Jülich [1]

[362] Jülich, vormaliges Herzogtum in der preuß. Rheinprovinz, auf dem linken Rheinufer, 4130 qkm (75 QM.) groß mit ca. 400,000 Einw. (s. die Geschichtskarten von Deutschland und von Bayern), im frühen Mittelalter als Pagus Juliacensis bezeichnet, stand in der ersten Hälfte des 11. Jahrh. unter einem Grafen Gerhard. Seit dem 12. Jahrh. kam das Geschlecht zum erblichen Besitz der Grafschaft und infolge des Verfalls des Herzogtums Niederlothringen, dem es untergeben war, zur Reichsunmittelbarkeit. Wilhelm V., vom Kaiser Ludwig 1336 in seiner Reichsstandschaft bestätigt, ward zum erblichen Markgrafen, vom Kaiser Karl IV. 1356 zum Herzog ernannt. Von seinen Söhnen erheiratete der eine, Gerhard, die Grafschaft Berg, der andre, Wilhelm VI., der dem Vater 1362 in J. nachfolgte, die Grafschaft Geldern. Nach Rainalds IV. Tod (1423) ward Adolf IX., Herzog von Berg, auch Herzog von J., und sein Enkel Wilhelm VIII. (III. in Berg), der letzte männliche Sprößling dieses Fürstenhauses, setzte seine Tochter Marie, die an den Sohn des Herzogs von Kleve, Johann den Friedfertigen, verheiratet war, zur Erbin seiner Länder ein, obgleich der Kaiser Friedrich III. 1485 die Nachfolge in J. und Berg dem Herzog Albrecht von Sachsen versprochen und Kaiser Maximilian 1495 dies Versprechen erneuert hatte. Nach Wilhelms Tod (1511) folgte daher Johann der Friedfertige, sein Schwiegersohn, ungeachtet des Einspruchs Sachsens. Der Kaiser belehnte Johann, doch wurden Sachsens Ansprüche gewahrt. Als Johann 1521 auch als Herzog von Kleve zur Regierung gelangt war, wurden J. und Berg mit Kleve vereinigt.

Nach dem Aussterben dieses Fürstenhauses mit dem Herzog Johann Wilhelm (25. März 1609) machten mehrere Fürsten auf seine Hinterlassenschaft Ansprüche, und der daraus folgende Streit ist unter dem Namen des Jülich-klevischen Erbfolgestreites bekannt. Das Haus Sachsen gründete seine Ansprüche auf das erwähnte kaiserliche Versprechen. Hiergegen erhoben sich nun die weiblichen Erben, die Karl V. 1546 als erbberechtigt erklärt hatte, drei Schwestern des Herzogs Johann Wilhelm und deren Nachkommen. Die älteste von diesen, Marie Eleonore, hatte aus ihrer Ehe mit dem blödsinnigen Herzog von Preußen, Albert Friedrich von Brandenburg, eine Tochter, Anna, die, an den Kurfürsten Johann Siegmund von Brandenburg verheiratet, sich nach dem Heiratsvertrag ihrer Mutter von 1573 als Erbin betrachtete. Die zwei andern Schwestern des Herzogs waren Anna, mit dem Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg, und Magdalena, mit dem Herzog Johann I. von Pfalz-Zweibrücken vermählt. Diese Erben, einmütig wider Sachsen, machten sich die Erbschaft untereinander streitig. Sofort nach dem Tode Johann Wilhelms besetzten Brandenburg und Pfalz-Neuburg das Land, aber im Einverständnis mit Sachsen verlangte der Kaiser zunächst, J., Kleve und Berg zu sequestrieren, und ließ sogleich den Erzherzog Leopold mit kaiserlichen, den Erzherzog Albrecht mit spanischen Truppen aus den Niederlanden in die Herzogtümer einrücken. Ersterer besetzte im Mai 1609 J., Brandenburg und Pfalz-Neuburg aber verbanden sich 10. Juni 1609 durch den Rezeß von Dortmund zu gemeinschaftlicher Verteidigung ihres Rechts. Die protestantische Union und Heinrich IV. von Frankreich versprachen, um eine Festsetzung des Hauses Habsburg am Niederrhein zu verhindern, ihre Hilfe, aber der plötzliche Tod Heinrichs IV. (14. Mai) und des Hauptes der Union, des Kurfürsten Friedrich IV. (9. Sept.), verhinderte den Ausbruch eines großen Krieges. Der Kaiser erteilte Sachsen die Belehnung, doch blieben Brandenburg und Neuburg im faktischen Besitz der Lande. Um dem Erbstreit zwischen diesen ein Ende zu machen, wollte Philipp Ludwigs Sohn Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg durch eine Vermählung mit Johann Siegmunds Tochter die brandenburgischen Ansprüche mit den pfälzischen vereinigen, aber der Kurfürst wies diese Lösung zurück. Wolfgang Wilhelm vermählte sich mit einer Tochter der Hauptes der Liga, des Herzogs Maximilian von Bayern, und wurde 1613 katholisch, während Johann Siegmund zur reformierten Kirche übertrat. Spanische und holländische Truppen rückten ins Land, jene für die Pfalz, diese für Brandenburg, doch führte die Scheu vor einem allgemeinen Krieg 12. Nov. 1614 zu dem Vertrag von Xanlen über eine geteilte Verwaltung mit Vorbehalt des Kondominats. Der Pfalzgraf erhielt J. und Berg, der Kurfürst Kleve, Mark, Ravensberg und Ravenstein. Doch blieben die fremden Truppen im Lande, und der Vertrag wurde nie vollständig ausgeführt. Die Holländer hielten die klevischen Festungen bis 1672 besetzt. Erst 9. Sept. 1666 schloß der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg mit dem Pfalzgrafen Philipp Wilhelm einen definitiven Teilungsvertrag auf Grund des Status quo, wonach ersterer Kleve und die Grafschaften Mark und Ravensberg, der Pfalzgraf J. und Berg behalten und nach dem Aussterben des Mannesstammes der einen Linie die andre erben sollte.

Dieser letztern Bestimmung wegen spielte die jülichsche Erbfolgefrage noch einmal im 18. Jahrh. eine Rolle, als die Linie Pfalz-Neuburg dem Aussterben nahe war und Preußen sich wenigstens die Nachfolge in Berg durch die VerträgeFriedrich Wilhelms I. mit Karl VI. zu Wusterhausen (1726) und Berlin (1728) sichern wollte. Österreich erkannte dieses gegen die Garantie der Pragmatischen Sanktion an, versprach aber gleichwohl in einem geheimen Vertrag 1738 der Linie Pfalz-Sulzbach die Erbfolge in beiden Herzogtümern. Als Friedrich II. Schlesien gewann, verzichtete er auf seine Ansprüche, und J. fiel daher 1742[362] an die pfalz-sulzbachische Linie, die später zu der Kurpfalz auch die bayrischen Lande erhielt. So blieb das Herzogtum J. im Besitz der Kurfürsten von Pfalz-Bayern, bis der Lüneviller Friede 1801 es an Frankreich gab, das J. schon seit 1794 besetzt hielt. Durch den Wiener Kongreß erhielt Preußen 1814 das Herzogtum, mit Ausnahme einiger Parzellen, die zu der niederländischen Provinz Limburg kamen. Es bildete mit den andern nördlichen Teilen der preußischen Besitzungen auf dem linken und rechten Rheinufer die Provinz J.-Kleve-Berg, die später zur preußischen Rheinprovinz geschlagen wurde. Jetzt bildet der Hauptkern des alten Herzogtums, 318 qkm (54/5 QM.) mit (1890) 41,357 Einw., einen Kreis des preußischen Regbez. Aachen. Vgl. Knapp, Regenten- und Volksgeschichte der Länder Kleve, Mark, J., Berg und Ravensberg bis 1815 (Elberf. u. Krefeld 1831–36, 3 Bde.); v. Below, Die landständische Verfassung in J. und Berg bis 1511 (Düsseld. 1885–91, 3 Tle.) und Landtagsakten von J.-Berg 1400–1610 (Bd. 1, das. 1895); Koch, Die Reformation im Herzogtum J. (Frankf. 1883–88,2 Hefte); Ritter, Sachsen und der Jülicher Erbfolgestreit (Münch. 1873) und Der Jülicher Erbfolgekrieg 1610 und 1611 (das. 1877); Müller, Der Jülich-klevische Erbfolgestreit im Jahre 1614 (Dissert., das. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 362-363.
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