Tarent [1]

[252] Tarent, 1) (a. Geogr., Tarentum, griech. Taras), Stadt in Apulien, in dem innersten Winkel des Tarentinischen Meerbusens, auf einer schmalen Landzunge, südlich vom Berge Aulon u. westlich von der Mündung des Galesus, mit Hafen; es hatte eine Akropolis, durch Mauer u. Graben von der Stadt getrennt, ein großes Theater, Forum, mehre Tempel, Museum etc. Von dem Hafen zur See führte eine breite Straße (statt deren jetzt ein Kanal gezogen ist, welcher die jetzige Stadt zur Insel macht). T. lieferte Salz, Getreide, Öl, Birnen, Kastanien, Nüsse, Zwiebeln, Cypressen, Feigen, guten Wein (am Aulon), treffliche Wolle, ferner waren daselbst Purpurfärbereien. T. hatte in frühern Zeiten einen König mit Altbürgern; das Volk hatte nur geringe u. beschränkte Regierungsrechte; die Ureinwohner arbeiteten als Leibeigne auf den Äckern des ersten Standes. Aber bald wurde aus der Aristokratie eine Demokratie. Die Republik hielt eine große Kriegsflotte u. konnte 33,000 Mann ins Feld stellen; doch mußte der Commandant, damit er nicht etwa die Militärmacht zu einer Usurpation der Regierung mißbrauchte, allemal ein Ausländer sein. Außer Poseidon wurde bes. Hercules u. Bacchus verehrt. Man begrub die Todten in der Stadt; vor jedem Haus standen Denksteine mit den Namen der Verstorbenen, wo man ihnen Leichenopfer brachte. Die Tarentiner förderten Künste u. Wissenschaften, u. die Schule des Pythagoras stand hier lange in Ansehen. Durch Reichthum wurden sie stolz u. üppig. Die Sprache der Tarentiner, die wir nur aus Rhinthons, aus einer spätern Zeit stammenden Phlyaken kennen, war von dem altlakonischen Dialekt sehr verschieden; dadurch, daß die Tarentiner fortwährend unterjochte Völker in ihre Stadt zogen, kamen viele italische u. sicilische Elemente in ihre Sprache. Neben der Volkssprache existirte noch die attische Sprache in T., welche auch allein im öffentlichen Leben galt. Auf den Münzen T-s erscheint Taras auf einem Delphin reitend mit verschiedenen Attributen, die Kehrseite zeigt Reiter entweder zu Pferd, od. neben dem Pferde. Von dem alten T. sind in dem jetzigen nur noch wenig Überreste erhalten; 2) (n. Geogr., Taranto), Stadt in der neapolitanischen Provinz am Otranto, auf einer hohen Felseninsel am Golf von T. (s. Tarentinischer Meerbusen), der hier einen kleinen Meerbusen bildet, hängt durch steinerne Brücken mit dem Festland zusammen; hat einen kleinen versandeten Hafen, eine Befestigung, dabei ein sehr festes Schloß; Erzbischof, [252] Kathedrale, viele Kirchen u. Klöster (mehre auf Substructionen alter Tempel), Ruinen der alten Mauern, des Amphitheaters etc., Seehospital, Lazareth, Findelhaus, Handel (mit Getreide, Öl u. dgl.), Fischerei (auch Thunfische, Sardellen, Korallen, vorzüglich Muscheln), Weberei (Manchester, Strümpfe, Handschuhe u. dgl., zum Theil aus Seide der Steckmuschel); 20,000 (sonst 300,000) Ew. Vor T. liegen die Inseln S. Paolo u. S. Petro. In der Nähe zwei kleine Salzseen, deren größrer Theil im Sommer austrocknet u. seines Salz zurückläßt. T. ist die Vaterstadt des Musikers Paesiello. Vgl. T. N. d'Aquino, Delle delizie Tarentine, Neapel 1771; Cagliardi, Topographia di Taranto.

Japyger hatten eine Stadt an der Stelle gegründet, wo später die Akropolis stand; aber sie wurden von Phalanthos, einem Herakliden, vertrieben; dieser kam nämlich um 707 v. Chr. mit einer Colonie Parthenier aus Sparta dahin, gründete daselbst eine Stadt u. nannte sie nach Taras, einem alten Heros. Mächtig gegen seine Nachbarn, über welche sie eine gewisse Obergewalt ausübten, machten T. seine Schifffahrt u. sein Handel, so wie seine strenge, vaterländische Disciplin u. seine Bündnisse mit den Peucetiern u. Dauniern; reich wurde es bes. durch den Seehandel u. durch den Fall von Sybaris. Unter den Staatshäuptern ist bes. der Pythagoreer Archytas (s.d.) im 4 Jahrh. berühmt, welcher (gegen das Gesetz) sieben Mal Strategos war u. zu Felde nie besiegt wurde. Um 304 führte der spartanische Königssohn Kleonymos ihnen eine Schaar Söldner zur Hülfe; doch die Tarentiner, welche seine ehrgeizigen Absichten merkten, entfernten ihn bald, indem sie Frieden mit ihren Feinden schlossen. Mit den Römern hatte T. einen Vertrag, daß deren Schiffe nicht über das Vorgebirge Lacinium fahren sollten; aber 281 v. Chr. erschien in den Gewässern von T. eine kleine römische Flotte von zehn Schiffen; die Tarentiner griffen dieselben an, versenkten od. nahmen sie u. behandelten die Mannschaft als Sklaven. Als die römische Gesandtschaft, welche Genugthuung dafür forderte, auf das Schmachvollste von den Tarentinern beleidigt wurde, kündigten ihnen die Römer den Krieg an. Die Tarentiner riefen den Epirerkönig Pyrrhos zu Hülfe; dieser kam zwar mit einem Heere, kehrte aber nach einigen günstigen Erfolgen nach Griechenland zurück, u. T., von der Landseite angegriffen, mußte sich 272 den Römern ergeben; es behielt zwar seine bisherige Verfassung, bekam aber römische Besatzung. Im zweiten Punischen Krieg eroberte Hannibal 211 v. Chr. durch Verrätherei einiger mißvergnügter Bürger T., nur die Akropolis blieb den Römern, welche durch Verrätherei 209 auch die Stadt wieder bekamen; viele Bürger blieben hierbei, 30,000 wurden als Sklaven verkauft u. durch Q. Fabius Maximus eine große Menge Kostbarkeiten nach Rom geschafft; nur wenige, den Römern Treue blieben als Bürger der leeren Stadt zurück. 123 v. Chr. wurde eine römische Colonie nach T. geschickt u. die Stadt wurde durch Schifffahrt u. Handel wieder blühend. Zwischen 160–170 n. Chr. predigte hier Cataldus das Christenthum u. wurde erster Bischof von T.; das Erzbisthum wurde 378 gestiftet. Zur Zeit der Zerstörung des Römischen Reichs soll T. wüst gelegen haben u. erst von Calabriern, welche von Totila vertrieben worden waren, wieder bevölkert worden sein. Dann stand es unter den byzantinischen Kaisern, kam nachher unter die Sarazenen u. endlich unter die Könige von Neapel. Mehre Grafen führten von T. den Namen, so der Graf Johann de la Marche, Gemahl Johanna's II., Königin von Neapel, dann die Familie Mesini, welche T. von dieser kaufte, u. endlich das, französische Haus Tremouille. 1743 ergab sich T. an die Spanter u. theilte dann die Schicksale Neapels. Vgl. Juvenis, De antiquitate et varia Tarentinorum fortuna, im 9. Bd. von Grävius u. Burmanns Thesaurus antiquitatum ital.; Lorentz, De origine veterum Tarentinorum, Berl. 1827; Derselbe, De civitate vet. Tarent., Lpz. 1833.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 252-253.
Lizenz:
Faksimiles:
252 | 253
Kategorien: