Ägyptische Mythologie

[219] Ägyptische Mythologie. Die Religion der alten Ägyptier war polytheistisch u. frühzeitig durch die Priester in ein System gebracht, welches jedoch, da die dasselbe enthaltenden sogenannten hermetischen Bücher verloren gegangen sind, unbekannt ist. Die Götter sind ursprünglich Naturwesen; ihre Zahl kann auf zwei, Osiris u. Isis, zurückgeführt werden, wenigstens waren diese die allgemeinen, durch ganz Ägypten verehrten Götter, während die anderen nur Localgottheiten waren, aber in das System aufgenommen worden zu sein scheinen, um dem politisch eins gewordenen Lande auch Eine Religion zu geben u. jedem Theile dabei Rechnung zu tragen. Daher erklärt sich wenigstens, daß die Götter Oberägyptens, von wo die Vereinigung des Landes ausging (s. Ägypten, Gesch. II.), die Hauptrolle im System spielen. I. Religionslehre: A) Theologie: a) Die Götter der 3 Ordnungen: aa) Götter der 1. Ordnung: Amun (Ammon) in Theben, Khem (Chemmis) in Panopolis u. die Buto (Mut) in Buto, Kneph (Chnubis, Num, Nu) u. die Seti (Sati) in Thebais, Ptah in Memphis, die Neith in Sais, Ra in Heliopolis (s.d. a.); bb) Götter der 2. Ordnung, Kinder der Vorigen: Khunsu (Chons), Sohn von Amun; Tet (Thoth), Sohn von Kneph; Atum (Atmu) u. Pecht (Bubastis) von Ptah; Hathor (Athyr), Tefnu, Ma, Mau, Muntu, Sebek, Seb u. Netpe, sämmtlich Kinder von Ra (s.d. a.); cc) Götter der 3. Ordnung, Kinder von Göttern der 1. u. 2., die beiden letzten auch von solchen der 3. Ordnung: Hesiri (Osiris) u. Heruer (Arueris, Horus), Kinder von Netpe u. Ra; Seth (Typhon), Sohn von Netpe u. Seb; Heb (Isis), Tochter von Netpe u. Tet; Nebti (Nephthys), Tochter von Netpe u. Seb; Anupu (Anubis), Sohn von Osiris u. Nebti; Her pechrut (Harpokrates), Sohn von Osiris u. Isis. Von diesen Göttern sind die der 1. Ordnung kosmogonische Wesen (s. u. B) a); die der 2., der Erde näher tretenden, planetarischer Natur; die der 3. gehören dem Menschenleben an, ihre Hauptrepräsentanten sind Osiris u. Isis, ja diese nehmen auch die früheren Götter, außer Amun u. Kneph, in ihren Eigenthümlichkeiten auf, sie sind die Haupt- u. allgemeinen Gottheiten Ägyptens. b) Andere Götter, welche neben denen der 2. Ordnung aufkamen, sind Allegorien von Eigenschaften, Personificationen von Sachen u. dgl., z.B. Renpa u. Anata (Kriegsgott u. Kriegsgöttin), Hapima (Gottheit des Nils), Suben (die Göttin von Oberägypten), Ament (die weibliche Form von Amun), Rempi (das Jahr), Un (die Stunde). Das allgemeine Erkennungszeichen der Götter auf Monumenten ist der Kinnbart, meist tragen sie auch ein Scepter mit einem Kopf; die Göttinnen sind bekleidet, zuweilen geflügelt, ihre Scepter endigen in eine Lotosblume; beide Geschlechter tragen zuweilen eine Geißel u. die doppelte Pharaonenkrone. Die besonderen Symbole der einzelnen Gottheiten s. unter deren Namen. Andere Gottheiten waren Besa, Kanobos u. dessen Gemahlin Eumenuthis etc. c) Göttliche Thiere: vor allen der allgemein verehrte Stier Apisu. die Stiere Mnevis in Heliopolis u. Onuphis (Bakis) in Hermunthis; ferner wurden verehrt der Bock zs Mendes, Hunde zu Kynopolis, Katzen in Bubastos, der Wolf zu Lykopolis, der Widder in Theben, die Hirschkuh zu Koptos, das Ichneumon zu Herakleopolis, der Löwe zu Leontopolis, der Hippopotamos der Habicht bes. zu Apollinopolis, die Krähe ir Koptos, der Geier (unter deren Bilde Ilithyia verehrt wurde), der Adler in Theben; der dem Tet heilige Ibis war das heiligste u. neben dem Apis allgemein verehrte Thier; das Krokodil in Koptos, Arsinoe u. Ombos, verschiedene Arten Schlangen, des Käfer (Skarabäos), Fische, wie der Oxyrrhynchos u. Lepidotos. Heilige Pflanzen waren der Lotos u. die Persea, dem Harpokrates, die Akazie, der Sonne heilig. B) Die Schöpfungslehre: a) Kosmogonie. Die erste Offenbarung des unsichtbaren Gottes, Amun, war der als zeugende Naturkraft aus demselben hervortretende Kneph, der Geist od. die Urseele; er umschwebt die von Ptah geschaffene sichtbare Welt (das Weltei); Neïth (die Göttin von Sais) ist das schöpferische Princip, die empfangende Natur. Ra (Osiris), die Sonne, wurde nach vollendeter Schöpfung der Ernährer u. Erhalter alles Irdischen, u. Isis, der Mond, die empfangende u. bildende Göttin. b) Anthropogonie. Menschen wurden Anfangs als körperlose, reine Seelen, aus dem Athem des Weltschöpfers, vermischt mit Wasser, geschaffen; sie wohnten in den höheren Luftkreisen u. schufen dann auf göttlichen Befehl die Vögel, Fische, 4füßigen Thiere u. Reptilien. Unreine Begierden trieben die Seelen in die tieferen Sphären des Irdischen herab, u. zur Strafe wurden sie nun in irdische Körper eingekerkert, um durch Kampf mit der Materie u. die Seelenwanderung sich wieder von ihrer Verunreinigung zu befreien u. in die höheren Regionen zurückzukehren. Dem Menschen aber sind 2 Seelen gegeben, die eine aus dem göttlichen Wesen selbst (Vernunft), die andere aus den niederen Sphären des Himmlischen gebildet (Sinnlichkeit), letztere vermittelt die Verbindung der höheren Seele mit dem irdischen Körper. C) Eschatologie. Mit dem großen Jahre von 36, 525 gemeinen Jahren endet sich die gegenwärtige Welt;[219] ein großer Brand verzehrt alles Bestehende, u. aus der Asche steigt eine neue Ordnung der Dinge empor. Nach dem Tode, d. h. der Auflösung der Verbindung der beiden Seelen (welche bildlich dargestellt wird als das Entfliegen eines Vogels durch den Mund), beginnt für den Menschen erst das geistige Leben im Amenthes (d.i. die Verbergende). Hier ist wieder Osiris Herrscher u. richtet mit 42 Beisitzern die Abgeschiedenen, welche Anubis dahinleitet. Auch auf der Erde wurde gleich nach dem Tode über jeden Gestorbenen von 40 Mitgliedern seines Standes ein Gericht gehalten (Todtengericht), u. nur die im Leben Erprobten u. der feierlichen Bestattung u. Einbalsamirung (s. Mumie) würdig Befundenen wurden zur Grabstätte geführt. Sofort begann nun die Seele einen 3000jährigen Kreislauf durch die Leiber von Thieren auf der Erde (Seelenwanderung), kehrte nach dessen Vollendung in ihren, durch die Einbalsamirung erhaltenen Körper zurück u. kam nun nach neuer Bewährung wieder an dem himmlischen Orte an. Die Rückkehr der Seele in den Himmel geschah durch die Götterpforte im Zeichen des Steinbocks das Geschäft, die Seelen aufzuführen, hatten die Dämonen, die edeln Seelen, die aus reinen Motiven in die Erdnähe herabstiegen. II. Der Cultus bestand in Gebeten, Räucherungen u. Opfern. A) Die Opfer wurden als Sühnopfer gebracht; geopfert wurden selbst Menschen, u. von Thieren die unreinen, wie Schweine dem Osiris u. der Isis, auch Kälber, Gänse, überhaupt wohl, außer den allgemein verehrten, alle Thiere, ausgenommen in dem Nomos, in welchem sie vornehmlich verehrt wurden, so Stiere, welche aber ganz roth sein mußten, Widder, Ziegen. B) Die jährlichen Feste standen meist mit astronomischen od. physischen Erscheinungen des Landes in Verbindung, od. bezogen sich auf mythologische Ereignisse; sie wurden gewöhnlich am Neu- od. Vollmond begangen. Besonders wichtig war das Fest der Bubastis in Bubastos; dazu fuhren Männer u. Frauen auf Schiffen unter Musik u. allerhand lasciven Scherzen, welche sie sich mit den Bewohnern der Städte erlaubten, bei welchen sie vorbeifuhren; zu Bubastos selbst wurden Opfer geschlachtet u. Wein getrunken. Beim Isisfeste zu Busiris wurden Stieropfer gebracht u. die Festbegeher geißelten sich; andere Feste: das der Neïth zu Sais (Lychnokaïa), der Sonne zu Heliopolis, der Buto. Auch wurden von besonderen Tänzerinnen (Alme) an den Festen wilde Tänze in den Tempeln aufgeführt. C) Priester besorgten den Gottesdienst; sie bildeten eine streng gesonderte, hierarchische Gliederung, s. Ägypten (a. Geogr.); den ersten Rang hatten die Prophetà, Stolistà, Hierogrammateis, Horoskopi od. Horologi, Sänger, Pastophori u. Neokori (s.d. a.), die beiden letzteren Klassen waren nur dienende Priester. Ihre Pflicht war es, die hermetischen Bücher zu studiren, Weissagen u. Zeichendeutung zu üben. Zu den Festen mußten sie sich durch vorhergehende Reinigungen u. Enthaltung von gewissen Speisen, wie Fleisch, Brod, Wein, Ol, Salz etc. weihen, die Zeit dauerte nicht über 42 u. nicht unter 7 Tage; sie trugen nur linnene Kleider u. aus Byblos verfertigte Schube, mußten beschnitten sein u. sich den ganzen Leib scheren, durften nie einen Todten berühren u. nur Eine Frau nehmen. III. Die Quellen der Ä-n M. sind außer den inländischen Monumenten die Nachrichten, welche griechische Schriftsteller geben, namentlich Herodot, Diodor von Sicilien, Plutarch, Porphyrios, Jamblichos, auch mehrere Kirchenväter. Die hermetischen Bücher, in denen die ägyptischen Religionswissenschaften enthalten waren u. deren Anzahl Jamblichos auf 36,525 angibt, sind verloren gegangen. Neuere Schriften: Jablonski, Pantheon aegypt., Frkf. 1750–52, 3 Bde.; v. Schmidt, De sacerdot. et sacrificiis Aegyptiorum, Tüb. 1786; Hirt, Über die Bildung der ägyptischen Gottheiten, 1821; Champollion d. I., Panthéon égyptien, Par. 1832; L. Haymann, Darstellung der Ä-n M., a. d. Engl. des Prichard, Bonn 1837; E. Röth, Die Ä. u. Zoroastrische Glaubenslehre, Mannh. 1846.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 219-220.
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219 | 220
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