Simon [2]

[479] Simon, 1) Richard, kath. Theolog und einer der Begründer der neuern Bibelwissenschaft, geb. 13. Mai 1638 in Dieppe, gest. daselbst 11. April 1712, Mitglied des Oratoriums in Paris (s. Oratorianer); er schrieb: »Histoire critique du vieux testament« (Par. 1678, Rotterd. 1685); »Histoire critique du texte du nouveau testament« (1689); »Histoire critique des principaux commentateurs du nouveau testament« (1693) und die »Nouvelles observations sur le texte et les versions du nouveau testament« (1695; deutsch von Cramer, Halle 1776–80, 3 Bde.). S. vertrat zwar fast durchweg die Autorität der kirchlichen Tradition über Ursprung, Integrität und Auslegung der Heiligen Schrift; aber die Gründlichkeit und Unbefangenheit seiner Forschungen schienen dennoch so gefährlich, daß seine Werke katholischen wie protestantischen Ketzergerichten anheimfielen. Vgl. Bernus, Richard S. (Lausanne 1869) und Notice bibliographique sur R. S. (Basel 1882); Margival, Essai sur Rich. S. et la critique biblique an XVII. siècle (das. 1900).

2) August Heinrich, deutscher Politiker, geb. 29. Okt. 1805 in Breslau, gest. 16. Aug. 1860, studierte die Rechte, trat 1834 in den preußischen Staatsdienst, wurde 1844 Stadtgerichtsrat in Breslau, gab aber 1845 den Staatsdienst auf, da ihm mehrere [479] Broschüren gegen die Gesetze vom 29. März 1844, die nach seiner Ansicht die Unabhängigkeit der Richter gefährdeten, viele Anfeindungen zuzogen. (Vgl. seine Schrift »Mein Austritt aus dem preußischen Staatsdienst«, Leipz. 1846.) Mitglied des Frankfurter Parlaments geworden, hielt er sich zur Linken, wurde in Stuttgart in die sogen. Reichsregentschaft gewählt, ging in die Schweiz und wurde 1851 in Breslau wegen seiner politischen Tätigkeit in contumaciam zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. Er lebte seit 1852 in Murg am Walensee als Direktor einer Aktiengesellschaft für Kupferbergbau und ertrank 1860 beim Baden im See. 1862 ward ihm in Murg ein Denkmal errichtet. Er schrieb mehrere Beiträge zu Rönnes »Verfassung und Verwaltung des preußischen Staats«; »Das preußische Staatsrecht« (Breslau 1844, 2 Tle.); »Geschichtliches über die preußische Immediat-Justiz-Examinationskommission« (Berl. 1855) und »Don Quixote der Legitimität oder Deutschlands Befreier?« (Zürich 1859). Vgl. Jacoby, Heinrich S. (Berl. 1865, 2 Tle.).

3) Ludwig, deutscher Politiker, geb. 1810 in Trier, gest. 2. Febr. 1872 in Montreux, Advokat in Trier, wurde 1848 in die deutsche Nationalversammlung gewählt, war einer der hervorragendsten Redner der äußersten Linken und Mitglied des Dreißigerausschusses, nahm am Rumpfparlament in Stuttgart teil, floh im Juli 1849 nach der Schweiz und wurde zu Trier in contumaciam zum Tode verurteilt. Seit 1855 in einem Bankhaus zu Paris angestellt, gründete er daselbst 1866 ein eignes Geschäft, verließ aber 1870 Frankreich. In »Aus dem Exil« (Gießen 1855, 2 Bde.) schildert er seine Erlebnisse vom Rumpfparlament bis zu seiner Übersiedelung nach Paris.

4) Jules François Suisse, franz. Philosoph und Staatsmann, geb. 31. Dez. 1814 in Lorient, gest. 8. Juni 1896 in Paris, wurde 1835 Professor der Philosophie an der Normalschule, dann an der Sorbonne in Paris und 1848 Mitglied der Nationalversammlung, wo er zu den gemäßigten Republikanern zählte. Als er sich weigerte, Ludwig Napoleon den Huldigungseid zu leisten, wurde er 13. Dez. 1851 abgesetzt. 1863 wurde er Mitglied des Instituts und des Gesetzgebenden Körpers als Mitglied der kleinen oppositionellen Minorität. Nach dem Sturze Napoleons III. (4. Sept. 1870) ward er Mitglied des Gouvernements der nationalen Verteidigung und Unterrichtsminister, 8. Febr. 1871 Mitglied der Nationalversammlung, wo er sich zur gemäßigten Linken hielt, und Februar 1871 bis Mai 1873 wieder Unterrichtsminister. 1875 wurde er zum Mitglied der französischen Akademie und zum lebenslänglichen Senator erwählt. 1876 mit dem Vorsitz im Ministerium, in dem er selbst das Innere übernahm, betraut, wurde er trotz seiner Mäßigung 16. Mai 1877 auf Betrieb der Klerikalen von Mac Mahon in schroffer, beleidigender Form entlassen. Als seit 1879 die radikalern Republikaner zur Herrschaft gelangten, bekämpfte er sie im Senat. Als Philosoph gehörte S. der idealistischen Richtung an; von seinen Werken sind hervorzuheben: »Études sur la Théodicée de Platon et d'Aristote« (1840); »Histoire de l'école d'Alexandrie« (1844–45, 2 Bde.); »Le devoir« (1854, 17. Aufl. 1902); »La religion naturelle« (1856); »La liberté de conscience« (1857), »La liberté politique« und »La liberté civile« (1859 u. ö.); »L'ouvrière« (1861, 9. Aufl. 1891); »L'école« (1864, 12. Aufl. 1894); »Le travail« (1866, 4. Aufl. 1877), eine Schrift, die großes Aufsehen gemacht hat; »La politique radicale« (1868); »Le libre-échange« (1870); »Souvenirs du 4 septembre« (1874, 2 Tle.; 3. Aufl. 1876); »La réforme de l'enseignement secondaire« (1874); »Le gouvernement de M. Thiers« (1878, 2 Bde.); »Dieu, patrie, liberté« (1883); »Une académie sous le Directoire« (1884); »Thiers, Guizot, Rémusat« (1885); »Nos hommes d'Etat« (7887); »Victor Cousin« (1887); »Mignet, Michelet, Henri Martin« (1889); »Mémoires des autres« (1889); »Nouveaux mémoires des autres« (1891); »Notices et portraits« (1893); »La femme du vingtième siècle« (mit Gustave Simon, 1891); »Quatre portraits« (Lamartine, Lavigerie, Renan, Kaiser Wilhelm II., 1896); »Le soir de ma journée« (aus dem Nachlaß, 1901); »Premières années« (1901). Auch gab er die philosophischen Werke von Arnauld, Bossuet, Descartes u. a. heraus. Vgl. Séché, Jules S. (2. Aufl., Par. 1898) und Jules S., ses dernières années, ses origines paternelles, etc. (das. 1903).

5) Eduard, franz. Schriftsteller, geb. 7. April 1824 in Berlin, gest. 14. Okt. 1897 in Paris, ließ sich 1846 in Paris nieder und beschäftigte sich mit dem Studium der französischen Sprache und Literatur, dann der politischen Zustände besonders in Deutschland, wodurch er mit angesehenen Männern, wie Thiers, Rémusat, Tocqueville u. a., in nähere Beziehungen trat. 1872–91 redigierte er das bedeutendste diplomatische Organ, das »Mémorial diplomatique«. Seine schriftstellerische Tätigkeit war besonders darauf gerichtet, den Franzosen die Kenntnis und das Verständnis der deutschen und österreichischen Dinge zu erschließen. Er schrieb: »L'empereur Guillaume et son règne« (Par. 1886; deutsch, Jena 1887); »Histoire du prince de Bismarck« (1887; deutsch, Berl. 1888); »L'empereur Frédéric« (1888; deutsch, Bresl. 1888) und »L'empereur Guillaume II« (1889, 5. Aufl. 1895; deutsch, 3. Aufl., Berl. 1893); ferner: »L'Allemagne et la Russie an XIX. siècle« (1893); »L'Allemagne et la Russie. Origines de leurs rapports« (1896).

6) Gustav, Chirurg, geb. 30. Mai 1824 in Darmstadt, gest. 28. Aug. 1876 in Heidelberg, studierte in Gießen und Heidelberg, wurde 1848 Militärarzt in Darmstadt, 1861 Professor in Rostock und 1867 in Heidelberg. S. förderte besonders die Kriegschirurgie, die plastische Chirurgie und die Gynäkologie und machte die ersten erfolgreichen Nierenauslösungen. Er schrieb: »Über Schußwunden« (Gießen 1851); »Über die Heilung der Blasenscheidenfisteln« (das. 1854); »Die Exstirpation der Milz« (das. 1857); »über die Operation der Blasenscheidenfisteln« (Rostock 1862); »Mitteilungen aus der chirurgischen Klinik des Rostocker Krankenhauses« (Prag 1867, 2 Bde.); »Chirurgie der Nieren« (Stuttg. 1871–76, 2 Bde.).

7) Emma, geborne Couvely, Schriftstellerin, geb. 8. Aug. 1848 in Braunfels bei Wetzlar, vermählte sich 1871 mit dem Verlagsbuchhändler S. in Stuttgart, von dem sie später wieder geschieden wurde, schrieb unter dem Namen E. Vely das biographische Werk »Herzog Karl von Württemberg und Franziska von Hohenheim« (Stuttg. 1875, 3. Aufl. 1876), außerdem Novellen und Erzählungen, z. B.: »Am Strand der Adria« (1873), »Assunta« (2. Aufl. 1879), »Südlicher Himmel« (1882), »Dorfluft« (1885, 2 Bde.) etc., einige sinnige Märchen, wie: »Eine Walpurgisnacht« (1872), »Sonnenstrahlen« (1873), »Meereswellen« (2. Aufl. 1877) etc., denen seither eine ansehnliche Reihe von Romanen gefolgt ist. Sie lebt in Berlin.[480]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 479-481.
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