Seiler [1]

[794] Seiler, (zünftige) Handwerker, welche Taue, Seile, Leinen, Stränge, Stricke, Bindfaden, Gurte u. Netze (Seilerwaaren) aus Hanf, Werg, Flachs, Pferdehaar, Bast verfertigen; sie haben außerdem den Handel mit Flachs, Hanf, Öl, Theer, Pech u. an manchen Orten noch mit verschiedenen anderen Dingen, als Peitschenstäben, Rechen, Schiebkarren, Wurfschaufeln, Wetzsteinen, Theerbüchsen, Hecheln, Flachsbrechen, Schwingehölzern, Kobern, geflochtenen Backschüsseln etc. Auch haben die S. an vielen Orten das Recht Häringe, Stock-, Schell- u. andere trockene Seefische, auch Essig zu verkaufen, Schnaps, Obst- u. Beerenweine zu schenken. Die S. lernen 3–5 Jahre, wandern u. müssen zum Meisterstück mehre Arten Seile u. einen Gurt fertigen. Zu Verfertigung der Seilerwaaren hat der S. verschiedene Geräthe, welche auf der Seilerbahn (Spinn- od. Drehbahn), einem geebneten, geraden Gange im Freien, bisweilen auch unter einem leichten Dache, aufgestellt sind; in Seestädten, wo bes. Taue gefertigt werden, heißen solche Drehbahnen (von dem provinziellen Worte Reep, ein Seil) Reepbahnen u. jeder S. (Reepschläger) hat seine eigene. Die Hauptarbeiten des S-s sind das Spinnen der Fäden od. Garne u. das Zusammendrehen derselben zu Litzen, sowie der Litzen zu Tauen. I. Die dabei verwendeten Hauptgeräthe dienen: A) zum Hervorbringen der drehenden Bewegung u. zwar a) das Seilerrad, welches entweder ein Vorder- od. ein Hinterrad ist; aa) das Vorderrad besteht aus einem hölzernen Gestelle, an welchem unten ein Schnurrad ist, welches mittelst einer Kurbel od. eines Griffes herumgedreht werden kann. Oben an dem Gestelle ist der Hakenkopf verstellbar angebracht, er ist auf der Stirne mit vier bis sechs Lagern versehen, in welchen die vier bis sechs eisernen Spindeln liegen; die Spindeln sind vorn in Haken gebogen, stecken fest in einer hölzernen Rolle u. werden durch die an den Rollen vorbeigeführte Schnur ohne Ende vom Schnurrade aus in Umdrehung versetzt. An diesem Rade werden die ersten dünnen Fäden gesponnen. Das Schnurrad wird entweder von einem Drehjungen gedreht, od., u. zwar jetzt fast ausschließend, es dreht der Arbeiter, welcher spinnt, auch zugleich das Rad. Die im letzteren Falle angewendete Vorrichtung heißt Maschine u. ein damit versehenes Rad ein Maschinenrad; seine Einrichtung ist sehr einfach, es wird nämlich das Rad durch eine Schnur ohne Ende umgedreht, welche über eine auf die Achse des Rades aufgesteckte Schnurenscheibe u. eine am Ende der Spinnbahn an einem Pfahl befestigte Rolle gelegt[794] ist; der S. befestigt sich die Schnur ohne Ende mittelst eines Gurtes u. Knopfes am Oberschenkel u. dreht so beim Rückwärtsgehen das Rad. Da die Umlaufsgeschwindigkeit der Spindel bei feineren Garnen größer als bei gröberen sein muß, so muß man auf die Radachse verschiedengroße Schnurscheiben aufstecken können od. auch für feinere Garne Spindeln von kleinerem Rollendurchmesser einlegen. bb) Das in einigen Fällen beim Zusammendrehen der Fäden zu dünnen Seilerarbeiten als Hülfsapparat gebrauchte Hinterrad ist fast ebenso eingerichtet, jedoch kleiner u. in allen Theilen leichter als das Vorderrad, auch hat es an seinem Fußgestelle zwei Rollen od. Räder, damit es fortgerückt werden kann, wenn die Fäden beim Zusammendrehen sich verkürzen. b) Der Laufer od. Läufer ersetzt das Vorderrad bisweilen beim Spinnen grober, kurzer Fäden zu Stricken; der Läufer ist ein kleineres Rädchen, welches lose auf einen nach vorn geneigten Bolzen gesteckt ist; beim Beginn des Spinnens befestigt der S. den Faden an einem der drei in der Nabe des Rädchens feststeckenden Haken u. dreht nun während des Spinnens das Rädchen selbst um, indem er abwechselnd den gesponnenen Faden scharf anzieht u. wieder nachläßt; wegen der schiefen Lage der Achse des Rades bekommt der Faden bei jeder Umdrehung des Rades eine Drehung um seine eigene Achse. c) Das Seilergeschirr, mit welchem die Litzen der stärkeren Seile zusammengedreht werden; in der Mitte eines aus zwei eisernen, durch vier Bolzen verbundenen Platten bestehenden Gestelles läuft ein senkrechtes Stirnrad, welches mittelst einer Kurbel herumgedreht werden kann. Das Rad greift in vier Getriebe, deren Achsen vorn aus dem Gestell herausragen u. daselbst mit Haken versehen sind, in diese Haken sind Sförmige Haken eingelegt u. an diese erst werden die Schleifen der einzelnen Litzen gehängt, damit die Litzen beim Zusammendrehen sich bis knapp an die Haken heran gehörig einander nähern können. Die entgegengesetzten Enden der Litzen werden an den gemeinschaftlichen Haken eines großen Nachhalters (s. unten B) a) gehängt. Das Geschirr ist durch Stricke od. eiserne Haken an zwei aufrechtstehenden Säulen befestigt. Eine einfache, größtentheils aus Holz hergestellte, unvollkommnere Art des Geschirres ist das sogenannte Klapper- od. Nudel- (Notel-) Geschirr; dasselbe besteht aus einem Brete, welches zwischen zwei in die Erde geschlagenen Pfählen befestigt wird. Das Bret hat vier Löcher in gleichem Abstande; in jedes Loch wird ein hinter dem Brete nach Art einer Kurbel zweimal rechtwinkelig abgebogener eiserner Haken gesteckt; sämmtliche Kurbeln werden dadurch herumgedreht, daß sie in vier Löcher eines anderen Bretes gesteckt werden, welches zwei Menschen hin u. her bewegen. B) Zum Anspannen der in drehender Bewegung begriffenen Arbeit dienen: a) der Nachhänger od. Nachhalter, ein zum Einhängen u. Ausspannen mehrer vereinigter Fäden bestimmter Haken, welcher einer von den Fäden od. Litzen ihm mitgetheilten Drehung nachgeben u. zugleich seinen Ort nach Maßgabe der beim Zusammendrehen eintretenden Verkürzung verändern kann, so daß die Litzen stets gleichstark angespannt bleiben. Der Haken befindet sich entweder an einer 21/2–3 Fuß hohen Nachhängerstange od., wenn ein größerer Spielraum für den Haken nöthig ist, an einem besonderen Galgen; er hängt an einem über eine Rolle gelegten, durch ein Gewicht gespannten Faden. In einzelnen Fällen schnallt der S. den Nachhänger an einem Riemen um die Hüfte. b) Der Folger, ein Holzklotz, an welchem ein Haken steckt, der sich nicht drehen kann; bei der eintretenden Verkürzung der Litzen rutscht der Folger auf dem Boden fort bis zu der am Ende seines Weges eingeschlagenen Folgerstange; das Anspannen erfolgt durch den Widerstand beim Fortrutschen des Folgers, od. durch ein Gewicht, welches schließlich den Folger an seinen Ausgangspunkt zurückbewegt, ähnlich wie beim Nachhänger. c) Der Schlitten, ein großer Folger, welcher aus einer mit Steinen beschwerten, aus starken Latten hergestellten Schleife besteht, woran ein unbeweglicher od. drehbarer Haken (Nachschlaghaken) angebracht ist; der Schlitten gleitet auf dem glatten Fußboden od. auf einer besonderen Bahn. II. Das Fertigen der Großseilerwaaren geschieht folgendermaßen: der S. schlägt sich von dem gut vorbereiteten Hanse so viel in die Brustschürze ein, als er zur Schnur drehen will, hängt den Hanf mit einer mit den Fingern zusammengedrehten Schlinge (Wäsche) an das in Umdrehung versetzte Vorderrad, geht auf der Seilerbahn rückwärts u. spinnt dabei einen Faden, welchen er durch einen nassen Tuchlappen (Spinnlappen) laufen läßt, damit er sich glätte u. nicht den noch nicht geordneten Fasern zu früh die Drehung mitgetheilt werde. Ist der gesponnene Faden lang, so wird er auf Stützen od. Rechen aufgelegt, welche in geeigneten Abständen in der Bahn aufgestellt sind. Bei dem Spinnen der Fäden zu dickeren Seilen werden die einzelnen Fäden zu einem einzigen langen Faden verbunden u. auf eine Winde od. Haspel aufgewunden, weil sonst die Fäden nicht alle gleiche Länge u. gleiche Anspannung beim Zusammendrehen erhalten würden. Es werden nun vier od. mehre Faden zu einer Litze zusammengedreht (abgebrüht), indem man die sämmtlichen Fäden an jedem Ende an einen einzigen Haken hängt u. einen od. beide Haken in der Richtung umdreht, welche der beim vorausgegangenen Spinnen gegebenen Drehung entgegengesetzt ist. Dabei drehen sich die Fäden erst auf u. die Litze verlängert sich, dann verkürzt sie sich mehr u. mehr. Zum Abbrühen wendet man entweder ein Vorder- u. Hinterrad od. ein Geschirr u. einen Schlitten an. Will man Litzen aus höchstens vier Fäden draller u. härter machen, so muß man das Aufdrehen der Fäden während des Vereinigungsprocesses unmöglich machen; dies geschieht beim Abschnüren od. Schnüren, man hängt an einem Ende sämmtliche Fäden in einen Haken des Hinterrades od. des Nachhängers, am anderen Ende jeden in einen besonderen Haken des Vorderrades od. Geschirres; alle Haken werden nach derselben Richtung zusammengedreht, aber der einzelne Haken langsamer u. dadurch bekommen die Fäden noch eine Nachdrehung, den Draht (Drathel, Dradel, Drodel). Damit sich aber alle Fäden gleichmäßig zusammendrehen u. regelmäßig neben einander legen, steckt der S. zwischen die Litzen ein Lehre, d.h. einen gestielten, bauchig abgedrehten kurzen Holzkegel, welcher mit so vielen Längsfurchen (Rämmel) versehen ist als Fäden zu einer Litze od. Litzen zu einem Seil zusammengedreht werden sollen; die Lehre wird beim Nachhalter so eingesteckt, daß die Spitze gegen den Nachhalter gekehrt ist, weil sich das Zusammendrehen der Litzen vor dem Nachhalter[795] anfängt u. beim Geschirr endigt. Indem nun das Geschirr gedreht wird u. sich hiernach die Litzen zusammendrehen, stoßen sie die Lehre beständig ohne Beihülfe des S-s von dem Nachhalter bis zu dem Geschirr weiter fort. Durch das Seilen werden nun eine Anzahl Litzen zu einem Seil, einer Leine od. Schnur od. zu einem Strange zusammengedreht; das Verfahren ist dem Abschnüren gleich. Die durch das Seilen erlangte Waare wird nun durch das dem Abbrühen ähnliche Austreiben vollständiger zusammengedreht, wobei die Dicke zunimmt. Die Taue sind reifschlägig, d.h. von vier Seilen gedreht. (abgestückt), 20 u. mehre Fäden, nachdem das Tau stark werden soll, auf ein Seil gerechnet. Die letzte Arbeit bezweckt die Glättung der Waare; die äußerlich sich zeigenden Schäbetheilchen entfernt man durch das Riffeln, indem man die ausgespannten Litzen etc. mit einem Stück Hanfseil od. Roßhaarstrick (Streichhader) hin u. her reibt; darauf folgt noch das Streichen der angefeuchteten Waare mit einem Roßhaarstrick u. das Durchziehen od. Poliren mittelst eines alten Fischnetzes. Zur Verfertigung der Schiffstaue hat man in England seit dem Ende des 18. Jahrhunderts Maschinen angewendet. Auf mehre derselben sind Patente genommen u. die Patentseile, Patenttaue od. patentgeschlagenen Taue, warm registrirt, halten bei 3 Zoll im Durchmesser mehr als 1/3 so viel aus, als die gewöhnlichen, während die von 8 Zoll Durchmesser gegen dreimal so viel aushalten. Die Schiffstaue werden ebenfalls vierschlägig gemacht; man dreht sie links, man theert sie u. dreht sie loser als die Landtaue, damit sie in der Nässe nicht zusammenlaufen od. zusammenschrumpfen. Die Pontonstaue macht man oft 30 Klaster lang u. von verschiedener Stärke u. Dicke. III. Das Spinnen u. Zwirnen der Kleinseilerwaaren, der Waschleinen, Stränge, Stricke, Sackbänder, Bindfaden, Schnuren etc. geschieht ähnlich wie bei den Großseilerwaaren. Die Festigkeit eines Strickes od. Stranges hängt von der Güte des Hanfes, der Menge seiner Fäden u. dem Drehen ab (vgl. Seil); überdrehte Seile zerreißen leicht; Seile, welche über Rollen laufen, müssen fester gedreht werden. Der Bindfaden wird auf Windehölzern zu Knäueln gewickelt. Die Sattel- u. Bettgurte, so wie auch Tragseile u. Tragbänder werden von gezwirnten u. ungezwirnten, einfachen, gewöhnlichen u. auch farbigen Fäden auf einer besonderen Maschine gefertigt. Die S. besorgen auch das Flechten von Netzen für Fischer u. Jäger, Fliegennetze für Pferde, Sperlings-, Wachtel-, Lerchennetze u. Netze für den Handgebrauch, s.u. Fischnetz, Fischerei u. Jagdnetze. Aus Pech fertigen sie auch Pechfackeln u. bereiten Wagenschmiere. Schon im Alterthum wurde die Seilerei betrieben; ein Seil aus Binsen u.a. Halmen gedreht hieß griechisch Schönos (s.d.), ein Schiffsseil aus Hanf Kalos, auch Schönos; daher ein S. Schöniostrophos (Schöniosymboleus, Schöniosyndetes) u. Kalostrophos; Taudrehereien (Schöniäa) waren in Seestädten; ein Seilhändler hieß Schönopoles. Die Römer unterschieden zwischen dem dünneren (Funis) u. dickeren Seil (Restis), u. ein Seildreher hieß Funarius od. Restiarius, ein Seilhändler Restio.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 794-796.
Lizenz:
Faksimiles:
794 | 795 | 796
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon