Sankt Gallen [1]

[557] Sankt Gallen, einer der nordöstlichen Kantone der Schweiz, grenzt östlich an Österreich und Graubünden, südlich an Graubünden, Glarus und Schwyz, westlich an Zürich, nördlich an Thurgau und umschließt den Kanton Appenzell. Der Flächeninhalt beträgt 2019 qkm (36,7 QM.). Der Kanton umfaßt von SO. nach NW. die hochalpinen Gebiete der Sardonagruppe (s. d., Ringelspitze 3249 m) mit Abdachungen zum Walensee (Seez-Linthgebiet), dann die alpinen Churfirsten und das Säntisgebirge (2504 m, s. d. und Appenzeller Alpen), getrennt durch das obere Toggenburg (s. d.), beiden vorgelagert die subalpinen und montanen Nagelfluthgebiete bis Wyl und über St. Gallen hinaus bis zum Tannenberg (901 m).

Kantonswappen von St. Gallen.
Kantonswappen von St. Gallen.

Diese Gelände sind durchfurcht vom Rhein- und Seeztal, der Linth (Gaster), der Thür (Toggenburg, Alte Landschaft, Fürstenland von 400 bis mehr als 1000 m Höhe). Paßartige Übergänge führen hauptsächlich von St. Gallen und Altstätten aus (s. Stoß und Ruppen) in den Kanton Appenzell. Das Toggenburg steht mit dem Tößtal über die Hulftegg (997 m), mit dem Linthgebiet über den Hummelwald und mit dem Werdenberg durch den Paß von Wildhaus (1104 m) in Verbindung, alle drei fahrbar, während der Kunkels, der begangenste Paß des Sarganser Landes (1351 m), höchstens Karren zugänglich ist. Die drei großen Bassins des Boden-, Walen- und Zürichsees gehören teilweise dem Kanton S. an. Das Klima ist je nach Höhe und Lage verschieden; mild in den nördlichen und nordwestlichen Gegenden, um Wyl, Rorschach, im Unter-Rheintal, und am wärmsten in der Talsohle des Bezirks Sargans; in der Umgebung der Hauptstadt rasch wechselnd und rauh. Altstätten im Rheintal (470 m) hat ein Jahresmittel von 8,6°, St. Gallen (680 m) von 7,15° und Ebnat (646 m) von 6,8°.

Der Kanton zählt (1900) 250,992 Einw. und zerfällt in 15 Bezirke. Die Bevölkerung ist deutsch und entsprechend der geschichtlichen Entwickelung der einzelnen Landschaften zu 2/3 katholisch und 2/3 protestantisch (99,114 Protestanten). Im Fürstenland und Linthgebiet, auch im Alt-Toggenburg und Ober-Rheintal herrscht das katholische Bekenntnis; die Reformierten überwiegen in der Hauptstadt, im Neu-, Ober- und Unter-Toggenburg, im Unter-Rheintal,. am entschiedensten in Werdenberg. Seit 7. Nov. 1845 bildet der katholische Kantonsteil ein eignes, direkt unter dem Papste stehendes Bistum. Noch bestehen 13 Klöster.

Von der Bodenfläche sind 1839,7 qkm (91,1 Proz.) produktives Land; 405,55 qkm Wald, 4,84 qkm Rebland, 1429,31 qkm Acker-, Garten-, Wiesen- und Weideland. Von unproduktivem Boden entfallen 7,4 qkm auf Gletscher, 84,98 auf Seen. Der Feldbau, beschränkt auf die flachern Landschaften, vermag bei weitem nicht den Bedarf an Getreide zu decken. Mais wird in Sargans, Werdenberg und im Rheintal gebaut. Die Rebe, auf die Täler des Rheins und der Linth beschränkt, liefert ein ausgezeichnetes Getränk. Der Obstbau ist ebenfalls ungenügend, am stärksten im Fürstenland, Rheintal und Gaster. St. Gallen, Wyl und Altstätten haben große Obstmärkte. Auch die Waldungen genügen dem Bedürfnis nicht; doch schickt das Oberland viel Holz nach Zürich und Glarus. Der Kanton zählte 1901: 7194 Pferde, 104,558 Stück Rindvieh, 35,994 Schweine, 6245 Schafe, 20,037 Ziegen und 15,782 Bienenstöcke. Viel [557] Rindvieh findet sich hauptsächlich im Toggenburg und Gaster. Letzteres hat den schönen Schwyzer Schlag, kleiner ist die Toggenburger Rasse. Der Vieh-, Butter- und Käsemarkt von Lichtensteig (und Wyl) ist stark besucht. Für die Hebung einer rationellen Alpenwirtschaft wird in neuester Zeit von seiten des kantonalen Volkswirtschaftsdepartements, vom Bund unterstützt, sehr viel getan. 34 Gemeinden des Kantons S. besitzen 304 Alpen mit einer Gesamtfläche von 52,177, a Hektar oder 26,51 Proz. der Gesamtfläche des Kantons und (1905) einem Kapitalwert von ca. 14 Mill. Fr. Vgl. Schnider, Die Alpwirtschaft im Kanton S. (Bern 1896). In den 17 kantonalen Fischzuchtanstalten wurden 1903/04: 6,86 Mill. Eier von Felchen, Fluß- und Bachforellen, Seeforellen, Hechten etc. eingesetzt und 3,75 Mill. ausgebrütete Fischchen ausgesetzt. Schöne Sandsteine werden bei Rorschach und Bolligen (am obern Zürichsee) gebrochen. Mels liefert ausgezeichnete Mühlsteine und Ofenplatten, Pfäfers Dach schiefer, Degersheim (im untern Toggenburg) eine vielverwendete Nagelfluh. Das Eisenbergwerk am Gonzen (s. d.) ist nicht mehr im Betrieb. Unter den Mineralquellen ist die von Pfäfers (s. d.) die bekannteste. Die Baumwollindustrie, namentlich Stickerei mit ihren Hilfsgewerben, bildet den Hauptindustriezweig des Kantons. Im J. 1900 gab es 23,000 Stickmaschinen, worunter 2500 mit mechanischem Antrieb, in 280 Fabriken mit 10,000 Arbeitern und einer Gesamtproduktion von ca. 100 Mill. Fr. Außerdem bestehen 10 Baumwollspinnereien mit 283,898 Spindeln, Zwirnereien, Maschinenfabriken, endlich Seidenindustrie in der Gegend von Werdenberg über Sargans nach Gaster und dem Seebezirk. Der große Verkehrsplatz des Kantons ist die Hauptstadt (s. unten). Mit dem Bodenseehafen Rorschach und dem Rheintal ist sie durch eine Eisenbahn verbunden, ebenso mit dem Appenzeller Land durch die schmalspurige Appenzeller Bahn über Winkeln-Herisau, die Zahnrad-Straßenbahn St. Gallen-Gais und die elektrische Trambahn St. Gallen-Trogen. In Rorschach knüpfen die Bahnlinie nach Romanshorn-Konstanz und die Zahnradbahn nach Heiden (90 pro Mille Steigung) an sowie die Dampferkurse des Bodensees; die Bundesbahnen führen das Rheintal aufwärts nach Altstätten-Sar gans-Chur und von Sargans die Linthlinie nach Wesen-Rapperswil-Uster-Zürich. Die Toggenburger Bahn verbindet Wyl mit Ebnat und führt bald durch den Rickentunnel von hier nach Uznach-Rapperswyl. Das heutige Schulwesen des Kantons S. gehört zu den regenerierten. Über der Primarstufe der Volksschule (285 Schulen mit 37,293 Schülern) folgt die fakultative der Sekundärschule (38 Schulen mit 2732 Zöglingen). Das staatliche Lehrerseminar, für beide Konfessionen gemeinsam, befindet sich in Rorschach. Als höhere Lehranstalt besteht die Kantonsschule in St. Gallen; sie zerfällt in ein Gymnasium und eine Industrieschule mit nach technischer und merkantiler Richtung getrennten Kursen. Auch bestehen in Sornthal eine Molkereischule, bei St. Gallen eine Taubstummenanstalt, in Pfäfers eine kantonale Irrenheilanstalt, bei Wyl ein Altersasyl, und im ganzen Kanton gibt es 6 Rettungsanstalten sowie im Toggenburg eine Zwangsarbeitsanstalt. Die öffentlichen Bibliotheken zählen 170,000 Bände; die bedeutendsten sind die Stiftsbibliothek (1742 Handschriften, 1583 Bände Inkunabeln, 50,000 Bände) und die Vadianische oder Bürgerbibliothek (521 Handschriften, 416 Bände Inkunabeln, 80,000 Bände) in St. Gallen. Vgl. Weidmann, Geschichte der Bibliothek von S. (St. Gallen 1846); Hattemer, Denkmahle des Mittelalters, St. Gallens altteutsche Sprachschätze (das. 1844–1849, 3 Bde.); Henning, Über die St. Galler Sprachdenkmäler (Straßb. 1875); »Verzeichnis der Handschriften der Stiftsbibliothek zu St. Gallen« (Halle 1875).

Die Verfassung ist repräsentativ-demokratisch. Die Legislative und die Oberaufsicht der gesamten Landesverwaltung ist einem Großen Rat (Kantonsrat) übertragen, der gemeindeweise auf drei Jahre gewählt wird, je ein Mitglied auf 1500 Seelen, aber so, daß jede Gemeinde wenigstens ein Mitglied zu wählen hat. Die von ihm erlassenen Gesetze unterliegen der Volksabstimmung, sofern 4000 Bürger es verlangen. Die oberste Exekutivbehörde ist ein Regierungsrat von 7 Mitgliedern, die vom Großen Rat auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt werden; der je auf ein Jahr gewählte Präsident führt den Titel Landammann. Die oberste richterliche Behörde ist ein ebenfalls vom Großen Rat, aber auf sechs Jahre gewähltes Kantonsgericht von 9 Mitgliedern. In den 15 Bezirken bestehen je ein Bezirksammann (für die Exekutive) und ein Bezirksgericht, in den Gemeinden ein Gemeinderat, dessen Präsident den Titel Gemeindeammann führt, und ein Vermittler. Die Staatsrechnung von 1905 zeigt an Einnahmen 5,772,912 Fr., an Ausgaben 5,789,823 Fr. Unter den Einnahmen erscheinen als größter Posten die direkten Abgaben (2,657,303 Fr.), unter den Ausgaben das Bauwesen (Straßen- und Wasserbau 1,263,610 Fr.), Erziehung (802,689 Fr.). Das Staatsvermögen betrug Ende 1905: 8,524,839 Fr. Zu diesem unmittelbaren Staatsgut kommen noch 41 Spezialverwaltungen und Fonds, so daß der gesamte Vermögensbestand sich auf 25,848,679 Fr. beläuft. Das Kantonswappen (s. Abbildung) zeigt in Grün ein silbernes Liktorenbündel mit grünen Bändern gebunden; die Kantonsfarben sind Grün und Weiß. Geschichte s. unten, S. 559.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 557-558.
Lizenz:
Faksimiles:
557 | 558
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Horribilicribrifax

Horribilicribrifax

Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon