Französische Kunst

[611] Französische Kunst. Die mannigfachen Elemente, welche die französische Nation zusammensetzen, u. die eigenthümliche Lage Frankreichs, dessen weit gestreckte Meeresküsten im Süden den Völkern Italiens, im Norden denen Britanniens u. Skandinaviens Zugang gewährten, gaben diesem Lande eine ungemein vielgestaltige Kunstentwickelung, u. bei keinem andern Volke haben die verschiedenen Provinzen eine so große Selbständigkeit in der Ausbildung eigenthümlicher Baustyle an den Tag gelegt, wie bei der französischen. Die südlichen Gegenden, denen zuerst der romanische Kirchenbau überkam, hielten unter der Einwirkung noch zahlreich vorhandener römischer Bauwerke an der antiken Tradition fest, während die nördlichen Herzogthümer schon früh die romanische Bauweise in eigner Art modificirten u. die mittleren Theile Frankreichs ein Gemisch südlicher u. nördlicher Eigenthümlichkeiten in der frühesten Periode christlicher Bauthätigkeit aufzuweisen haben. Der Romanische Baustyl tritt im südlichen Frankreich schon in den ersten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts in origineller Weise ausgebildet auf. Charakteristisch für diese Bauten ist die Anwendung des Tonnengewölbes, die Gliederung des Chors durch mehrere Apsiden, gewöhnlich zu den Seiten einer Hauptapsis, u. die Sorgfalt, welche auf die den antiken Werken nachgeahmte Ausschmückung der Façaden verwendet ist. Reicher als in diesen in der Provence vorkommenden Kirchenbauten ist das Innere in den frühsten Kirchen der Auvergne gegliedert, wo schlanke Säulchen mit zierlichen Capitälen die Pfeiler gliedern, auch wohl ohne etwas zu tragen an den flachen Pfeilerwänden aufsteigen u. die Seitenschiffe sich jenseits des Querschiffes als Umgang des halbkreisförmig schließenden, in mehreren kapellenartigen Apsiden ausladenden Chores fortsetzen. Diesen verwandt sind die kirchlichen Bauten der ersten Periode in Burgund, wo aber schon eine freiere Behandlung der antiken Formen sich kundgibt. Wesentlich verschieden aber von diesen Burgundisch-Provenzalischen Bauten zeigen sich die ersten Schöpfungen der christlichen Baukunst in Süd-Westfrankreich. Hier herrscht der byzantinische[611] Kuppeldau, modificirt durch den Einfluß der romanischen Bauten, so daß der Grundriß sich wie bei diesen in die Länge streckt u. ein ausgebildeter Chor jenseits des Querschiffes mit einem Umgang u. mehreren Apsiden schließt. Das Langhaus, ohne Abseiten, ist von einer Reihe Kuppeln überdeckt, deren jede auf einem quadratisch aufgeführten Mauerwerk ruht. Ein eigenthümliches Gepräge, obwohl in der Anlage sich den französischen Bauten anschließend, tragen die Kirchen in Poitou in der äußern Erscheinung, welche das celtische Element an der wunderlich phantastischen Überkleidung der Façaden mit Sculpturen erkennen läßt. Einen ganz selbständigen Entwicklungsgang nahm die Baukunst in Nordfrankreich, wo der normannische Volksstamm, von der flach gedeckten Basilika ausgehend, zuerst das Kreuzgewölbe zu allgemeiner u. origineller Anwendung brachte, womit zugleich die reichere Entwickelung des Pfeilers in enger Beziehung stand. Bedeutsamer für die Entwickelung der Architektur Frankreichs wurde der Einfluß germanischer Elemente im Norden des Landes, während der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts, wo, während in der Detailbildung noch an den romanischen Grundlagen festgehalten wurde, die Construction die ersten Anfänge des Gothischen Bausystems zeigt. Eins der ältesten Denkmäler der Übergangszeit vom Rundbogen zum Spitzbogen ist die Abteikirche von St. Denys, an deren 1140 vollendeter Façade beide Bogenformen zugleich vorkommen. Die consequente Durchführung des gothischen Systems blieb aber den rein germanischen Völkern vorbehalten u. wurde, auf deutschem Boden zur Vollendung gelangt, als etwas Fertiges wieder nach Frankreich verpflanzt. Charakteristisch für die französische Gothik ist, daß sie auch während ihrer Blüthezeit zu Ende des 13. u. zu Anfang des 14. Jahrhunderts das horizontale Princip nicht ganz fallen läßt, indem namentlich die Façade durch ein großes Rosenfenster, durch statuengeschmückte, über die ganze Breite der Fronte hinlaufende Gallerien u. durch Abschließung der Thürme mit einem Gesims od. einer Gallerie den Horizontalismus aufrecht erhält. Mit Beginn des 15. Jahrh. hebt der Verfall der Gothik in Frankreich an, u. der sogenannte Flamboyantstyl (s. d) beginnt die reinen gothischen Formen zu verdrängen.

Während des Verfalls der Gothik kam das Streben nach einer ornamentalen Überladung der architektonischen Formen der Bildhauerkunst zu Gute, welche sich im 15 Jahrh. als selbständige Kunst aus ihrer Abhängigkeit von der Architektur befreite. Die Kriege Karls VIII. u. Ludwigs XII. vermittelten eine nähere Bekanntschaft mit den Resten der antiken Sculptur in Italien, u. schon aus dem Ende des 15. Jahrh. hat Frankreich treffliche Grabmonumente, sogar Portraitstatuen, aufzuweisen. Der namhafteste Künstler, dessen bildnerische Thätigkeit zum Nachstreben aufforderte, war zu Anfang des 16. Jahrh. Jean Goujon, welcher neben christlichen auch antike Stoffe zum Vorwurf nahm. Aber die nationale Fortbildung dieser vorzüglichen Anfänge einer selbständigen Bildkunst wurde bald gehemmt durch den Einfluß, welchen die von Franz I. nach Frankreich gerufenen italienischen Künstler, unter denen namentlich Primaticcio für die Verpflanzung des florentinischen Manierismus nach Frankreich Sorge trug, auf die heimische Kunst ausübten.

Inzwischen war auch die Malerei aus einer handwerksmäßigen Technik eine freie Kunst geworden. Als Miniaturmalerei spielte dieselbe seit dem 10. Jahrh. eine un tergeordnete Rolle u. erst zu Anfang des 14. Jahrh. gingen die Miniaturmaler von der schablonenartigen Herstellung des Handschriftenschmucks ab u. verwandten größern Fleiß auf schärfere Ausprägung der Formen u. correctere Zeichnung. Der sonst goldene od. schachbretartige Hintergrund der Figuren löste sich in eine landschaftliche Perspective auf, u. da der Geschmack der Fürsten u. Großen an diesen Minia turen zunahm, so vervollkommnete sich dieser Zweig der Malerei rasch, u. gegen Ende des 15. Jahrh. erreichte derselbe, ganz originell aus dem Studium der Natur u. der Antike unter Einwirkung der Flandrischen Malerschule hervorgegangen, seine höchste Blüthe. Von dieser Zeit an machte sich der Einfluß der italienischen Künstler bemerkbar. Vorzügliches leisteten französische Künstler um dieselbe Zeit in der Glasmalerei, welche seit dem 11 Jahrh. in Übung war, ebenso in der Schmelzmalerei, welche ihren Hauptsitz in Limoges hatte. Die Tafel- u. Wandmalerei dagegen war in Frankreich zurückgeblieben, u. Franz I. berief deshalb, als er dem Schlosse zu Fontainebleau einen reichen Bilderschmuck verleihen wollte, mehrere italienische Künstler an den Hof, we lche von anderen gefolgt, die Schule von Fontainebleau bildeten. Der fremde Einfluß wurde bald u. zwar zum Nachtheil der heimischen Kunst der herrschende. Die effectvolle Decoration überwog den geistigen Gehalt der Schöpfungen dieser Schule, u. erst gegen die Mitte des 17. Jahrh. zeigt sich ein besserer Geschmack u. eine freiere französische Kunstentwickelung, deren Hauptvertreter Claude le Lorrain, Nic. Poussin u. Lesueur sind. Die erste Hälfte der Regierung Ludwigs XIV. wurde eine Glanzperiode nicht nur der Malerei, sondern auch der bildenden Künste überhaupt. Im Allgemeinen ist ein Zurückgehen auf die Antike bemerkbar u. zugleich das Streben durch Großartigkeit zu imponiren. Daß die Schönheit u. Reinheit der Formen dabei meist unter dem Bemühen Staunen u. Bewunderung zu erregen, leiden mußte, entsprach durchaus dem Charakter jenes Fürsten, welcher seiner Zeit den Stempel seines eigenen Wesens aufdrückte.

Die Baukunst, welche von Italien nach dem Verblühen der Gothik eine neue Anregung erhalten hatte u. als Renaissance auch in Frankreich auf die Antike zurückging, erhielt ein reiches Feld neuer Thätigkeit in den Profanbauten für öffentliche od. private Zwecke. Schon während des 16. Jahrh. hatte der Renaissancestyl eine Anzahl prachtvoller Schloßbauten, so den alten Louvre, den mittleren Theil der Tuilerien, den Küchenhof zu Fontainebleau u.a. hervorgebracht. Das bedeutendste Werk dieses Styls unter Ludwig XIV. war das Versailler Schloß. Aber schon im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrh beginnt die Ausartung desselben. Der Ernst u. die Würde, welche die breiten Massen des Mauerwerks hervorrufen, geht verloren in Schnörkeleien und Tändeleien mit Ornamenten, u. zierliche Details suchen den Mangel schöner Grundgedanken zu ersetzen. Mit Riesenschritten bricht die Zeit des Roccoco- od. Zopfstyl herein, dessen Wesen äußeres Prunken bei innerer Leere auch die französische Bildhauerkunst u. Malerei kennzeichnet. Zwar zeigt sich gegen Ende der Regierungszeit Ludwig XV. wieder ein Zurückgehen auf die Antike, aber auch[612] mehr wie das Resultat einer zufälligen Laune als einer Geschmacksläuterung, so in dem Gardemeuble u. in dem Pantheon (Genovevakirche).

Malerei u. Bildhauerkunst waren seit dem Ende des 17. Jahrh. ganz denselben Wandlungen wie die Baukunst unterworfen. Erstere entfaltete unter Lebrun u. Mignard in der Versailler Schule ihre Blüthe im Anfange der Regierung Ludwigs XIV., letztere kam zu keiner freieren selbständigen Entwickelung, u. die Erscheinung Pujets, welcher der coquetten Klassicität jener Zeit mit derbem Naturalismus gegenübertrat, ist eine ganz vereinzelte. In der Bildhauerkunst äußerte sich der Rückschlag gegen den Geist der Zopfzeit eben so wie in der Baukunst als sklavische Nachahmung der Antike, nüchtern u. ohne inneres Leben. Canova's Einfluß war dabei in Frankreich fast durchweg maßgebend. Zu Anfang des 19. Jahrh., namentlich während der Restauration. begann ein frischer Naturalismus, auf charakteristische Darstellung des Lebens, namentlich bei Porträtstatuen, ausgehend, gegen den einseitig klassischen Idealismus anzustreben. Das Haupt dieser modernen naturalistischen Schule war David d'Angers. In der Malerei beginnt der schroffe Uebergang vom Zopf zur ängstlich strengen Antike mit Louis David, dem Maler der Revolution u. Kaiserzeit. Freiere Bewegung gewann auch die Malerei in Frankreich erst während der Restauration, als Horace Vernet, Delacroix, Ary Scheffer u. vor Allen Paul Delaroche sich unmittelbar der Natur u. dem Leben zuwandten. Diese sogen. Romantische Schule, welche zugleich das Genre ungemein förderte, zeigte indeß bald eine Ausartung in einseitiger Verfolgung der realistischen Richtung. Der sprechenden, bis ins Detail treuen Copie des Lebens wurde das höhere Princip maßvoller Schönheit u. ideeller Verklärung der Wirklichkeit geopfert. Das Haschen nach Effect, um das ungeübte Auze des Laien zu blenden, führte die Romantische Schule zu dem äußern Pathos zurück, über welches Louis David nicht hinauskonnte. Klassische u. romantische Richtung trafen hier auf einem Punkte wieder zusammen. Zwischen beiden Extremen behauptete Ingres eine ziemlich unabhängige Stellung u. übte als Lehrer zahlreicher Schüler einen wohlthätigen Einfluß auf die Kunstbestrebungen der neuesten Zeit.

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Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 611-613.
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