Luzérn [2]

[889] Luzérn, Hauptstadt des gleichnamigen schweizer. Kantons (s. oben), liegt reizend am Ausfluß der Reuß aus dem Vierwaldstätter See, 439 m ü. M., mit dem Blick auf Rigi und Pilatus, ist Knotenpunkt der Bahnlinien Basel-Olten-L., Zug-L., L.-Gümlingen-Bern, der Gotthardbahn, der Brünigbahn sowie der Straßenbahn L.-Kriens und zählt (1900) 29,600 Einw., darunter 4933 Protestanten und 299 Juden. Die Stadt selbst ist eng angelegt, gegen N. von einer Reihe hoher, mittelalterlicher Schutztürme eingefaßt, hat sich aber durch Kai- und Häuserbauten, namentlich eine größere Zahl prächtiger Gasthöfe (wie Schweizerhof, Grand Hôtel National u.a.), erweitert und verschönert. Über die Reuß führen 3 Fahr-, 3 Fußgänger- und eine Eisenbahnbrücke. Unter den kirchlichen Gebäuden steht voran die Stiftskirche St. Leodegar (1633–35 erbaut) mit zwei schlanken Türmen von je 75 m Höhe (der eine trägt die Jahreszahl 1406) und einer vorzüglichen Orgel von 95 Registern. Andre hervorragende Gebäude sind: das Regierungsgebäude, die Jesuitenkirche (von 1667–73), das ehemalige Ursulinerinnenkloster Mariahilf (jetzt Mädchenschulhaus), die reformierte Kirche (von 1860), die englische Kirche (1898), das Rathaus, das Postgebäude, der neue Bahnhof (1896), das Kurhaus (1882), das internationale Kriegs- und Friedensmuseum (1901), das Verwaltungsgebäude der Gotthardbahn, das große Stadtspital, das Pfründehaus in der Sente, das Waisenhaus, das Theater, das neue Korrektionshaus, das Museum, das Bibliothekgebäude, das neue Schulhaus am Krienbach und das Zeughaus mit alten Trophäen, das neue Kantonsspital etc.

Wappen der Stadt und des Kantons Luzern.
Wappen der Stadt und des Kantons Luzern.

Die Wasserversorgung (1876), das Gaswerk (1853) und das Elektrizitätswerk (1897) stehen im Dienst der Stadtverwaltung. Zu den Sehenswürdigkeiten gehört der »Gletschergarten« mit Riesentöpfen, Gletscherschliffen und dem zum Gedächtnis der am 10. Aug. 1792 bei der Verteidigung der Tuilerien gefallenen Schweizergardisten 1820 errichteten Monument, einem nach Thorwaldsens Modell in die Felsenwand eingehauenen Löwen von 9 m Länge und 5,6 m Höhe. Der Fremdenverkehr belief sich 1902 auf 136,481 abgestiegene Fremde. Es bestehen 67 Hotels und Gasthäuser und zahlreiche Pensionen, ferner 15 Banken, darunter 2 Notenbanken. Endlich verdient Erwähnung das Pfyffersche Relief der Urkantone, vom Anfang des 19. Jahrh., über 6,5 m lang und 3,5 m breit. Schöne Aussichtspunkte sind: die Fluhmatt, die Allenwindenhöhe, die drei Linden am Gizlisberg, der Gütsch, mit Drahtseilbahn zugänglich, die Ruinen des Schlosses Stollberg; im W. von L. liegt das Kurhaus Sonnenberg (870 m), wohin Drahtseilbahn führt. Vgl. Heer, Führer für L., Vierwaldstätter See und Umgebung (14. Aufl., Luzern 1905); Wapf, Das Wirtschaftswesen der Stadt L. in alter und neuer Zeit (Zürich 1895) und Literatur zu folgendem Artikel.

Geschichte der Stadt und des Kantons Luzern.

Die Stadt L. verdankt ihren Ursprung und wahrscheinlich auch ihren Namen (Ludgaria, Luciaria) dem Kloster St. Leodegar, das um 740 von Mönchen der Abtei Murbach im Elsaß gestiftet wurde und mit seinen Besitzungen unter der Herrschaft des Mutterklosters verblieb. Dieses verkaufte die Stadt 1291 an Rudolf von Habsburg, aber zur Wahrung seiner unter der geistlichen Herrschaft errungenen städtischen Freiheiten trat L. 7. Nov. 1332 in den Bund der Waldstätte. Das dadurch gelockerte Verhältnis zu Österreich wurde durch die Schlacht von Sempach 1386 vollends zerrissen, und 1390 erhielt die Stadt von König Wenzel mit dem Blutbann die Bestätigung ihrer Reichsfreiheit. Im 14. und 15. Jahrh. erwarb sich L. durch Kauf, Verpfändung und Eroberung ein bedeutendes Untertanengebiet. Gegen die Reformation verhielt es sich feindselig; es wurde der Mittelpunkt der gegenreformatorischen Bestrebungen in der Schweiz. Auf Veranlassung des kriegsberühmten Schultheißen Ludwig Pfyffer (s. d.) wurden 1574 die Jesuiten nach L. berufen, wo seit 1586 auch ein päpstlicher Nunzius seinen ständigen Sitz hatte. Am 5. Okt. 1586 beschworen die sieben katholischen Orte[889] den Borromeischen Sonderbund in L. Auch in L. entwickelte sich die städtische Verfassung durch das Selbstergänzungsrecht der Räte und die Erhöhung der Befugnisse derselben auf Kosten der Bürgergemeinde im 16. und 17. Jahrh. zu einer patrizischen Oligarchie; die Landschaft aber litt durch Mißachtung ihrer verbrieften Rechte, Erhöhung der Abgaben und Willkür der Landvögte. Daher nahm 1653 in dem luzernischen Entlebuch der große Bauernkrieg in der Schweiz seinen Anfang, dessen Niederwerfung die unumschränkte Herrschaft des Patriziats bis 1798 begründete. Am 31. Jan. 1798 erklärte der Große Rat die aristokratische Regierungsform für abgeschafft, und L. wurde zur Hauptstadt der Helvetischen Republik erhoben. Die Mediationsakte machte den Kanton L. 1803 wieder zu einem besondern Staatswesen mit repräsentativer Verfassung. Allein 1814 wurde dieselbe durch einen Handstreich des Schultheißen Rüttimann gestürzt und die Staatsform derjenigen vor 1798 angenähert mit dem Unterschiede, daß die Landschaft die Hälfte der Repräsentanten im Großen Rat erhielt. Eine Verfassungsrevision beseitigte 1829 das Selbstergänzungsrecht des Kleinen Rates und entzog demselben die richterliche Gewalt; nach der Julirevolution wurde auf das Verlangen einer Volksversammlung in Sursee (21. Nov.) ein Verfassungsrat gewählt, dessen am 30. Juni 1831 angenommener Entwurf der Landschaft eine gerechtere Repräsentation gewährte, Gleichheit vor dem Gesetz, Denk- und Preßfreiheit verkündete. Aber da das liberale Regiment, das 1830 zur Herrschaft kam, die Interessen der katholischen Kirche zu verletzen schien, strebte eine klerikal-demokratische Partei unter der Führung des Bauers Joseph Len von Ebersol und des Staatsschreibers Konstantin Siegwart-Müller dahin, den Sturz desselben mittels einer Verfassungsrevision herbeizuführen. Diese wurde von dem durch Jesuitenmissionen bearbeiteten Volk beschlossen (31. Jan. 1841) und der Verfassungsrat vollständig im Sinne der »Leuenpartei« bestellt. Das neue, 1. Mai angenommene Grundgesetz raubte der (liberalen) Stadt das letzte Vorrecht, indem es die Vertretung nach der Kopfzahl feststellte, gab dem Volk das Veto gegen mißliebige Gesetze, befreite die Kirche von aller staatlichen Hoheit und überlieferte ihr das Unterrichtswesen. Die neue Regierung, deren Haupt Siegwart-Müller war, bezeichnete ihre Stellung, indem sie den Papst um seinen Segen zu dem Werk bat. Die Krönung desselben durch die Berufung der Jesuiten an die höhern Lehranstalten (W. Okt. 1844), die verunglückten Schilderhebungen und Freischarenzüge der Radikalen (8. Dez. 1844 und 30./31. März 1845), die Verurteilung und Flucht des Dr. Steiger, ihres Hauptes, die Ermordung Leus, die Stiftung des Sonderbundes (im Dezember 1845) und dessen Niederwerfung durch die Eidgenossenschaft (im November 1847) gehören der allgemeinen Geschichte der Schweiz (s. d.) an. Unmittelbar nach der Niederlage bei Gislikon (23. Nov. 1847) flüchtete sich die Sonderbundsregierung von L. nach Altorf und löste sich auf, worauf der Stadtrat von L. sich als provisorische Regierung konstituierte und die Neuwahl des Großen Rates anordnete, der in der Mehrzahl liberal bestellt wurde. Als die von ihm ernannte Regierung, um die Kriegskosten zu bestreiten, die Klöster St. Urban und Rathausen aufhob, ergriffen die Klerikalen das Veto, brachten es aber nicht auf die nötige Stimmenzahl. Ebenso wurde eine Abänderung der Verfassung, die alle tendenziös klerikalen Bestimmungen daraus entfernte, 13. Febr. 1848 angenommen. Am 6. Dez. 1856 wurden auf Antrag der liberalen Regierung sämtliche Mitglieder des sonderbündischen Kriegsrats, die 1850 zum Schadenersatz verurteilt worden waren, mit Ausnahme des im Exil lebenden Siegwart-Müller, vom Großen Rat amnestiert. 1863 wurde durch eine Totalrevision der Verfassung an Stelle der teilweisen Erneuerung der Behörden die Integralerneuerung gesetzt, 1869 durch eine Partialrevision das Veto erleichtert und die Berücksichtigung der Minderheit bei Bestellung der Regierung vorgeschrieben. Am 7. Mai 1871 ergaben die Neuwahlen eine klerikale Mehrheit im Großen Rat, der dann auch die Regierung zum größten Teil aus Klerikalen bestellte. Wie die von Zug, erkannte sie die von den übrigen Solothurner Diözesanständen gegen den Bischof Lachat gefaßten Beschlüsse nicht an, worauf dieser 1873 in L. seinen Sitz nahm. Die Revision der Bundesverfassung von 1874, die übrigens von L. verworfen wurde, machte auch eine solche der kantonalen Verfassung notwendig; das am 28. Febr. 1875 vom Volke genehmigte neue Grundgesetz erlitt indes 1882 und 1890 Abänderungen; durch die erstere wurde infolge der Aufhebung des eidgenössischen Verbots die Todesstrafe, durch die letztere die Volksinitiative für Verfassungsänderungen eingeführt und die Entscheidung bei Volksabstimmungen der Mehrheit der Stimmenden statt der Stimmfähigen zugewiesen. Vgl. Pfyffer, Geschichte der Stadt und des Kantons L. (Zür. 1850–52, 2 Bde.) und Der Kanton L. (St. Gallen 1858–59, 2 Tle.); v. Segesser, Rechtsgeschichte der Stadt und Republik L. (Luz. 1851–58, 4 Bde.) und Fünfundvierzig Jahre im luzernischen Staatsdienst (Bern 1887); B. v. Meyer, Erlebnisse (Wien 1875, 2 Bde.); v. Liebenau, Das alte L. (Luzern 1882); »Der Geschichtsfreund. Mitteilungen des historischen Vereins der fünf Orte L., Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug« (Einsiedeln und Stans 1843 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 889-890.
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