Appenzell

[622] Appenzell, 1) (Geogr.), der 13. Canton der östlichen Schweiz, ganz umgrenzt vom Canton St. Gallen; 81/2 QM.; 56,000 Ew., sämmtlich Deutsche. Gebirgsland, der niedrige u. fruchtbare Außerrhoden, der steilere u. höhere Innerrhoden; 2 Bergketten (Appenzeller Alpen) durchziehen das Land, Gipfel von letzterem: Säntis (Altmann), 7760 (7800) Fuß, der mit dem Mesmer (6700 F.) u. der Gyrenspitz den Mittelpunkt ausmacht; außerdem bekannte Spitzen: Hoher Kasten (5540 F.) u. Kamor (5420 F.), so wie Schäfter (5230 F.) mit der nahen Ebenalp u. dem Wildkirchli, von Reisenden viel besucht. Gewässer: Sitter u. einige Bäche, die in den Rhein u. Bodensee fließen; Producte: allerhand Mineralien, Wetz- u. Schleifsteine, Salpeter, Holz, Fische, Schnecken. Honig u. Wachs, u. bes. die Erzeugnisse der Alpenwirthschaft, wenig Getreide, viele Heilquellen. Beschäftigung der Einw.: Gewinnung der vor., in Außerrheden viele Leinen- u. Wollenweberei. Verfassung: demokratisch. Das Land zerfällt in 2 Theile, einen katholischen, Innerrhoden, u. einen reformirten, Außerrhoden; jeder Theil sendet einen Gesandten zur Bundesversammlung, aber mit nur Einer gemeinschaftlichen Stimme, welche bei nicht zu erlangender Einigung der beiden gesandtschaftlichen Instructionen ruht, u. nach der Bevölkerung je 2 u. 1 Mitglied in den Nationalrath. A) Außerrhoden, der nördliche Theil enthält 54 QM.; 44,000 reformirte Ew., die bevölkertste Gegend Europas, auf jeder QM. gegen 8000 Menschen. Dem demokratischen Principe entsprechend, sind gleiche Rechte u. Pflichten, Freiheit der Rede u. Schrift, das Petitionsrecht u. Gewerbsfreiheit festgestellt. Nach der 1834 revidirten Verfassung übt die Landesgemeinde, eine jährlich einmal aus allen Landleuten über 18 Jahr zusammentretende Versammlung, die höchste Gewalt aus u. wählt die obersten Beamten. Aus letzteren u. Abgeordneten der Gemeinden besteht der zweifache Landrath, welcher 8 Tage später zusammentritt u. die Beschlüsse der Landesgemeinde näher ausführt, deren Vollziehung dem Großen Rathe obliegt, während die Angelegenheiten jeder Gemeinde von deren Vorstehern (Hauptleut' u. Räthe) besorgt, u. in 2 jährlichen Gemeindeversammlungen (Kirchhören) beschlossen werden. Gerichtsverfassung: a) der Große Rath, oberste richterliche Behörde; b) ein vom zweifachen Landrathe erwähltes Ehegericht aus 6 weltlichen u. 3 geistlichen Richtern; c) Untergerichte in allen Proceßsachen sind Hauptleut' u. Räthe; Familien-, Ehe- u. Unzuchtshändel schlichten die Ehegäumer, der Ortspfarrer mit den beiden Hauptleuten. Getheilt in die Landschaft hinter der Sitter (Hauptort Herisau) u. in die vor der Sitter (Hauptort Trogen). B) Innerrhoden, ungefähr 3 QM.; 12,000 Ew. Die 1829 revidirte Verfassung gleichfalls demokratisch. Oberste Behörde die Landesgemeinde; ein Großer Rath aus 124 Mitgliedern schlägt Gesetze u. Abgaben vor u. ist oberste richterliche Behörde, ein aus seiner Mitte gewählter Voigteirath nimmt die Rechnungen ab; ein Kleiner Rath aus 16 Personen erkennt in 3 Sectionen (Wochenrath) in Rechtssachen in 1. Instanz. Außerdem bestehen eine Criminal-, Marktordnungs- u. Schulcommission; der Landamman präsidirt allen Rathsversammlungen, vollzieht die Gesetze u. führt die oberste Polizeiaufsicht. Als Bundescontingent stellt der Canton 972 M. u. zahlt 9200 Fr. Theilt sich in 7 Rhoden; Hauptort: Appenzell. Münzen: A. rechnet gegenwärtig nach französischen Francs à 100 Rappen, s. Schweiz (Geogr.). Maße: der Fuß ist der rheinische, die Elle für leinene Waaren ist = 325,21, für Wollenwaaren = 270,24, der Stab für Musselin = 537,24, für Baumwollenwaaren 529,36 par. Linien; Getreidemaß: der Malter hat 2 Mütt à 4 Viertel = 147,7264 Litres. Flüssigkeitsmaß: die Maas = 1,34084 Litres; der Eimer hat 4 Viertel à 8 Maas = 42,9069 Litres. Gewicht: das leichte Pfund à 32 Loth à 4 Quintli = 465,332 Grammen, 1 Centner = 100 Pfund; das schwere Pfund à 40 Loth = 581,665, Grammen. Gold- u. Silbergewicht: 16 Loth à 18 Grän = 233,75 Grammen. Medicinalgewicht: das Pfund à 12 Unzen à 8 Drachmen à 3 Skrupel à 20 Grän = 357,8538. Wappen: beide Landestheile einen aufrechten schwarzen Bären im silbernen Felde. 2) (Abatis Cella), Flecken an der Sitter mit 2 Brücken, Hauptort des Cantons u. Innerrhodens, gothische Kirche, 1 Kapuziner-, 1 Nonnenkloster, hölzerne bemalte Häuser; 3000 katholische Ew.; in der Nähe das Ober-[622] u. Unterdorfbad mit lauen alkalischen Quellen; 1/2 Meile davon das ähnliche Weißbad; dabei auch Ruinen der Burg Clanx. 3) (Gesch.), A. gehörte zum alten Helvetien, später den Römern, die vielleicht zu Herisau eine Station hatten. Dann kam es zu Alemanien u. unter die Franken u. gehörte damals zu Thurgau. Unter König Sigbert von Austrasien baute St. Gallus das Kloster St. Gallen, u. die späteren Äbte bauten sich entfernter von ihrem Kloster Abtscelle (Appenzell) u. im 10. Jahrh. die Burg Clanx. Ihr Regiment veranlaßte mehrere Empörungen. Schon lange gab es Fehden zwischen den Landleuten u. dem Kloster St. Gallen, u. mehrere Bündnisse mit den schwäbischen Reichsstädten, Schwyz u. Glarus wurden geschlossen; doch als der Abt Kuno von Stauff es zu arg machte, vereinten sich die Appenzeller im Jahr 1400 mit der Stadt St. Gallen, zerstörten seit 1403 viele Burgen in ihrem u. dem angrenzenden Lande, ja sie belagerten 1408 selbst Bregenz, u. nur mit Mühe gelang den Österreichern der Entsatz, doch verbanden sich die A-er nach dem, mit dem Abt von St. Gallen geschlossenen Frieden zu einem Bund, der fortwährend in kleinen Fehden mit dem Abte stand, sich endlich 1451 mit 7 u. 1513 mit den 12 Cantonen vereinigte, u. die letzte Stelle des Schweizerbundes einnahm. 1524 fand die Reformation Eingang in A.; der größere Theil nahm sie an, doch gab sie Anlaß zu der Trennung in Innerrhoden, welches katholisch blieb, u. Außerrhoden, welches protestantisch wurde, beide wurden durch eidgenössisches Schiedsgericht 1597 getrennt, s. Schweiz (Gesch.). Die ferneren Schicksale theilte nun A. mit der Schweiz, s.d. (Gesch.). Im März 1798 bei der Revolution in der Schweiz wurde der Canton A. mit dem größten Theil des von St. Gallen u. dem Rheinthal zu dem Canton Säntis vereint, durch den Mediationsvertrag 1803 aber wieder hergestellt. Die neue Organisation in der Schweiz 1818 fand zwar Anfangs in Innerhoden Widerstand, ward aber bald angenommen, u. neue Verfassungen, die noch bestehen, traten 1829 u. 1834 ins Leben. Tobler, Regenten- u. Landesgesch. des Cantons d. äußern Rhoden von 1597–1797, n. Ausg., St. Gallen 1824; Schäfer, Materialien zu einer vaterl. Chronik des Cantons A., Herisau 1809–13, 5. Jahrg.; Gabr. Walser, Neue A-er Chronik, 2. Aufl. von Dub, Ebnat 1825; Hahn, Beschreibung des Cantons A., Heilbronn 1827; Gabr. Rüsch, Der Canton A., historisch, geogr. u. statistisch, St. Gallen 1835; Zellweger, Gesch. des Appenzellischen Volks, Trogen 1830–34, 4 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 622-623.
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