Zölibāt

[976] Zölibāt (lat., von coelebs oder caelebs, ehelos), der ehelose Stand, insbes. die Verpflichtung zur Ehelosigkeit, die für den römisch-katholischen Klerus besteht. Das Judentum hat nur die Vorschrift, daß der Priester keine Entweihte oder Geschiedene, ein Hoherpriester keine Witwe heiraten durfte, alle aber zur Vorbereitung auf heilige Handlungen des geschlechtlichen Umganges sich enthalten mußten. Im Neuen Testament gehen zwei Richtungen nebeneinander her. Jesus selbst sieht zwar eine urälteste und heilige Gottesordnung in der Ehe (Matth. 19,4 ff.); wie dieselbe sich aber trotzdem mit seiner eignen Aufgabe und Stellung nicht vertrug, so kennt er unter seinen Nachfolgern, im Gegensatz zu den Eunuchen der Natur und der Verstümmelung, auch Eunuchen des sittlichen Willens (Matth. 19,12), und in dieser Spur gehen die Offenbarung des Johannes (14,4) und mit besonderer Entschiedenheit Paulus (1. Kor. 7,1. 7. 28–38) einher, der ausdrücklich erklärt, daß das Nichtheiraten unter bestimmten Umständen, »um der gegenwärtigen Not willen«, besser sei. Die andern Apostel dagegen, Petrus voran, waren beweibt (Matth. 8,14; 1. Kor. 9,5), und die Pastoralbriefe fordern gerade auch vom Bischof, daß er als Familienvater ein Vorbild für die Herde sei (1. Tim. 3,2 ff.; Tit. 1,6). Nachdem seit dem 2. Jahrh. die sich der Vollkommenheit Befleißigenden freiwillige Gelübde der Ehelosigkeit abgelegt, stellte sich auch mit wachsender Bestimmtheit die Vorstellung ein, daß denen, die als Priester täglich die heiligen Mysterien handhaben, die Ehe eigentlich nicht anstehe. Seit Angang des 4. Jahrh. wurden vielfach Versuche gemacht, von den verheirateten Klerikern der drei höhern Grade (s. Ordination) Enthaltung vom ehelichen Umgang zu fordern (Synode zu Elvira in Spanien 306). Doch wurde diese Forderung auf dem ökumenischen Konzil in Nikäa zurückgewiesen, und noch die Synode von Gangra 343 erklärte jeden für anathematisiert, der an dem Gottesdienst eines verehelichten Priesters teilzunehmen sich weigere. Nichtsdestoweniger wirkte das Vorbild des Mönchsstandes entscheidend zugunsten des Zölibats. Im Abendlande traten die römischen Bischöfe seit Siricius (s. d.) energisch für den Z. ein, und auf zahlreichen Synoden wurden Verordnungen erlassen, die Priestern, Diakonen und Subdiakonen unbedingte Enthaltsamkeit vorschrieben und Verheiratete nur nach abgelegtem Gelübde der Keuschheit zu diesen Graden zu ordinieren erlaubten. Die weltliche Gesetzgebung bestätigte diese Bestimmungen mit dem Zusatz, daß Ehen der Kleriker der höhern Weihen nach ihrer Ordination als nichtig und die aus solchen entsprossenen Kinder als unehelich zu betrachten seien. Ebenso war auch im Morgenlande die Gesetzgebung Justinians der Priesterehe durchaus ungünstig. Im geistlichen Amt zu heiraten, war vom Subdiakon aufwärts untersagt; schon Verheiratete wurden jedoch bis zur Weihe des Presbyters zugelassen, und erst[976] die Ordination zum Bischof war durch Ehelosigkeit bedingt. Bei diesen Satzungen, die das Trullanische Konzil 692 bestätigte, blieb das griechische Kirchenrecht stehen.

In der lateinischen Kirche dagegen wurden die alten Verordnungen wider die Priesterehe zwar immer aufs neue und besonders seit dem Pontifikat Leos IX. (1049–54) sehr nachdrücklich wiederholt; aber tatsächlich drangen die Zölibatsgesetze so wenig durch, daß es in allen Ländern und selbst unter den Augen des Papstes viele verheiratete Priester gab. Erst Gregor VII. (s. d.) hat das im Zusammenhang mit seinem Prinzip der Lostrennung der Kirche von jeder weltlichen Macht sowie zur Verhütung der Vererbung der Kirchenämter vom Vater auf den Sohn 1074 auf einer Synode zu Rom erlassene Dekret, daß jeder beweibte Priester, der das Sakrament verwalte, ebenso wie der Laie, der aus der Hand eines solchen das Sakrament empfange, mit dem Bann bestraft werden solle, ungeachtet des heftigsten Widerstandes, besonders auf seiten des niedern Klerus, in Vollzug gesetzt. Calixt II. (1119 und 1123) und Innozenz II. (1139) erklärten sämtliche Priesterehen überhaupt für ungültig. Das spätere kanonische Recht hat diese Bestimmungen zu wiederholten Malen, zuletzt auf der Synode von Trient, bestätigt. Die jetzt bestehende Disziplin hinsichtlich des Zölibats in der römisch-katholischen Kirche ist im wesentlichen folgende: Eine verheiratete Person kann nicht ordiniert werden, denn die Ehe ist unauflöslich und doch mit einem höhern geistlichen Grad unvereinbar. Eine Ausnahme tritt nur dann ein, wenn sich die Frau bereit erklärt, ins Kloster zu gehen. Wenn ein Kleriker niedern Grades heiratet, so ist die von ihm geschlossene Ehe zwar gültig, aber Funktion und Pfründe sollen ihm entzogen werden. Dabei darf jedoch nicht verschwiegen werden, daß die Klagen über Ausschweifungen der Kleriker im geheimen oder mit den Haushälterinnen so alt und so neu sind, als der Z. überhaupt gesetzlich besteht. Mußte doch im Mittelalter auf Drängen der Gemeinden den Geistlichen der Konkubinat gestattet werden, damit nicht ehrbare Frauen und Töchter verführt würden, und Bischöfe begünstigten ihn wegen der darauf ruhenden Steuern. In neuerer Zeit wurden öfter Anträge auf Aufhebung des Zölibats, unter andern von den Kammern in Baden, Hessen, Bayern, Sachsen und andern Ländern gestellt, blieben aber ohne Wirkung. Selbst der Wunsch, daß Priester in den Laienstand zurücktreten dürften, fand kein Gehör. In der altkatholischen Gemeinschaft wurde der Zölibatszwang 1878 aufgehoben (s. Altkatholizismus). In Frankreich traten zur Zeit der großen Revolution vereidigte Priester in den Ehestand, aber das Konkordat von 1801 drang auf den Z.

In der griechischen Kirche dürfen auch heute die Geist lichen der höhern Grade nach erhaltener Weihe nicht heiraten. Da aber Verheiratete ordiniert werden können, so ist es Observanz geworden, daß jeder angehende Geistliche kurz vor dem Empfang der Weihe zur Ehe schreitet. Die zweite Ehe und die mit einer Witwe schließen vom geistlichen Amt aus. Die Bischöfe müssen stets ehelos gewesen sein und werden daher regelmäßig aus dem Mönchsstand gewählt.

Die evangelische Kirche hat nach ihrem Grundprinzip der Freiheit von Anfang an ihre Geistlichen von der Verpflichtung zum Z. befreit. Schon ehe Luther 1520 in der Schrift »An den christlichen Adel deutscher Nation« sich ausführlich über die Zulässigkeit der Priesterehe ausgesprochen hatte, setzten sich einige seiner Anhänger unter den Geistlichen über das Zölibatsgesetz hinweg, und Luther selbst machte 1525 von der evangelischen Freiheit Gebrauch. Die symbolischen Bücher und die Kirchenordnungen bestätigen allgemein die Zulässigkeit der Priesterehe. Vgl. Ant. und Aug. Theiner, Die Einführung der erzwungenen Ehelosigkeit bei den christlichen Geistlichen (Altenburg 1828, 2 Bde.; neu hrsg. von Nippold, Barmen 1892–97, 3 Bde.); v. Holtzendorff, Der Priesterzölibat (Berl. 1875); v. Schulte, Der Zölibatszwang und dessen Aufhebung (Bonn 1876); Laurin, Der Z. der Geistlichen nach kanonischem Recht (Wien 1880); Lea, Historical sketch of sacerdotal celibacy (3. Aufl., New York 1907, 2 Bde.); Bocquet, Le célibat ecclésiastique jusqu'an concile de Trente (Par. 1894).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 976-977.
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