Zwölf Tafeln

[781] Zwölf Tafeln (Duodecim tabulae), die zwölf (Anfangs zehn) Tafeln, auf welchen das geschriebene Römische Recht (Lex duodecim tabularum, Lex decemviralis), seit 454 u. den folgenden Jahren v. Chr. aufgezeichnet war. Zur Beschränkung der Consulargewalt u. zur Minderung der Patriciermacht u. überhaupt mehrer veralteter Staatsgebräuche trug nach mehren Aufständen der Volkstribun C. Terentilius Arsa 463 v. Chr. (Lex Terentilla) auf die Wahl von fünf Männern zu Entwerfung eines Gesetzes über die obrigkeitliche Gewalt der Consuln an. Nach langem Kampfe kam 454 ein Senatsbeschluß zu Stande, in Folge dessen man drei Patricier, Sp. Postumius Albns, A. Manlius Vulso u. S. Sulpicius Camerinus, nach (Groß-) Griechenland sandte, daß sie die dortigen Gesetze kennen lernten, u. dann eine Gesetzcommission niedersetzte, welcher bei ihrer Arbeit der aus Ephesos vertriebene Hermodoros, wahrscheinlich als Dolmetscher u. Erklärer, beistand. Nach der Rückkehr jener Gesandten kamen Patricier u. Plebejer 451 überein, nach Aufhebung aller Magistraturen, an deren Stelle in den Centuriatcomitien zehn Männer (Decemvirn, Decemviri legibus scribendis s. ferendis), unter ihnen jene drei Gesandten u. an ihrer Spitze Appius Claudius, zu wählen, welche noch in demselben Jahre zehn Tafeln zu Stande brachten, die auch nach Prüfung des Senats von den Centuriatcomitien angenommen wurden. 450 kamen durch die neugewählten Decemvirn noch zwei Tafeln hinzu, welche manches Drückende für die Plebejer enthielten, namentlich das Verbot der Heirathen zwischen Patriciern u. Plebejern wiederholten. Dessen u. des Sturzes der Decemvirn ungeachtet bestätigten die neu gewählten Consuln L. Valerius u. M. Horatius 449 diese XII Tafeln u. stellten dieselben in Erz (od. Holz) geschrieben auf dem Forum vor den Rostris auf; eine Abschrift wurde auf dem Capitolium niedergelegt. Die Gesetze der Z. T., die Grundlage der ganzen folgenden römischen Gesetzgebung, bestanden wahrscheinlich größtentheils ihrem Inhalt nach aus königlichen Gesetzen u. frühern Gewohnheitsrechten, u. nur zu einem kleinen Theil waren denselben wohl einige aus fremden Ländern entnommene Bestimmungenbeigefügt. Wenigstens bezeugt Cicero die völlige Verschiedenheit der Z. T. von dem Lykurgischen, Drakonischen u. Solonischen Gesetz, u. nur griechische Schriftsteller, wie Dionysius, gaben möglichst viel von dem Inhalt als griechischen Ursprunges aus. Cicero bezeugt die Übereinstimmung mit dem Solonischen Gesetz über die Leichenfeier u. Gajus in Betreff eines Gesetzes über die Collegien. Die Anordnung läßt sich aus den wenigen Fragmenten, welche bei einzelnen Schriftstellern erhalten sind, nur schwer erkennen. Gewöhnlich wird angenommen, daß die ersten Tafeln schon bei der Eroberung Roms durch die Gallier verloren gegangen seien; später müssen sie jedoch wiederhergestellt worden sein, da von ihrem Vorhandensein auf dem Forum noch im 3. Jahrh. n.Chr., z.B. von Cyprian, gesprochen wird. Die Kenntniß derselben war allgemein verbreitet, da sie selbst in den Volksschulen auswendig gelernt wurden. Das Gesetz erstreckte sich über öffentliches u. Privatrecht. Die erhaltenen Fragmente, deren etwa 100 sind, betreffen größtentheils das letztere u. das Jus sacrum; die Bestimmungen über das öffentliche Recht wurden wahrscheinlich früher antiquirt. Im Privatrecht bildete das Gesetz noch bis in die Zeit der klassischen Juristen die Grundlage des Jus civile, u. die angesehensten Rechtsgelehrten, z.B. Älius Catus, Antisthius Labeo, Valerius Messala, Servius Sulpicius, Rufus, Gajus schrieben Commentare über dasselbe. Auch von diesen Commentaren ist jedoch keiner auf die Neuzeit gekommen, ausgenommen einige Bruchstücke derselben in den Pandekten. Aus den erhaltenen Fragmenten u. sonstigen Nachrichten hat man seit dem 16. Jahrh. versucht den Text des Gesetzes zu restituiren u. dabei selbst die Ordnung nachzuweisen, in welcher die einzelnen Gesetze auf den Tafeln gestanden haben. Man ist hierbei entweder davon ausgegangen, daß jede der Z. T. abgesonderten Inhalts gewesen, dessen Ordnung aber aus dem Edict erkennbar sei, indem dieses in den Materien, welche es mit ihnen gemein habe, auch deren Ordnung befolgt habe; od. daß immer zwei Tafeln zusammengehört hätten, weil die beiden ersten Tafeln zusammengenommen auf das gerichtliche Verfahren kämen, auch die beiden Supplementtafeln zusammen gehören, u. namentlich Gajus seine sechs Bücher Commentar so eingerichtet haben soll, daß jedes Buch zwei Tafeln entsprach, indem zwei Tafeln jedesmal auf Einer großen, nämlich die eine auf der Vorderseite, die andere auf der Kehrseite, gestanden hätten. Nach dieser letzteren Ansicht hat bereits Jacobus Gothofredus (Fragmenta XII Tabularum suis nunc primum tabulis restituta, Heidelb. 1616, auch in Fontes quatuor jur. civ., Genf 1653) eine Anordnung versucht, welcher Dirksen u. zuletzt Zell mit wenig Ausnahmen gefolgt sind, zu Folge welcher Tafel 1 u. 2 den Civilproceß; Tafel 3 u. 4 Mancipatio, Potestas u. Manus; Tafel 5 u. 6 Vormundschaft, Erbfolge u. Eigenthum; Tafel 7 u. 8 Obligationsrecht; Tafel 9 u. 10 Staats- u.[781] Sacralrecht; Tafel 11 u. 12 Supplemente zu allen übrigen in gleicher Ordnung enthalten. Um die Kritik einzelner Stellen haben sich verdient gemacht Manutius, Gronov, Jos. Scaliger, Cujacius; eine Zusammenstellung der Bruchstücke der Z. T. versuchte zuerst Alexander ab Alexandro (Geniales dies VI, 10), dann Fr. Balduinus, Ant. Contius, Fr. Hotomannus, F. Pithöus, vor Allen Jac. Gothofredus in seinem oben angeführten Werke. Ihm folgten Pothier, Terrasson, Bouchard, Boulage; selbständiges Verdienst für deren Kritik haben unter den Neueren Hugo u. Haubold, bes. I. Ed. Dirksen, Übersicht der bisherigen Versuche zur Kritik u. Herstellung des Textes der Zwölf-Tafel-Fragmente, Lpz. 1824.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 781-782.
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