Osiander

[394] Osiander, 1) (eigentlich Hosemann), Andreas, geb. 19. Decbr. 1498 in Gunzenhausen, wo sein Vater ein Grobschmied war; studirte in Ingolstadt u. Wittenberg, wurde Lehrer der Hebräischen Sprache in Augsburg, wendete sich der Reformation zu u. war 1522 der erste Lutherische Prediger in Nürnberg; er nahm 1529 Theil an dem Colloquium in Marburg, war 1530 mit in Augsburg u. 1546 in Schmalkalden, stand im Abendmahlsstreit auf Luthers Seite, gewann den Herzog Albert von Preußen durch eine evangelische Predigt dem Lutherthume, mußte aber 1548, da er sich dem Interim nicht fügen wollte, Nürnberg verlassen u. wurde 1549 Prediger u. Professor der Theologie in Königsberg, wo er 17. Oct. 1552 starb; er schr.: Harmonia evangel., Basel 1537, u.m.a. Nach Luthers Tode durch Melanchthons Milde ermuthigt, trug O. mehre Luthers Lehre zuwiderlaufende Sätze vor: die Buße besteht in Erkenntniß u. Verabscheuung der Sünde u. Vorsatz der Besserung (also nicht auch im Glauben); Jesus ist das sichtbare Ebenbild Gottes, nach welchem der Mensch geschaffen worden, u. würde auch, wenn der Sündenfall nicht geschehen wäre, Mensch geworden sein; gerechtfertigt wird der Mensch nicht durch die ihm zugerechnete Gerechtigkeit Christi, sondern durch die wesentliche, in Christo ihm mitgetheilte Gerechtigkeit Gottes, vermittelst einer Veränderung des Herzens u. der Ergreifung der wesentlichen Gerechtigkeit im Glauben. Seine Anhänger (Osiandristen) waren Aurifaber, I. Sciurus, O. Eplin, Pet. Artopöus, L. Culmann, welche aber auch heftige Gegner fanden, unter And. an Fr. Staphylus u. I. W. Mörlin. Nach N-s Tode wurde Mart. Chemnitz zur Schlichtung der Streitigkeiten nach Königsberg berufen, u. eine zu diesem Behufe niedergesetzte Commission legte dieselben bei, wozu bes. diegegen die Meinung ihres Vaters gerichteten Schriften seiner Söhne, vorzüglich des Folgenden, viel beitrugen. Vgl. Acta Osiandriaca, Königsb. 1553; Mörlin, Historia der Osiandrischen Schwermerey, Braunschw. 1554; F. Baur, Disquisitio in Osiandri de justificatione doctrinam, Tüb. 1831; Lehnerdt, De Osiandro, Königsb. 1836–42; von Wilken, Strals. 1830–44. 2) Lucas, Sohn des Vor., geb. 16. Decbr. 1534 in Nürnberg, wurde 1555 Diakonus in Göppingen, 1557 Pfarrer u. Dekan in Blaubeuren, 1560 in Stuttgart u. 1567 Hofprediger u. Consistorialrath, dazu auch 1593 Prälat von Adelberg; mit letzter Würde war die Mitgliedschaft des Landtages verbunden, u. da er sich hier 1598 gegen die Zulassung der Juden im Lande erklärte, wurde er abgesetzt; nach einem kurzen Aufenthalte in Eßlingen kehrte er nach Stuttgart zurück u. st. hier 7. Sept. 1604. Er war 1564 bei dem Religionsgespräch in Maulbronn, betheiligte sich 1576 an der Abfassung der Maulbronner Formel u. besuchte die Colloquien zu Mömpelgard 1586 u. Regensburg 1594, u. zeigte sich überall als orthodoxer Theolog. Er gab viele Predigten heraus, u.a.: Die Bauernpostille, 1601, Fol.; Funfzig geistliche Lieder u. Psalmen, mit Musik, 1586; Bibelwerk (eine Paraphrase[394] der Heil. Schrift), Tüb. 1573-86, 7 Thle.; Institutio christianae religionis, ebd. 1576, 1582; Epitome historiae eccles., ebd. 1593. 3) Andreas, Sohn des Vor., geb. 1562, studirte in Tübingen, wurde 1584 Diakon in Urach, 1587 Pfarrer in Güglingen, folgte 1598 seinem Vater als Hofprediger des Herzogs von Württemberg in Stuttgart u. st. 1617 als Propst u. Kanzler in Tübingen. Er schr.: Biblia cum observationibus, Tüb. 1600, 1611, 1618; Papa non papa, Frankf. 1610. 4) Lucas, Bruder des Vor., geb. 1571, wurde 1591 Diakonus in Göppingen, 1597 Pfarrer in Schwieberdingen, 1601 Dekan in Leonberg u. 1606 in Schorndorf, 1612 Abt in Bebenhausen u. 1616 in Maulbronn, 1619 Professor am Seminar in Tübingen, endlich 1620 Propst u. Kanzler daselbst u. st. 1630. Er war ein strengorthodoxer Theolog u. als solcher heftiger Gegner Arnds, gegen dessen Bücher vom wahren Christenthum er sein Theologisches Bedenken (Tüb. 1623) schrieb, sowie er auch den Streit zwischen den Kenotikern (s.d.) u. Kryptikern anfachte; er schr. noch mehre Streitschriften. 5) Johann Adam, geb. 1622 in Vaihingen, studirte in Tübingen, wurde Diakonus in Göppingen, später Professor der Philosophie u. Theologie in Tübingen u. st. 1697 daselbst als Propst u. Kanzler. Er schr.: Theologia casualis, Tüb. 1680, 2 Bde.; Comment. in pentateuchum, ebd. 1676–87, 9 Bde. 6) Jo h., Sohn des Vor., geb. 1657 in Tübingen, studirte daselbst Theologie, wurde Professor der Hebräischen, dann der Griechischen Sprache u. der Geographie daselbst, 1692 Ephorus, 1697 Abt in Königsberg, 1699 Abt in Hirsau u. vormundschaftlicher Rath der herzoglichen Kinder, 1703 kursächsischer Consistorialrath u. 1708 württembergischer Consistorialdirector u. st. 1724 als wirklicher Geheimer Rath. Er wurde zu Sendungen nach England u. Schweden gebraucht, begleitete den Prinzen auf Reisen, focht unter den württembergischen Truppen, u. beim Einfalle der Franzosen 1693 wurde ihm das Commando des befestigten Tübingen anvertraut. 7) Friedrich Benjamin, geb. 1759 zu Zell im Württembergischen, war erst praktischer Arzt u. Geburtshelfer in Kirchheim unter Teck, wurde 1792 Professor der Entbindungskunst u. Director der Entbindungsanstalt in Göttingen u. starb daselbst 1822; er schr.: Denkwürdigkeiten für die Heilkunde u. Geburtshülfe, Gött. 1794 f., 2 Bde.; Lehrbuch der Hebammenkunst, ebd. 1796; Neue Denkwürdigkeiten für Ärzte u. Geburtshelfer, ebd. 1797 f.; Annalen der Entbindungs-Lehranstalt in Göttingen, ebd. 1800–4, 2 Bde.; Über den Selbstmord, Hannov. 1812; Epigrammata in diversas res musei sui anatomici et pinacothecae, Tüb. 1814, 2. Aufl.; Über die Entwickelungskrankheiten in den Blüthenjahren des weiblichen Geschlechts, ebd. 1817 f., 2 Bde., 2. Aufl. ebd. 1820–22; Handbuch der Entbindungskunst, ebd. 1818–21, 3 Bde. 8) Johann Friedrich, Sohn des Vor., geb. 1787 in Kirchheim unter Teck, wurde Professor der Medicin in Göttingen, 1832–33 Director des Entbindungsinstituts u. st. 1855; er schr.: Über die französische Geburtshülfe, Hannov. 1813; Nachrichten von Wien über Gegenstände der Medicin, Chirurgie u. Geburtshülfe, Tüb. 1818; Die Anzeigen zur Hülfe bei unregelmäßigen u. schweren Geburten, ebd. 1825, 2. Aufl. ebd. 1833; Volksarzneimittel, ebd. 1826, 3. Aufl. 1844; Zur Praxis der Geburtshülfe, Hannov. 1837; Hebammenbuch, Tüb. 1839, 2. Aufl. ebd. 1844.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 394-395.
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