Aufl., Wiesbad. 1901); »Geschichte der Leipziger Kramer-Innung 1477–1880« (Leipz. 1881). Auch gab er H. v. Kleists »Briefe an seine Braut« (Bresl. 1884) heraus und verfaßte die vaterländischen Dramen: »Kaiser Heinrich IV.« (Weim. 1861), »Kaiser Otto III.« (Leipz. 1862) und »Der letzte Bürgermeister von Straßburg« (das. 1870).

2) Gustav, philosoph. Schriftsteller, geb. 1815 zu Böhmisch-Aicha in Böhmen, studierte zu Prag Medizin und lebt als praktischer Arzt in Bodenbach. Er ist in seiner Erstlingsschrift: »Die spekulative Idee in Humboldts. Kosmos'« (Prag 1849), als Anhänger Hegels aufgetreten, dessen dialektische Methode er beibehalten, dessen System er jedoch in seinem Hauptwerk: »Philosophie als Begriffswissenschaft« (das. 1877–90, 5 Tle.), in der Weise abgeändert hat, daß an die Stelle der ursprünglichen Trias: Idee, Natur, Geist, die neue: Geist, Natur, Leben, zu setzen sei. Noch schrieb er: »Die Wissenschaftslehre« (Leipz. 1856–60, 3 Tle.); »Die Wissenschaft des Geistes« (3. Aufl., Prag 1870); »Die Naturphilosophie« (das. 1875); »System der Philosophie« (das. 1836–89, 3 Tle.) u. a.

3) Woldemar, Freiherr von, Goetheforscher, geb. 5. März 1817 in Marienberg, studierte in Leipzig und Heidelberg die Rechte, trat in den sächsischen Staatsdienst (Eisenbahn- und Finanzverwaltung) und lebt als Geheimrat in Dresden. Er veröffentlichte: »Goethe und Leipzig« (Leipz. 1865, 2 Bde.); »Zu Goethes Gedichten« (das. 1870); »Goethe und Dresden« (das. 1875); »Goethe und das sächsische Erzgebürge« (Stuttg. 1877); »Goethe-Forschungen« (Frankf. a. M. 1879; neue Folge, Leipz. 1886; anderweite Folge, das. 1899). Auch gab er »Goethes Briefe an Eichstädt« (Leipz. 1872), Teile der Hempelschen sowie der Weimarischen Goethe-Ausgabe und »Goethes Gespräche« (das. 1889–96, 10 Bde.) heraus und versuchte in dem Trauerspiel »Elpenor« (das. 1900) Goethes Fragment zu ergänzen.

4) Aloys Emanuel, prot. Theolog, geb. 2. März 1819 zu Oberrieden am Züricher See, seit 1843 Pfarrer zu Münchenstein bei Basel, 1850 außerordentlicher, 1864 ordentlicher Professor in Zürich, wo er 25. Jan. 1885 starb. Außer zahlreichen Aufsätzen in den die fortschrittliche Theologie in der Schweiz vertretenden Zeitschriften (»Die Kirche der Gegenwart«, 1845–50, und »Zeitstimmen«, 1859–71) sowie einer Biographie des Schweizer Theologen Heinrich Lang (Zürich 1876) veröffentlichte er: »Die freie Theologie« (Tübing. 1844); »Leitfaden für den Religionsunterricht an höhern Gymnasien« (Zürich 1859) u. a. Am bekanntesten wurde seine »Christliche Dogmatik« (Zürich 1869; 2. Aufl., Berl. 1884–85, 2 Bde.), das klassische Werk der in Hegels Geist über Hegels konservative Tendenzen hinausgeschrittenen spekulativen Richtung innerhalb der heutigen Theologie. »Ausgewählte Vorträge und Aufsätze« von B., mit biographischer Einleitung, gab Kradolfer heraus (Berl. 1885). Vgl. Moosherr, A. E. B. nach seiner allgemein-philosophischen Stellung (Berl. 1893).

5) Wilhelm, Physiolog, geb. 14. Jan. 1854 in Bilin, studierte in Prag, wurde dort 1878 Assistent am Physiologischen Institut der deutschen Universität, habilitierte sich 1880 als Privatdozent, wurde 1885 außerordentlicher Professor, folgte 1888 einem Ruf nach Jena, 1898 nach Würzburg und 1900 nach Heidelberg. Er bevorzugte anfangs elektrophysiologische Untersuchungen, wendete sich dann aber hauptsächlich vergleichend-physiologischen Arbeiten zu und veröffentlichte Beiträge zur allgemeinen Nerven- und Muskelphysiologie (z. T. gemeinsam mit Hering), zur Physiologie der glatten Muskeln, zur vergleichenden Physiologie der Verdauung, ferner Untersuchungen über Bau und Entstehung der Molluskenschalen und über die Bedeutung von Kristallisationsprozessen bei der Bildung der Skelette wirbelloser Tiere. Er schrieb: »Elektrophysiologie« (Jena 1895, 2 Tle.).[831]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 831-832.
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