Arbeitsschulen

[694] Arbeitsschulen und Arbeitsunterricht Unterrichtsanstalten oder Unterrichtsstunden, in denen Schülern nützliche gewerbliche Fertigkeiten beigebracht werden. Schon im 18. Jahrhundert suchte man in England, Deutschland, Schweiz etc. Arbeitsschulen mit der Volksschule, besonders der Armenschule, zu verbinden und den Schülern damit einen kleinen Verdienst zu sichern, um so zugleich den Schulbesuch zu befördern. Namentlich war in Böhmen der Pfarrer, spätere Bischof Kindermann (s. d.) in diesem Sinne tätig. Nach dem Vorgang A. H. Franckes in Halle und Heckers in Berlin und im Anschluß an Locke und Rousseau nahmen die sogen. Philanthropen auch für die Zöglinge höherer Schulen, als Gegengewicht gegen einseitige Ausbildung des Geistes, Handwerksübungen in ihren Lehrplan auf. Besondere Pflege fanden diese in Schnepfenthal unter Blasche (s. d.). So war um 1800 die Verbindung der Arbeits- oder Industrieschule mit der Lernschule ziemlich verbreitet. Herzog Peter Friedrich Ludwig von Holstein-Oldenburg ordnete den Arbeitsunterricht für seine holsteinischen Besitzungen an (1796), und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen empfahl sie 1799 in einer auf die Reform der Volksschule bezüglichen Kabinettsorder. Indes ist in Deutschland nur der Unterricht der Mädchen in weiblichen Arbeiten wirklich allgemein geworden; die Anleitung der Knaben zu Handfertigkeiten, obwohl öfter neu angeregt, beschränkte sich bis in die neueste Zeit fast ganz auf Internate, wie Waisen-, Rettungshäuser, Blinden-, Taubstummenanstalten etc., bis etwa seit 1870 im skandinavischen Norden, zuerst in Finnland durch Cygnäus (s. d.) und dann mit größerm Erfolg in Schweden, der Arbeitsunterricht zugleich mit der Pflege des Hand- und Hausfleißes, namentlich der ländlichen Bevölkerung (handaslöjd, hemslöjd), neuen Aufschwung nahm. Ein königlicher Erlaß vom 11. Sept. 1877 empfahl allen schwedischen Schulbehörden die Einführung des Slöjdunterrichts; an den Seminaren zu Karlstad und Kalmar wurde dieser in den Lehrplan aufgenommen, und der reiche Menschenfreund Abrahamson in Nääs bei Gotenburg errichtete ein eignes Slöjdseminar. Schon vorher war die Bewegung durch den Rittmeister v. Clauson-Kaas nach Dänemark übertragen und hatte durch dessen Reisevorträge auch im übrigen Europa Aufmerksamkeit erregt. In Deutschland nahmen einzelne Vereine für das Wohl der arbeitenden Klassen (Berlin, Waldenburg i. Schl., Leipzig, Görlitz, Osnabrück etc.) die Sache auf; bei Bekämpfung des Notstandes in Oberschlesien 1879–80 trat ihr auch die preußische Regierung näher. Doch haben die staatlichen Schulverwaltungen in Deutschland, hierin einig mit der Mehrheit der Lehrerschaft, allgemein verbindliche Einführung abgelehnt und die Sache wesentlich freier Vereinstätigkeit überlassen. Ein allgemeiner Deutscher Verein für Knabenhandarbeit wurde 1881 unter Vorsitz von A. Lammers in Bremen begründet und später unter E. v. Schenckendorffs rühriger Leitung glücklich weiter entwickelt (Hauptversammlung 1902 in Augsburg). Die Regierungen von Sachsen (5000 Mk.), Preußen (32,000 Mk.) und das Reich (5000 Mk.) gewähren namhafte Beihilfen, ebenso eine große Anzahl deutscher Städte. Das Seminar für Handfertigkeit in Leipzig bildet jährlich neue Scharen von Arbeitslehrern aus. 1900 zählte man in Deutschland 838 Handfertigkeitsstätten pädagogischer Richtung, wovon 573 in Preußen. Von der Gesamtzahl waren 288 selbständige Anstalten, die übrigen mit Schulen verbunden. Gegen 2200 Lehrer waren für den Werkunterricht eigens ausgebildet, davon 950 in Leipzig, die übrigen an Einzelkursen in 33 Städten (23 in Preußen). Inzwischen hat der Slöjd- oder Werk unterricht in der ganzen zivilisierten Welt Freunde und Förderer gefunden. Er ist in Finnland, Schweden, Frankreich (1882), Norwegen (1891) an den Volks schulen allgemein eingeführt. Vgl. »Blätter für Knabenhandarbeit«, Organ des Deutschen Vereins (hrsg. von Pabst, Leipz., seit 1887); ferner v. Schenckendorff, Der praktische Unterricht (Bresl. 1880); Der selbe, Der Arbeitsunterricht auf dem Lande (Görlitz 1891); Salomon, Arbeitsschule und Volksschule (a. d. Schwed., Wittenb. 1881); Derselbe, Theorie des pädagogischen Slöjd (deutsch von G. Meyer in den »Blättern für Knabenhandarbeit«, Leipz. 1902); J. Meyer, Geschichtliche Entwickelung des Handfertigkeitsunterrichts (Berl. 1883); Rißmann, Der Handarbeitsunterricht der Knaben. Geschichte und gegenwärtiger Stand (Langens. 1896); Schriften von Elm (Weim. 1883), Gelbe (Dresd. 1885), Rauscher (Wien 1891); Rom, Praktische Einführung in die Knabenhandarbeit (Leipz. 1889); W. Götze, Ergänzung des Schulunterrichts durch praktische Beschäftigung (das. 1880); Derselbe, Katechismus des Knabenhandarbeits-Unterrichts (das. 1892); Janke, Hygiene der Knabenarbeit (Hamb. 1893); Schranz und Bünker, Die erziehliche Knabenhandarbeit (Wien 1894); Scherer, Handfertigkeitsunterricht in Volks- und Fortbildungsschulen (Gotha 1893).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 694.
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