Eisenbahnwagen

[549] Eisenbahnwagen (hierzu Tafel »Eisenbahnwagen I u. II«) unterscheiden sich von gewöhnlichen Straßenfuhrwerken 1) dadurch, daß die Räder mit ihren Achsen fest verbunden sind, was wegen sichern Laufs, namentlich durch Weichenstränge und bei schneller Fahrt nötig ist; 2) dadurch, daß die Laufflächen der Räder Spurkränze (Fig. 1 a b) besitzen und so deren Zwanglauf auf den Schienen bedingen; 3) dadurch, daß demnach Lenkvorrichtungen fehlen.

Fig. 1. Rad mit Spurkranz.
Fig. 1. Rad mit Spurkranz.

Jeder E. besteht in der Regel aus dem Untergestell (Tafel I, Fig. 1), einem kräftigen Rahmen mit Rädern, Achsbüchsen, Federn, Puffern etc., und dem Oberteil oder Wagenkasten (statt dessen bisweilen auch eiserne Kessel und offene Gestelle).

Die Radreifen sind als Kegelzonen (Fig. 1) gestaltet, zur Verminderung seitlicher Schwankungen, und um die Ungleichheit der Umfangswege beider Räder in Krümmungen durch Verschieben des Wagens nach der Außenseite der Kurve z. T. auszugleichen.

Fig. 2. Speichenrad und Achse.
Fig. 2. Speichenrad und Achse.

Ein Speichenrad (Fig. 2) besteht aus der innern schmied- oder gußeisernen Nabe A, den meist schmiedeeisernen Speichen C und Felgen B und dem aus Puddel-, Bessemer- oder Tiegelgußstahl hergestellten Radreifen D, der warm ausgezogen, durch einen Sprengring befestigt und nach dem Erkalten abgedreht wird.

Scheibenräder zeigen volle Flächen, sie werden aus Gußeisen oder Flußstahl gegossen, auch aus Flußstahl gepreßt oder gewalzt. In England und Amerika werden vielfach Holzscheibenräder (Manselräder) wegen ihres geräuschlosern Ganges verwendet. Die aus den Radnaben A hervorragenden Achsschenkel G der Achsen F (Fig. 2) tragen die neuerdings nach dem Vorbild Amerikas meist einteilig ausgeführten Achsbüchsen, die, am ganzen Umfang abgedichtet, das gewöhnlich dünnflüssige Schmiermittel enthalten und das Auflager für die Federn (Fig. 3) bilden, die kleine lotrechte Schwankungen zulassen.

Fig. 3. Feder.
Fig. 3. Feder.

Da die Bedingungen der Bewegungsfähigkeit für alle E. grundsätzlich dieselben sind, so ist die Übereinstimmung der Untergestelle größer als die der Oberkasten. Die durch Zweck und Gewicht (Tragfähigkeit) eines Wagens bedingte Achsenzahl beträgt 2, 3, 4, 6, selten mehr. Ist der Radstand (richtiger Achsenstand) eines Wagens, d.h. die Entfernung der äußersten Achsen, klein, so werden diese unverrückbar am Wagenuntergestell gelagert; bei großen Radständen (3 und mehr Achsen) muß dagegen zur Verminderung von Klemmungen in den Kurven eine Drehung der Achsenrichtung gegen den langen festen Wagenkasten in gewissem Grade möglich sein. Dies wird erreicht durch die Lagerung des Wagenkastens auf zwei vier- oder sechsräderigen Drehgestellen oder in beschränkterm Maß auch durch Lenkachsen, die ebenfalls eine kleine Verdrehung unter dem Wagen kasten gestatten.

Der jetzt meist aus Eisen hergestellte Rahmen eines zweiachsigen Untergestells (Tafel I, Fig. 1; vgl. auch Tafel II, Fig. 8) besteht in der Hauptsache aus zwei Langschwellen L mit Außenstützen zur Aufnahme[549] der Langträger des Wagenkastenrahmens, zwei Kopfschwellen (Pufferbohlen Q) sowie Quer- und Diagonalträgern zur Verstrebung und zur Anbringung von Bremseinrichtungen, Gasbehältern etc. Die unter den Langschwellen befestigten Achshalter sichern die Lage der Achse gegen den Rahmen, gestatten diesem jedoch eine dem Federspiel entsprechende senkrechte Bewegung über den Achsbüchsen. Der Rahmen trägt an seinen Enden die Puffer P mit je einer glatten und einer gewölbten Scheibe (vom Wagen aus gesehen ist der rechte Puffer gewölbt). Bei Berührung zweier Betriebsmittel trifft daher stets eine glatte Seite eine gewölbte, so daß in Kurven oder zwischen beladenen und unbeladenen Wagen die Berührung der Puffer nicht an den Kanten, sondern mehr zentral erfolgt Die äußere Scheibe m (Fig. 4) ist mit einer innern e verbunden, die den Truck durch Kautschukringe n oder spiralförmige Stahlfedern (Tafel I, Fig. 1) auf den Rahmen überträgt, so daß alle Stöße elastisch und daher für die Wagen weniger schädlich sind.

Fig. 4. Puffer.
Fig. 4. Puffer.

Die Zugstange Z, an die der Rahmen in seinem Schwerpunkt federnd befestigt ist, pflanzt den von der Lokomotive ausgeübten Zug nach rückwärts fort; sie endigt beiderseits in einen Zughaken und eine Kuppelvorrichtung. Bei den meisten europäischen Bahnen wird die Verkürzung oder Verlängerung der Kuppelung, also auch der Wagenentfernung, durch eine Schraube mit Rechts- und Linksgewinde bewirkt (Fig. 5). Die Verbindung zweier Wagen erfolgt so, daß zuerst die Kuppelung des einen Wagens eingehakt und durch die Schraube angespannt wird, während die Kuppelung des andern Wagens nachträglich lose über einen zweiten Haken gelegt wird und als Notverbindung beim Zerreißen der ersten zur Wirkung gelangt. Beim Ankuppeln muß der Arbeiter zwischen die Wagen treten und kann bei Bewegungen derselben von den Puffern gefaßt und verletzt werden.

Fig. 5. Kuppelung.
Fig. 5. Kuppelung.

Die in den Vereinigten Staaten von Nordamerika seit 1. Jan. 1898 gesetzlich vorgeschriebenen selbsttätigen Kuppelungen verbinden sich dagegen bei Zusammentreffen der Wagen ohne Zutun eines Menschen und können von der Seite aus geöffnet werden, so daß das Eintreten zwischen die Wagen fortfällt. Dadurch wird an Personal im Verschiebedienst gespart, Verletzungen durch Seitenpuffer werden vermieden, und bei kräftiger Ausführung der Vorrichtungen sind die Unterhaltungskosten gering. Diese Zentralkuppelungen ersetzen zugleich die in Europa üblichen Seitenpuffer. Näheres s. Kuppelung.

Wagen mit 2 zwei- oder dreiachsigen Drehgestellen, welche die vorteilhafte Anwendung großer Radstände auch beim Vorhandensein von Kurven mit kleinen Halbmessern gestatten, werden in Amerika durchweg, in Europa neuerdings namentlich bei Personenwagen und bei Wagen für lange Gegenstände, als Langholz, lange Eisenträger, Eisenbahnschienen etc., angewendet. Tafel I, Fig. 2, zeigt die Hälfte eines solchen Wagengestells mit zweiachsigem Drehgestell.

Nach der Anordnung und der Betriebsverwendung der Wagenoberteile werden die Eisenbahnwagen eingeteilt in Personenwagen, Post- und Gepäckwagen, Güterwagen und Wagen für dienstliche Zwecke (Bahnbau und Bahnunterhaltung, Streckenbesichtigung, Messungen, Versuche etc.). Einige Querschnittsformen vom Oberteil der Personenwagen zeigen die Fig. 2–5 auf Tafel II.

Die Personenwagen sind Abteilwagen mit zahlreichen Einsteigetüren in den Seitenwänden oder Durchgangswagen mit einem einzigen oder mehreren großen Räumen, zu denen man von Endbühnen aus durch zwei Stirnwandtüren gelangt. Zur Erzielung eines ruhigen Ganges erhalten die Personenwagen einen moglichst großen Radstand und Drehgestelle, gute (2–3 fache) Federung, doppelte Fußböden und Seitenwände, Filz- oder Gummizwischenlagen zwischen Kasten und Untergestell etc. Das hölzerne Kastengerippe wird außen mit Blech verkleidet. Das meist mit einem Licht- und Lüftungsaufbau (Tafel II, Fig. 3 u. 4) versehene Dach der Personenwagen ist zur Ableitung des Regenwassers leicht gewölbt, mit Segeltuch überzogen und mit Deckenmasse bestrichen. Während die Abteilwagen eine vollständige Trennung der »Raucher«, »Nichtraucher« und »Frauen« zulassen, gewähren die Durchgangswagen einen freien (oft allerdings auch störenden) Verkehr der Reisenden und des Dienstpersonals durch den ganzen Zug und ermöglichen eine zweckmäßige Anordnung der Aborte. Die beiderseitigen Vorteile zu vereinigen, wird angestrebt bei den Durchgangswagen mit Abteilen und innerm Seitengang (Tafel II, Fig. 4). Den Grundriß eines Speisewagens zeigt Tafel II, Fig. 6; a und b sind Speiseräume, davon einer für Raucher, c Aborte, d Küche, e Schränke, k Durchgang, g überbaute Plattformen. Nach der innern Ausstattung kann man unterscheiden Personenwagen 1., 2., 3., 4. Klasse oder solche mit mehreren Klassen sowie Speise-, Schlaf-, Hof-, Salon-, Aussichts-, Kranken-, Ärzte-, Besichtigungswagen etc. Die Wagen 4. Klasse sind z. T. mit besondern Vorrichtungen für den Verwundetentransport im Krieg ausgerüstet (umlegbare Plattformgeländer, zweiteilige, breite Stirnwandtüren, Gestelle für Hängebetten etc.; vgl. Kriegssanitätswesen).

Die Postwagen sind mit zahlreichen Fächern zur Unterbringung der Briefe und Pakete, ferner mit Schreibplätzen für die Beamten, auch mit Vorrichtungen zur Beleuchtung und Heizung ausgestattet. Für das seitens der Bahn beförderte Reisegepäck dienen Gepäck- oder Packwagen. Sie werden zugleich zum Aufenthalt des Zugführers, des Packmeisters, des Wagenwärters etc. benutzt. Im Packwagen (zugleich Schutzwagen zwischen Lokomotive und Zug) ist meist auch ein Raum zur Unterbringung von Hunden und ein Abort vorhanden. Bisweilen sind bei geringerm Verkehr der Post- und der Gepäckraum in einem Wagen nebeneinander untergebracht.[550]

Die Bezeichnung der Güterwagen erfolgt nach der Bauart (offene und bedeckte Güterwagen) oder nach dem Verwendungszweck (Spezialwagen). Offene Güterwagen kommen vor als Plattformwagen, Hoch- und Niederbordwagen, Kohlen-, Koks- und offene Viehwagen, ferner Schemelwagen mit Drehgestellen für Langholz u. dgl., Trichterwagen (Selbstentlader) für Erze, Erden etc. sowie gewöhnliche Erd- u. Kieswagen (Lowries oder Loren), ferner als Wagen für die Beförderung von Gefäßen mit chemischen Flüssigkeiten (Tafel II, Fig. 1), von leeren oder gefüllten Kesseln, von Kanonen (Tafel II, Fig. 9) etc. Bedeckte Güterwagen finden Verwendung zur Beförderung von Großvieh (Tafel II, Fig. 7) und Kleinvieh (Etagenwagen), ferner als Heizwagen und Kühlwagen (Tafel II, Fig. 8) für Bier, Milch, Butter, Fleisch, Fisch, Geflügel etc. Dabei ist a der Eisbehälter, b die Öffnung zum Einfüllen des Eises, c Lüftungsöffnungen, d die Borte für das Fördergut. Tafel I, Fig. 3 a-c, zeigt einen Kühlwagen für unzerlegt aufgehängtes Fleisch. Der obere Raum wird mit Eis gefüllt; unter diesem liegt ein Schlangenrohr, das von eingesaugter Luft durchströmt wird. Die so abgekühlte Luft tritt nahe über dem Fußboden in den Wagenraum ein, steigt mit zunehmender Erwärmung allmählich auf und wird unter der Decke wieder abgesaugt. Weiter gibt es auch Wagen mit festen Behältern oder Kesseln für Petroleum, Spiritus, Teer etc. Die bedeckten Güterwagen sind großenteils darauf eingerichtet, für Kriegszwecke zur Beförderung von Mannschaften und Pferden verwendet zu werden (umlegbare Türvorleger, schließbare Fensteröffnungen, Riegelschlösser für Laternen, Haken, Holzleisten für Tornister, Gewehrrechen, Pferdebäume, Ringe etc.).

Die folgende Zusammenstellung gibt einige der wichtigsten Zahlen von europäischen und amerikanischen Personen- und Güterwagen.

Tabelle

Die Erwärmung der Personenwagen geschieht selten durch gewöhnliche Ofen oder Wärmflaschen, dagegen vielfach durch Behälter mit besonders vorgerichteter Preßkohle, aber vollkommener durch Zentralheizung von der Lokomotive oder von besondern Heizwagen aus. Luft- und elektrische Heizung findet wenig Anwendung, dagegen auf deutschen Hauptbahnen vorwiegend Dampfheizung. Dabei wird der Dampf meist dem Kessel der Lokomotive entnommen, auf eine Spannung von 2–3 Atmosphären gedrosselt und durch die unter dem ganzen Zuge hingehende Hauptleitung den unter den Sitzplätzen liegenden Heizkörpern zugeführt. Die Verbindung der Leitungsrohre zwischen den Wagen erfolgt durch Gummischläuche. Diese Heizung wird durch Hähne geregelt, ist vollkommen feuersicher und ermöglicht die Erzielung einer gleichmäßigen, auch bei starkem Frost genügenden Erwärmung. Die Lüftung der Personenwagen wird neuerdings durch besondere Einrichtungen (Sauger u. dgl.) bewirkt.

Die Beleuchtung der Personenwagen geschieht selten durch Kerzen oder Öllampen, dagegen namentlich durch Gas, neuerdings auch durch Elektrizität. Am meisten wird Fettgasbeleuchtung (von Pintsch-Berlin) verwendet. Dabei werden unter dem Wagen ein oder mehrere zylindrische, meist für 30–40 Brennstunden, d.h. für zwei Nächte, ausreichende Behälter aus Eisenblech angebracht und diesen das Gas unter Druck bis zu 6 Atmosphären zugeführt. Von da gelangt es durch einen Druckregler mit geringem und gleichmäßigem Druck zu den Brennern. In neuerer Zeit wird in Europa dem Fettgas Acetylen im Verhältnis von etwa 1: 4 zugesetzt (Mischgas), wodurch die Helligkeit erheblich gewinnt. Das elektrische Licht, das in Deutschland lange Zeit in den Eisenbahnzügen fast nur in Postwagen (durch Akkumulatoren erzeugt) Verwendung fand, ist daselbst 1902 zuerst bei einigen Schnellzügen der wichtigsten Linien (Berlin-Hamburg) eingeführt worden, und zwar wird es erzeugt entweder durch einen auf dem Lokomotivkessel aufgestellten kleinen Dampfturbinendynamo oder durch Akkumulatoren, die von jener Dynamomaschine geladen werden. Vgl. Büttner, Die Beleuchtung der Eisenbahnpersonenwagen mit besonderer Berücksichtigung der Elektrizität (Berl. u. Münch. 1901). – Über die Bremsen der E. s. Bremsen, S. 385 f.

Der Preis für Personenwagen schwankt zwischen etwa 7600 Mk. (zweiachsiger Personenwagen 4. Klasse) und 46,000 Mk. (vierachsiger Personenwagen 1. und 2. Klasse) und für gewöhnliche Güterwagen zwischen 2400 Mk. (offener Güterwagen ohne Bremse von 6,8 m Kastenlänge) und 4500 Mk. (vierachsiger, 12 m langer Plattformwagen mit zwei Drehgestellen ohne Bremse). Bedeckte Wagen für besondere Zwecke (s. oben) können selbstverständlich viel teurer sein. Vgl. Eisenbahnbetriebsmittel.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 549-551.
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