Odessa

[212] Odessa, 1) Stadtgouvernement, welches die gleichnamige Stadt mit einem kleinen Gebiete umfaßt, einen Kreis des russischen Gouvernements Cherson bildet u. 140,000 Ew. zählt; 2) Stadt hier am Schwarzen Meere, am westlichen Ufer einer großen Bai, auf hoher Küste gelegen, so daß eine Treppe von 100 Fuß zu dem Hafen hinabführt, rings von Steppe umgeben, ist die dritte Stadt des. Russischen Reichs u. Sitz des Generalgouverneurs von Neu-Rußland u. Bessarabien, eines Militärgouverneurs u. des Erzbischofs von Cherson u. Taurien. O. ist offen, hat mehre öffentliche, mit Alleen geschmückte Plätze u. Märkte, die schöne Straße längs der Küste heißt der Boulevard, wo dem Herzog von Richelieu 1826 ein Denkmal errichtet wurde; Botanischen Garten; 16 Kirchen (darunter die Kathedrale St. Nikolaus, evangelische u. katholische Kirche), Synagoge, das Richelieulyceum mit einer adligen Pension, Institut für Orientalische Sprachen mit Bibliothek, Gymnasium, adeliges Fräuleinstift, mehre Kreisschulen, Technologisches Institut, Hebräische Schule, Schule für Acker- u. Gartenbau, öffentliche Bibliothek, Dendrographisches u. Mineralogisches Cabinet, Gesellschaft für Geschichte u. Alterthümer, Museum für Alterthümer, 3 Theater, Börse, Comptoir der Commerzbank, mehre wohlthätige Anstalten (darunter eine für Deutsche), großen Bazar (Palais royal), Jahrmarkt vom 14. Sept. bis 1. Oct., mehre Kasernen, Quarantäneanstalt, Sitz einer russischen Dampfschifffahrtsgesellschaft. In zahlreichen Fabriken fertigt man Tuch, Baumwollen- u. Seidenzeuge, Seife, Seile, auch hat man große Schiffswerfte, Schmiedewerkstätten, Branntweinbrennereien u. Bierbrauereien; die Fischerei ist bedeutend, das Hauptgeschäft O-s aber ist der Handel, da die Stadt Stapelplatz des ganzen russischen Handels im. Schwarzen Meer ist; bes. wird das Getreide Südrußlands u. Volhyniens, doch auch viel Mehl, Talg, Eisen, Kupfer, Caviar, Wachs, Hausenblase, Pottasche, Theer, Tauwerk, Pökelfleisch, Häute, Butter, Wolle etc. ausgeführt; eingeführt werden dagegen die Producte der Levante u. überhaupt der Küsten des Mittelmeers. Der Hafen ist durch zwei Dämme in drei Theile (Quarantaine-, Kriegs u. Handelshafen) getheilt, aber wegen seiner nicht hinreichenden Tiefe müssen die Schiffe von großem Tiefgang weit ab von der Küste ankern, auch gewährt er keinen Schutz gegen die heftigen Südost- u. Ostwinde. Durch den Krieg von 1853–56 litt der Handel zwar bedeutend, nahm aber nach dem Frieden wieder neuen Aufschwung. Ein seit 1833 auf dem Cap Takli angelegter Leuchtthurm leitet die aus- u. einfahrenden Schiffe bei Nacht. Eine Wasserkunst, eine Meile von der Stadt entfernt, versorgt die Stadt mit Wasser. Die Einwohnerzahl betrug 1856 über 101,000 Seelen: Russen, Franzosen, Italiener, Engländer, Deutsche (fast alle Handwerker sind Deutsche), Juden etc. – O. wurde 1792 südwestlich von dem alten Odessos auf der Stelle des frühern tatarischen Dorfes Chadschibey auf den Rath des Admirals Ribas von der Kaiserin Katharina II. angelegt u. blühte schnell empor, bes. seit 1803, wo der Herzog von Richelieu Gouverneur daselbst wurde; dieser fand 400 Häuser u. 7.–8000 Ew., u. als er 1814 seine Stelle abgab, verließ er 2600 Häuser mit 35,000 Ew. Nach Richelieu machten sich die Grafen Langeron u. Woronzow um das Wachsthum O-s verdient. Von 1817–1857 (15. Aug.) war O. ein Freihafen; am 22. April u. am 16. Mai wurde O. von den verbündeten Flotten der Franzosen u. Engländer wiederholt beschossen, doch ohne großen Schaden zu leiden, obgleich es nur durch einige schnell angelegte Batterien am Strande u. auf dem Hafendamm vertheidigt wurde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 212.
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