Raumer

[635] Raumer, 1) Friedrich Ludwig Georg von, deutscher Geschichtschreiber, geb. 14. Mai 1781 in Wörlitz bei Dessau, gest. 14. Juni 1873 in Berlin, studierte die Rechte und Staatswissenschaften, trat in den preußischen Staatsverwaltungsdienst und kam 1810 in das Bureau des Staatskanzlers Hardenberg. 1811 Professor der Geschichte und Staatskunst zu Breslau geworden, bereiste er 1815–17 Deutschland, die Schweiz und Italien, war 1819 Professor der Staatswissenschaft in Berlin, beschränkte sich aber meist auf geschichtliche Vorlesungen. Bis 1831 war er auch Mitglied des Oberzensurkollegiums. R. unternahm noch einige größere Reisen nach Frankreich (1830), England (1835), Italien (1839) und Amerika (1843), deren Resultate er in besondern Schriften niederlegte. Die Aufnahme, die eine von ihm 1847 in der Akademie zu Ehren Friedrichs d. Gr. gehaltene freimütige Rede in den höhern Kreisen fand, bewog ihn, seine Stelle als Sekretär und Mitglied der Akademie niederzulegen. Als Mitglied des deutschen Parlaments 1848 wurde er als deutscher Gesandter nach Paris geschickt. In der Folge ward er Mitglied der Ersten Kammer in Berlin und 1853 als Professor an der Universität emeritiert; doch setzte er seine Vorlesungen bis kurz vor seinem Tode fort. Seine Werke wurden viel gelesen, aber sie sind nur Darstellungen, da ihm tiefere kritische Forscherarbeit fern lag. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: die anonym durch Johannes v. Müller zum Druck beförderten »Sechs Dialoge über Krieg und Handel« (Hamb. 1806); »Vorlesungen über die alte Geschichte« (Leipz. 1821, 2 Bde.; 3. Aufl. 1861); »Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit« (das. 1823–25, 6 Bde.; 5. Aufl. 1878); »Über die geschichtliche Entwickelung der Begriffe von Recht, Staat und Politik« (das. 1826, 3. Aufl. 1861); »Über die preußische Städteordnung« (das. 1828); »Briefe aus Paris zur Erläuterung der Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts« (das. 1831, 2 Bde.); »Geschichte Europas seit dem Ende des 15. Jahrhunderts« (das. 1832–50, 8 Bde.); »Beiträge zur neuern Geschichte aus dem Britischen Museum und Reichsarchiv« (das. 1836–39, 5 Bde.); »Die Vereinigten Staaten von Nordamerika« (das. 1845); »Briefe aus Frankfurt und Paris 1848–1849« (das. 1849, 2 Bde.); »Historisch-politische Briefe über die geselligen Verhältnisse der Menschen« (das. 1860); »Handbuch zur Geschichte der Literatur« (das. 1864–66, 4 Bde.); »Literarischer Nachlaß« (Berl. 1869, 2 Bde.). Seit 1830 gab er das »Historische Taschenbuch« heraus. Eine Sammlung von Reden, Aufsätzen etc. veröffentlichte er u. d. T.: »Vermischte Schriften« (Leipz. 1852–54, 3 Bde.), eine Selbstbiographie in »Lebenserinnerungen und Briefwechsel« (das. 1861, 2 Bde.).

2) Karl Georg von, Geolog, Geograph und Pädagog, Bruder des vorigen, geb. 9. April 1783 in Wörlitz, gest. 2. Juni 1865 in Erlangen, studierte in Göttingen und Halle, dann in Freiberg Mineralogie, besuchte das Pestalozzische Institut in Yverdon, ward 1810 beim Oberbergdepartement in Berlin, 1811 als Bergrat beim Oberbergamt in Breslau und zugleich als Professor der Mineralogie an der dortigen Universität angestellt, nahm 1813 und 1814 als Freiwilliger[635] am Befreiungskrieg teil und ward 1819 an die Universität Halle und an das dortige Oberbergamt versetzt. 1823 nahm er seinen Abschied, schloß sich an das Dittmarsche Erziehungsinstitut in Nürnberg an und ging 1827 als Professor der Naturgeschichte nach Erlangen. Er schrieb: »Geognostische Fragmente« (Nürnb. 1811); »Der Granit des Riesengebirges« (Berl. 1813); »Das Gebirge Niederschlesiens, der Grafschaft Glatz etc.« (das. 1819); »Versuch eines ABC-Buchs der Kristallkunde« (das. 1820, Bd. 1; Nachtrag 1821); »Vermischte Schriften« (das. 1819–22, 2 Bde.) und »Kreuzzüge« (Stuttg. 1840–65, 2 Bde.); ferner »Lehrbuch der allgemeinen Geographie« (Leipz. 1832, 3. Aufl. 1848); »Beschreibung der Erdoberfläche« (das. 1832, 6. Aufl. 1865); »Palästina« (das. 1835, 4. Aufl. 1860). Sein Hauptwerk ist die »Geschichte der Pädagogik« (Stuttg. 1843–51, 3 Bde.; 6. Aufl., Gütersl. 1890–98, 4 Bde.; Bd. 5: »Pädagogik der Neuzeit in Lebensbildern«, von Lotholz 1896; neue Ausg., Langensalza 1897–98, 4 Bde.), daraus als Sonderabdruck: »Die Erziehung der Mädchen« (4. Aufl. 1886). Raumers »Leben von ihm selbst erzählt« erschien nach seinem Tode (Stuttg. 1866).

3) Georg Wilhelm von, Geschichtsforscher, geb. 19. Sept. 1800 in Berlin, gest. 11. März 1856, Sohn des Direktors im Ministerium des königlichen Hauses und der Archive, Karl Georg von R. (geb. 16. Nov. 1753 in Dessau, gest. 2. Juli 1833), studierte die Rechte, trat 1823 in den Staatsdienst, ward Assessor bei dem Kammergericht in Berlin, 1829 Hilfsarbeiter im Finanzministerium, 1833 Rat beim preußischen Handelsministerium und bei der Archivverwaltung. 1843–51 Direktor sämtlicher preußischer Archive, führte er die Trennung des großen Archivs zu Berlin in ein Staats- und ein königliches Hausarchiv durch. Er machte 1856 seinem Leben durch einen Pistolenschuß ein Ende. R. schrieb: »Über die älteste Geschichte und Verfassung der Kurmark« (Berl. 1830); »Codex diplomaticus Brandenburgensis continuatus« (das. 1831–33, 2 Bde.); »Regesta historiae Brandenburgensis« (das. 1836, Bd. 1, bis 1200); »Die Neumark Brandenburg im Jahre 1337« (das. 1837), dazu »Historische Karten und Stammtafeln« (1837); »Die Insel Wollin und das Seebad Misdroy«, historische Skizze (das. 1851).

4) Karl Otto von, preuß. Staatsmann, geb. 7. Sept. 1805 zu Stargard in Pommern, gest. 6. Aug. 1859 in Berlin, Sohn des 1831 verstorbenen preußischen Generalleutnants Karl Friedrich Albert von R., Vetter des vorigen, studierte die Rechte, wurde 1834 Regierungsrat in Posen und Frankfurt a. O., 1840 Hilfsarbeiter im Finanzministerium, 1841 vortragender Rat im Ministerium des Innern, 1845 Regierungspräsident in Königsberg, dann in Köln, 1848 in Frankfurt a. O. und verwaltete unter Manteuffel 1850–58 das Unterrichtsministerium. Ein Hauptvertreter der orthodox-absolutistischen Reaktion, wurde er wegen der 1854 erschienenen sogen. (Stiehlschen) »Regulative«, die das christlich-kirchliche Element zum Fundament der Volksschule machen sollten, heftig angefeindet. Vgl. »Der Staatsminister von R.« (Berl. 1860).

5) Rudolf von, Sprachforscher, Sohn von R. 2), geb. 14. April 1815 in Breslau, ward 1846 außerordentlicher und 1852 ordentlicher Professor der deutschen Sprache und Literatur in Erlangen, wo er 30. Aug. 1876 starb. Von seinen Werken sind hervorzuheben: »Die Aspiration und die Lautverschiebung« (Leipz. 1837); »Die Einwirkung des Christentums auf die althochdeutsche Sprache« (Stuttg. 1845); »Vom deutschen Geiste« (Erlang. 1848, 2. Aufl. 1850); »Über deutsche Rechtschreibung« (Wien 1855); »Der Unterricht im Deutschen« (3. Aufl., Stuttg. 1857); »Deutsche Versuche« (Erlang. 1861); »Gesammelte sprachwissenschaftliche Schriften« (Frankf. 1863) und als sein Hauptwerk »Geschichte der germanischen Philologie« (Münch. 1870). Auch bearbeitete er die den Unterricht im Deutschen betreffende Abteilung in seines Vaters »Geschichte der Pädagogik« und verfaßte als bewährter Forscher auf dem Felde der Rechtschreibung 1875 im Auftrage der deutschen Bundesregierungen den vielbesprochenen »Entwurf zur Reform der deutschen Orthographie«, der den Beratungen der Anfang 1876 in Berlin zusammenberufenen orthographischen Konferenz zur Grundlage diente. Vgl. seine »Erläuterungen zu den Ergebnissen der Berliner orthographischen Konferenz« (Halle 1876).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 635-636.
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