Agende

[180] Agende (v. lat.), 1) das von dem Kirchenregiment eingeführte liturgische Buch, welches die Form des öffentlichen Gottesdienstes u. der kirchlichen Handlungen (Taufe, Confirmation, Abendmahl, Trauung, Ordination, Begräbniß etc.) bestimmt u. die dabei zu gebrauchenden Antiphonien, Collecten, Gebete u. Formulare enthält. Eine feste Form des Gottesdienstes u. der kirchlichen Handlungen bildete sich erst bei der größern Ausbreitung der christlichen Kirche aus. So finden sich im 5. Jahrhundert in den Kirchen von Constantinopel, Rom, Mailand u. a. bestimmte Liturgien u. Kirchenordnungen, die dann in der Hauptsache auch von den andern Kirchen angenommen wurden. Besonders verdient machte sich in dieser Hinsicht Papst Gregor I. gegen Ende des 6. Jahrhunderts, welcher in seinem Sacramentale den Grund zur Einheit in den kirchlichen Handlungen legte. Durch Karl den Großen kam die Form des römischen Gottesdienstes auch in die deutsche Kirche, wo sich der Name Agenda seitdem gebraucht findet, doch braucht die katholische Kirche für ihre kirchlichen Bücher noch die Namen Pontificale, Missale (die Messe betreffend), Rituale, Breviarium (Gebetsformeln enthaltend) s.d. a. Die erste protestantische A. ist: Deutsche Messe u. Ordnung des Gottesdienstes, von Luther 1526 verfaßt. Nach diesem Vorbilde wurden nun im 16. Jahrhundert nach u. nach in den protestantischen Ländern Europas A-n eingeführt, woran die meisten Reformatoren, namentlich Melanchthon, Bucer, Bugenhagen, Osiander, I. Jonas, Spalatin, Cruciger, Myconius u. A. Theil hatten; zum Theil wurden sie später wieder abgeändert, u. noch im 17. Jahrhundert wurden neue A-n für die Abtei Corvey, das Stift Verden, für Rothenburg a. d. Tauber, Magdeburg, die Niederlande, Hessen-Darmstadt, Zürich, Schwarzburg, Sachsen-Gotha, Schweden u. a. eingeführt. Obgleich die Reformatoren mehr formale Vorschriften für die Einrichtung des öffentlichen Gottesdienstes u. der kirchlichen Handlungen, als fest bestimmte Formulare u. Gebete hatten geben wollen, so hielt man doch besonders an den von Luther gegebenen ältesten liturgischen Formeln so fest, daß man sie für ein wesentliches Stück der Religion selbst ansah u. in mehreren Ländern die Geistlichen auf den Buchstaben der A. verpflichtete. Mit der Ausbildung der deutschen Sprache u. der Veränderung in den religiösen Ansichten genügten Vielen die bisher gebrauchten A-n nicht mehr, u. es wurde auch von Theologen der Wunsch nach einer Veränderung derselben ausgesprochen. Es erschienen nun viele Formulare für die einzelnen kirchlichen Handlungen, Gebete u. Vorschläge zu Verbesserungen; so besonders von Zollikofer, Seiler, Hermes, Fischer, Salzmann, Hufnagel, Teller, Pfaff, Credner, Schletz, Plänkner, Scholz, Scherer, Wagnitz u. A.; A-n ohne Autorität der Kirchenbehörde gaben heraus: Seiler, Junge, Velthusen, Breitenstein, Mehliß, Gutbier, Scherer, Sintenis, Lindemann, Reuß, Feßler, Wimmer u. A. In mehreren Städten u. Ländern wurden nun auch durch die Kirchenbehörden veränderte od. neue A-n eingeführt; so in der Pfalz 1783; in Lindau 1784, in Kurland, von Wehrt, 1786 u. 1792, in den kaiserlichen Erblanden 1788, verändert u. vermehrt 1829, in Hamburg von Pauli 1788, in Oldenburg 1795, in Pfalz-Sulzbach von Wetzel 1797, in Schleswig-Holstein von Adler 1797, in Anhalt-Bernburg von Paldamus 1800, in Württemberg besonders von Süskind 1809, in Schweden 1809 im Königreich Sachsen 1812, in Arnstadt von Busch 1821, in Basel 1826. Da jedoch die neuen A-n aus einer einseitigen Auffassung des Glaubens hervorgegangen zu sein schienen, so widersetzten sich nicht selten Geistliche der Einführung derselben, so besonders in Schleswig u. Holstein der von Adler u. der preußischenneuen A., die sich ganz den ältesten lutherischen u. reformirten A-n näherte u. den sogenannten Agendenstreit erregte. 1816 erschien nämlich eine neue A. für die Hof- u. Garnisonkirche in Potsdam u. Berlin, die 1822 verbessert, bei allen Militärgemeinden eingeführt u. auch den Civilgemeinden zur Einführung empfohlen wurde. Das Eigenthümliche derselben bestand besonders in dem Wechselgesange zwischen dem Geistlichen am Altar u. dem Chore, der Vorlesung des apostolischen Glaubensbekenntnisses u. des Kirchengebets am Altar vor der Predigt, in dem kurzen Gesange nach der Predigt, nach welcher sogleich der Segen von der Kanzel ertheilt wird, wegen der Kürze des Gottesdienstes, der nur eine Stunde dauern sollte. Die Formulare, Gebete etc. waren größtentheils aus den ältesten märkischen A-n von 1540 u. 1572 u. der preußischen von 1558 genommen, deren Glaubensansichten sie daher auch enthält. Für die Union sollte sie dadurch wirken, daß sie den reformirten Gottesdienst feierlicher machte u. in der Lehre vom Abendmahl u. sonst einige reformirte Ansichten aufnahm. Nur wenige Geistliche nahmen diese neue A-n freiwillig an, die meisten Provinzen, Sachsen, Pommern, Schlesien, Rheinpreußen u. Berlin selbst erklärten sich dagegen, wegen der veralteten Form in dieser A. u. ihrer angeblich[180] katholisirender Tendenz, da man sie nur für ein abgekürztes römisches Meßbuch hielt, ja es wurde sogar behauptet, daß die evangelischen Landesherrn als oberste Bischöfe das Recht nicht hätten, neue A-n zu geben. 1824 wurde vom Ministerium den Consistorien die etwas verbesserte u. vermehrte, zugleich mit einer abgekürzten Liturgie versehene A. mit dem Befehle zugeschickt, daß die Geistlichen sich nun bestimmt über Annahme od. Nichtannahme erklären sollten, u. den 4. Juli folgte ein Ministerialerlaß, worin den sie nicht Annehmenden geboten wurde, sich streng an die bei ihnen autorisirte A. zu halten. Die Regierung befahl nun 1826 die Verpflichtung der neu anzustellenden Candidaten zur Annahme der A.; ließ durch Provinzialcommissionen das in den einzelnen Provinzen Herkömmliche u. zur. neuen A. Passende aufsuchen u. mit diesen Anhängen für die einzelnen Provinzen erscheinen, worauf sie 1828 in der Diöcese Minden, 1829 in Berlin, Provinz Sachsen, den Rheinlanden u. 1830 in Schlesien, wo sie den meisten Widerspruch gefunden hatte, eingeführt wurde. Nur einige Geistliche in Schlesien, besonders in Breslau, erklärten sich wegen der in der A. aufgenommenen reformirten Glaubensansichten gegen sie u. wollten eine besondere, echt lutherische Kirchengemeinde bilden; ihnen schlossen sich später noch einige Gemeinden an. Zur Vertheidigung der A. schrieben Marheineke (Über die wahre Stelle des liturgischen Rechts, Berlin 1825), Ammon (Die Einführung der Berliner Hofkirchenagende geschichtlich u. kirchlich beleuchtet, Dresden 1825; Die Einführung etc. kirchenrechtlich beleuchtet 1826), Augusti (Kritik der neuen preußischen A., Frkf. 1823; Nähere Erklärung etc., ebd. 1825 u. Nachtrag dazu, Bonn 1826), Eylert (Über den Werth u. die Wirkung der preußischen A., Potsd. 1830, wozu Schulz, Bemerkungen darüber, Neust. a. d. O. 1832, u. m. a. zu vergleichen). Diese preußische A. wurde 1830 in Karlsruhe eingeführt. Dem von einer Commission auf Grundlage der preußischen A. bearbeiteten u. 1831 erschienenen: Entwurf einer neuen A. für die evangelisch-protestantische Kirche des Großherzogthums Baden, der nur Formulare u. Gebete bei gottesdienstlichen Handlungen enthält, wurde besonders Hinneigung zum Katholicismus Schuld gegeben, vgl. Harmuth: Der Entwurf etc. beleuchtet, Mannheim 1831. Andere neue A-n sind: Die für die evangelisch-lutherische Kirche in Rußland 1832, die ebenfalls auf die ältesten protestantischen A-n zurückgeht; Entwurf einer Liturgie für die evangelische Kirche im Königreich Württemberg, Stuttg. 1840; Der Agendenkern für die evangelische Kirche in Baiern, 1856. Zu erwähnen ist noch die Kirchenordnung od. A. der Socinianer von P. Morscovius 1746, u. die deistische von Williams, London 1776, übersetzt Lpz. 1785, worin prosaische u. poetische Stücke aus Addison, Pope u. a., u. die von Priestley übersetzt Berlin 1786; 2) bei den Karthäusern das Seelen- od. Todtenamt in 9 Lectionen; 3) Geschäftsverzeichniß, Gedenkbuch; 4) in den Comptoiren der Kaufleute eine Notizentafel, Notizenbuch.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 180-181.
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