Caricatūr

[693] Caricatūr (vom ital., Caricare, d.i. überladen, übertreiben), die sichtbare Darstellung, Abbildung, Abformung od. mimische Copie eines Gegenstandes, bei welcher dessen charakteristische Eigenthümlichkeiten in einer Weise übertrieben sind, daß, indem sie sich sofort auf die Züge des Urbildes zurückführen lassen, durch den Vergleich mit diesem ein auf den Beschauer komisch wirkender Contrast hervorgerufen wird. In sofern die C. die Regeln u. Gesetze der Wirklichkeit absichtlich bei Seite setzt u. als Erzeugniß einer phantastischen Laune erscheint, zeigt sie eine nahe Verwandtschaft mit dem Burlesken in der Dichtkunst, u. wie dieses in der Poesie, so hat auch die C. in der bildenden Kunst keinen Anspruch auf eine selbständige Kunstform. Nur darin hat sie einen freieren Spielraum als das Burleske, daß sie sich zur Satyre steigern kann, indem sie nicht nur das äußere Wesen einer Person, sondern auch deren Handlungsweise durch Ubertreibung ins Lächerliche zu ziehen vermag. Indem die C. auf einer Verzerrung des Urbildes beruht u. die natürlichen Verhältnisse desselben verschiebt, bedient sie sich des Häßlichen, um ihr Ziel zu erreichen; man hat sie deshalb auch ein umgekehrtes Ideal genannt. Diese Anwendung des Häßlichen in der C. darf aber nicht soweit gehen, daß das ästetische Mißbehagen die Oberhand über das Vergnügen an dem komischen Einfalle gewinnt od. daß das moralische Gefühl beleidigt wird. Eine. gute C. must ein Kind des Humors sein, der nicht verletzen u. kränken, sondern über Thorheiten lachen, u. indem er sie lachend aufdeckt, auf ihre Vermeidung od. Abstellung hinwirken will. In Zeiten, wo das öffentliche Leben das Interesse der Staatsangehörigen lebhaft in Anspruch nimmt, wo die kämpfenden Parteien u. Parteiführer sich gegenseitig ihre Schwächen abzulauschen suchen, nehmen auch Witz u. Satyre vorzugsweise in Caricaturbildern an dem Kampfe der Geister Theil u. machen bestimmte Personen u. deren Handlungen zum Gegenstand der Persisigge; dagegen wendet sich die satyrische C. zu Zeiten, wo das Privatleben von keiner politischen Bewegung aus dem Gleise gerückt wird, mehr den Schwächen u. Mängeln gewisser Klassen der Bevölkerung zu od. persiflirt allgemeine Charaktere z.B. den Geizhals, den Marktschreier, den Stutzer etc. Carikirte Darstellungen in der Malerei wie in der Plastik werden schon von den Griechen erwähnt, welche selbst ihre Götter mit derartiger Satyre nicht unverschont ließen. Nach Älian (Varina hist. IV, 4) müssen Maler sowohl als Bildhauer sich viel mit C-n befaßt haben, indem ein Gesetz in Theben den mit einer Geldstrafe bedrohte, welcher die von ihm dargestellten Gegenstände od. Personen ins Niedrige herabzöge. Die Masken der griechischen u. römischen Komödie, wie sie sich in pompejanischen Wandgemälden dargestellt finden, waren recht eigentlich C-n, u. in den Stücken des Aristophanes mag das burleske Wesen der Masken nicht wenig dazu beigetragen haben, dem oft platten u. niedrigen Witz die nöthige Würze zu geben. Im frühen Mittelalter trat die C. in der kirchlichen Kunst hauptsächlich als Mittel zur Verspottung der heidnischen Götter u. der griechischen Philosophen auf. So findet sich die Venus als eindickes nacktes Weib auf einem Bocke reitend in der Vorhalle des Magdeburger Domes abgebildet, u. Aristoteles sieht man in der Kirche St. Pierre zu Caen, auf allen Vieren kriechend, einer nackten Weibsperson zum Reitthiere dienen. Auch die Juden u. die Türken mußten später oft den Gegenstand zu C-n hergeben, u. burleske Darstellungen von Hexen u. Teufeln mit Beziehungen auf einzelne Stände, Mönchsorden, auf das Papstthum od. auf Ketzer waren sehr gewöhnlich. Mehr Anspruch auf künstlerischen Werth als diese plumpen Stein- u. Holzbildwerke verdienen die gemalten C-n der italienischen Meister. So persiflirte Michelangelo die Unwissenheit u. Sittenlosigkeit eines ihm verhaßten Cardinals, indem er in seinem jüngsten Gericht demselben einen Platz unter den Verdammten mit den Attributen der Dummheit u. Wollust anwies. Auch von Leonardo da Vinci u. Annibale Caracei rühren eine Anzahl C-n her. Die Kämpfe auf religiösem Gebiet während der Reformation gaben Veranlassung, Haß u. Spott ihrer Anhänger u. Gegner in Bildern auszudrücken, welche der Holzschnitt vervielfältigte. Namentlich war dies in Frankreich der Fall. Später bot das üppige Hofleben den Franzosen trefflichen Stoff zu C-n, u. Ludwig XIV. u. seine Minister suchten sich durch strenge Verfolgung der Caricaturisten deren Spöttereien zu erwehren. Doch vermochten die verhängten Strafen nicht dem Entstehen neuer C-n vorzubeugen, u. selbst Napoleon[693] mußte sich oft den Bilderspott gefallen lassen. Der Bürgerkönig Louis Philipp war ebenfalls ein beliebtes Stichblatt der humoristischen Zeichner. Unter den Künstlern Frankreichs, welche in der C. Vorzügliches leisteten, sind Callot u. in neuerer Zeit Charlet u. Grandville zu nennen. Am reichsten an Caricaturisten ist England, dessen freie Verfassung u. reges öffentliches Leben dem Humor großen Spielraum gewährt, u. in der politischen sowohl wie in der moralischen C. hat es bedeutende Meister aufzuweisen. Vor allen ist unter diesen Hogarth, u. in neuerer Zeit Cruikshank zu erwähnen. An die Stelle fliegender Blätter, die in Holzschnitt od. Lithographie Caricaturzeichnungen verbreiteten, sind periodische Witzblätter getreten, unter denen der Punch das verbreitetste ist. In Deutschland ist die politische C. erst seit der Märzbewegung im Jahre 1848 in Aufnahme gekommen. Eine Menge Lithographien u. periodisch erscheinende Blätter illustrirten die Zeitereignisse der revolutionären Periode in C-n. Von den letzteren hat sich nur der Kladderadatsch in Berlin erhalten. Neben diesen sind noch als Organe des carikirenden Humors, aber eine mehr auf Sittenzustände als auf Politik gerichtete Tendenz befolgend, die Münchener Fliegenden Blätter u. die Düsseldorfer Monatheste hervorzuheben. Unter den deutschen Caricaturzeichnern der Neuzeit hat sich Ad. Schrödter durch seinen Piepmeier einen Namen erworben. Auch Kaulbachs Illustration des Reineke Fuchs u. dessen humoristische Darstellung der Weltgeschichte im Fries des Neuen Museums zu Berlin gehören dem Felde der C. an. Erwähnung verdient noch die Sammlung von socialen C-n des Schweizers Rud. Töpffer, welche unter dem Titel Histoires en estampes in Genf erschienen sind. Vergl. Malcolm, Historical sketch of the art of caricaturing, Lond. 1813.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 693-694.
Lizenz:
Faksimiles:
693 | 694
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika