Cousin [2]

[323] Cousin (spr. kusäng), 1) Jean, franz. Bildhauer und Maler, geb. 1501 in Soucy bei Sens, gest. um 1590, war anfangs als Glasmaler tätig und führte unter andern die Legende des heil. Eutropius im Dom zu Sens (1530), vier Gemälde in der Kirche St.-Gervais zu Paris (1551) und die Glasfenster der Kapelle des Schlosses Fleurigny bei Sens aus. Doch malte C. auch in Öl. Sein Hauptwerk in der Ölmalerei ist das Jüngste Gericht im Louvre, das indessen trotz seiner fleißigen Ausführung geringen Geschmack in der Komposition zeigt. C. wurde von seinen Landsleuten, die ihn den französischen Michelangelo nannten, sehr überschätzt. Auch als Bildhauer erfreute sich C. eines hohen Ansehens: die liegende Statue von Phil. de Chabot im Louvre ist ein lebendiges, frisch aufgefaßtes Werk. Der vielseitige Künstler schrieb auch: »La vraie science de la pourtraicture« (zuerst Par. 1571 u. ö.; u. d. T.: »L'art de desseigner, revu etc. par Fr. Jollain«), ferner »Livre de perspective« (das. 1560 u. ö.). 1880 wurde ihm in Sens ein Standbild von Chapu errichtet. Vgl. Didot, Étude sur Jean C. (Par. 1872); Derselbe, Recueil des œuvres choisies de Jean C. (40 Tafeln, das. 1872).

2) Victor, berühmter franz. philosophischer Schriftsteller, geb. 28. Nov. 1792 in Paris als Sohn eines armen Handwerkers, gest. 12. Jan. 1867 in Cannes infolge eines Schlaganfalls, war Schüler von Maine de Biran und von Royer-Collard, der ihn in die Philosophie der schottischen Schule einführte und so mittelbar Kant nahe brachte. Schon 1815 wurde C. Stellvertreter seines Lehrers an der philosophischen Fakultät und Professor der Philosophie an dem Lycée Bonaparte. 1817 trat er eine philosophische Studienreise nach Deutschland an, auf der er Hegels und Schellings Bekanntschaft machte, von welcher Zeit an der Einfluß deutscher Philosophie in Frankreich datiert. Er hatte zwar 1820 seine Vorlesungen aus politischen Gründen einstellen müssen und war auf einer Reise in Deutschland als politischer Umtriebe verdächtig verhaftet und nach Berlin gebracht worden, doch durfte er 1828 seine Vorlesungen wieder eröffnen. 1830 wurde er Mitglied der Akademie und nach der Julirevolution Generalinspektor der Universität, 1831 Staatsrat, 1832 Direktor der Normalschule und Pair, endlich im März 1840 im Ministerium Thiers Minister des öffentlichen Unterrichts, legte diesen Posten jedoch schon im Oktober wieder nieder und lebte seitdem als Privatmann seinen Studien. C. ist der Begründer der sogen. eklektischen Schule, die ihren Standpunkt zwischen der die Metaphysik verwerfenden schottischen (Hume, Hamilton) und der die Metaphysik a priori konstruierenden deutschen Schule (Schelling und Hegel, seine »deux illustres amis«) nimmt. Er beginnt im Gegensatze zu der letztgenannten mit der Psychologie und wird durch diese selbst zur Ontologie geführt. Die Identität des Denkens und Seins ist nach C. eine Tatsache des Bewußtseins, die durch Analyse des letztern außer Zweifel gesetzt wird. In dem unmittelbaren und spontanen Akte der reinen Vernunft erlösche (ähnlich wie in Schellings intellektualer Anschauung) jede Spur subjektiver Beschränktheit. In den Vorlesungen von 1828 näherte er sich dem Standpunkte des deutschen (absoluten) Idealismus so sehr, daß er sich den Vorwurf zuzog, er habe die Philosophie in Frankreich entnationalisiert. Um demselben zu entgehen, knüpfte er in der 1845 erfolgten Umarbeitung seines zuerst 1817 erschienenen Hauptwerkes: »Le Vrai, le Beau et le Bien« (23. Aufl. 1881) an den Begründer der Philosophie in Frankreich, Descartes, an, indem er die psychologische Methode als Basis der philosophischen Fassung beibehielt. Von dieser Zeit an wurde seine Philosophie mehr Bekämpfung der sensualistischen und materialistischen Lehren, indem er auch die Religion benutzte, als strenge Wissenschaft. Die größten Verdienste hat er sich um die Verbreitung des Studiums der Geschichte der Philosophie, namentlich der französischen des Mittelalters, und um die Hebung des öffentlichen Unterrichtswesens (nach deutschem Muster) erworben. Außer seinen Übersetzungen des Platon (1822–38, 12 Bde.) und des Cartesius (1824, 6 Bde.), außer Ausgaben des Proklos (1820f., 5 Bde.) und der Werke Abälards (mit Jourdain u. Despois, 1849–1859, 2 Bde.) sowie der Veröffentlichung von bisher unedierten Schriften Abälards (1836, darunter »Sie et Non«) hat er eine große Reihe von Schriften verfaßt. Seine Werke sind in fünf Abteilungen erschienen, I-II; »Cours de l'histoire de la philosophie moderne« (1846–48; 7. Ausg. 1866, 8 Bde.), III: »Fragments philosophiques« (1847–48, 4 Bde.), IV: »Littérature« (1849, 3 Bde.), V: »Instruction publique« (1850, 3 Bde.). Öffentliche Vorlesungen, von Stenographen nachgeschrieben, erschienen als »Cours de philosophie« (1836). Die Resultate seiner Reise nach Deutschland teilt er mit im »Rapport sur l'état de l'instruction publique dans quelques pays de l'Allemagne« (1832, 2 Bde.; 3. Aufl. 1840; deutsch von Kröger, Altona 1832–37, 3 Bde.). In der letzten Zeit seines Lebens widmete er sich mit Vorliebe der Schilderung hervorragender Frauen und des geistigen Lebens des 17. Jahrh., so in den Schriften »Madame de Hautefort« (1856); »La société française an XVII. siècle« (1858, 2 Bde.). Unter seinen Schülern sind Jouffroy, Ch. de Rémusat, Bartholmèß, Janet die bekanntesten. Vgl. Rob. Zimmermann, Studien und Kritiken, Bd. 1, S. 384ff. (Wien 1879); Mignet, Victor C. (Par. 1869); Janet, V. C. et son æuvre (3. Aufl., das. 1893); Jules Simon, V. C. (das. 1887); Barthélemy Saint-Hilaire, Victor C., sa vie et sa correspondance (das. 1895, 3 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 323.
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