Französische Literatur in Belgien

[24] Französische Literatur in Belgien. Obwohl das Gebiet des heutigen Belgien schon im Mittelalter der französischen Literatur bedeutende Vertreter zugeführt hat, wie Adenet, Le Bel, Comines (s. oben: S. 5,7 und 19), läßt sich doch erst seit der definitiven Losreißung des Landes von Frankreich (1815) seine Literatur als ein für sich bestehendes Ganze auffassen. In die Zeit, die der Trennung von Holland vorausliegt (1830), fallen die Anfänge der Schriftsteller Flor. Delmotte (gest. 1836), Lesbroussart (gest. 1818), Mathieu, die Tragödien von Raoul (gest. 1848) und F. I. Alvin (gest. 1838), die Komödien von Clavareau (gest. 1864) und Reiffenberg (gest. 1850), die Vaudevilles Quételets (gest. 1874). Einen bedeutendern Aufschwung nahm die Literatur nach 1830. Auf dem Gebiete des Romans blühte zunächst der historische Roman, im Anschluß an Scott und dessen französische Nachahmer, vertreten durch Saint-Genois (gest. 1867) und De Coster (gest. 1879). Der realistische Roman ist aus der Gesellschaft der Joyeux in Brüssel (seit 1847) hervorgegangen. Auch hier tat sich De Coster hervor, etwas später Greyson (sein 856), Leclercq (geb. 1827), Frau Estelle Ruelens (geborne Crèvecoeur, gest. 1878). Das Platt-Hausbackene mit komischer Wirkung pflegt Léopold Courouble.

Die lyrischen Dichter schlossen sich mehr oder weniger an die deutsche (Wacken, gest. 1861) und französische Romantik an (Mathieu, gest. 1876; Pirmez, gest. 1882; van Hasselt, gest. 1874). Eine glückliche Neuerung im Vers hat der letztgenannte versucht, indem er in seinen zarten Dichtungen die festen Hebungen des deutschen Verses auf den französischen Vers übertrug. Ein echter Volksdichter war Clesse (gest. 1889), der »belgische Béranger«; in der Satire errang Benoît Quinet Lorbeeren. Zu den hervorragendsten lyrischen Erzeugnissen gehören die zur Verherrlichung der deutschen Waffentaten von 1870 gedichteten Lieder von Sonst de Borckenfeldt (gest. 1877). Die Bühnendichtung ist im ganzen wenig bedeutend. Von 1830–40 stand das vaterländische und historische Drama in Blüte, und zu den besten Schöpfungen dieser Art gehört das Trauerspiel »André Chénier« von Wacken (1844). Lustspiele in Versen haben besonders Labarre, H. Delmotte (gest. 1884) und Guilliaume (dieser auch ernste Dramen) verfaßt. Noch bessern Erfolg erntete in Paris der Lütticher Hennequin mit seinen Possen. Seit 1883 stand die neue, in sich sehr uneinige Schule der Jeune Belgique im Vordergrund, die dem Grundsatze der Parnassiens: L'art pour l'art, huldigte und, merkwürdig genug, meist Nichtwallonen umfaßte. Als Führer galten Lemonnier (geb. 1841, lebt in Paris) und Picard (geb. 1836). Neben ihnen ist als Romanschreiber besonders Eekhoud (geb. 1854, lebt in Paris) zu nennen. Als Lyriker zeichnen sich M. Warlomont (Pseudonym M. Waller, gest. 1889), Rodenbach (geb. 1855, gest. 1899 in Paris), Emile Verhaeren, Iwan Gilkin, Albert Giraud und Valère Gille aus; als Dramatiker hat Maeterlinck weitreichende Erfolge errungen. Auch die mystisch-philosophischen Werke des letztern erfreuen sich eines internationalen Leserkreises. Ferner besitzt Belgien zahlreiche Übersetzungen (aus dem Deutschen, Flämischen, Italienischen) und eine reiche belehrende und unterhaltende Literatur zur Volksbildung (von Leclercq, Lemonnier u. a.). Ein liberaler und demokratischer Zug, der die Wallonen von den ultramontanen Flamen unterscheidet, herrscht auch in ihrer Literatur vor, die trotz stilistischer Mängel durch treffende Lokalfarbe und naturwüchsige Kraft immer erfolgreicher gegen die literarische Einfuhr aus Frankreich ankämpft. Vgl. van Hasselt, Essai sur l'histoire de la poésie françaiseen Belgique (Brüssel 1838); Potvin, Nos premiers siècles littéraires (das. 1870, 2 Bde.) und dessen Histoire des lettresen Belgique (das. 1882); F. Faber, Histoire du théâtre françaisen Belgique (das. 1878–80, 5 Bde.); Nautet, Histoire des lettres belges d'expression française (das. 1893, 2 Bde.); Masoin, Histoire de la littérature françaiseen Belgique de 1815 à 1830 (das. 1902); »Patria Belgica«, Bd. 3 (das. 1875).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 24.
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