Schreien

1. Am Schreien erkennt man den Esel.


2. Der muss laut schreien, der den Teufel schrecken will.

Dän.: Han skal skrige høyt, som vil forskrekke fanden. (Prov. dan., 509.)


3. Der schreit allzeit, der Schläge bekommt.

Schwed.: Den gnäller alltid, som hugg får. (Wensell, 14.)


4. Der schreit zu spät, den der Wolf erwürgt. Petri, II, 106; Simrock, 11793.


[338] 5. Es darf Schreiens, wenn man den Teufel in die Flucht jagen will.Eiselein, 592.

Lat.: Ad daemonem deterrendum horribili voce opus est. (Eiselein, 592.)


6. Es hilft kein Schreien aus der Noth; hundert Pfund Sorgen bezahlen der Schulden kein Loth.

Lat.: Non luctu, sed remedio opus est in malis. (Sutor, 165.)


7. Es ist besser einmahl schreien, denn allzeit. Petri, II, 255; Henisch, 323, 35.

Bei Tunnicius (1243): Beter is eins to schryen dan alle tyt. (Est satius moerere semel quam flere per aevum.)


8. Ich konnte nicht schreien, sagte die Nonne, ich hatte Silentium auf.Klosterspiegel, 37, 12.


9. Je duller geschrît, je sneller gefrît. (Braunschweig.)


10. Jo mihr sêi schrîen, jo ihre (eher) sei werrer frîen. (Mecklenburg.) – Raabe, 9; hochdeutsch bei Simrock, 2677.

In der Schweiz: Je meh sie schreit, je eh sie freit, het me siner Lübtig g'seit. (Sutermeister, 34.) Von ausserordentlich betrübten Witwern und Witfrauen.

Lat.: Non omnia clamans obtinebis. (Eiselein, 555.)


11. Lass schreyen Raben, Frösch vnd Narren, bleib du in deinem Amt beharren.Petri, II, 133.


12. Mit Schreien ertrotzt man nichts.Eiselein, 555; Simrock, 9207.


13. Schrei ock immer, schrei, sagte der Bauer, als er seinen Jungen prügelte, Pfafferkuchen is kenner ne (ist kein Schlag nicht). (Oberlausitz.)


14. Schrei nicht eher: hopp, bis du über den Graben bist.Blass, 8.


15. Schrei und schrei, der Wald hat keine Ohren.


16. Schreie nicht Juchhei, ehe du über den Graben bist.


17. Schreien hilft nicht aus der Noth.


18. Schreien ist leicht bei einer Feuersbrunst, aber Löschen ist eine schwere Kunst.


19. Schreien löscht das Feuer nicht.

Die Finnen: Schreien hilft nicht ans der Noth, das Brummen nicht in traurigen Tagen. (Bertram, 47.)


20. Schreit man gut ins Holtz, so schalt es gut herwider.Eyering, III, 295.


21. Schrey nicht zu früe froe.

Lat.: Multa cadunt inter calicum supremaque labra. (Hauer, L2.)


22. Schrie nich: holt Fasch, du hest noch keine öm Sack. (Königsberg.)


23. Sehr geschreit, ball gefreit. (Wasungen.)

Dieser Ehemann ist beim erfolgten Tode seiner Frau in heftiges Wehklagen ausgebrochen, er wird gewiss bald wieder heirathen. Auch unter denselben Umständen von Witwen.

Lat.: Tantum post flentes flent ut sunt ante gementes. (Fallersleben, 37.)


24. Sehr schreyen vnnd wenig singen ist ein schlechter Gottesdienst.Henisch, 1691, 28.


25. So sehr schreit, wer nach schreit als vor.


26. Wer am besten schreien kann, das ist der beste Mann.

Er gilt wenigstens in aufgeregten Zeiten, und so lange die Vernünftigen schweigen, für den besten. »Wer heutzutage nicht schreien kann, beim Handel, wie beim Singen, der fange lieber gar nicht an, denn weit wird er's nicht bringen.«


27. Wer am lautesten schreit, wird Meister.

Lat.: Absit clamor in colloquio, aut lusu. (Sutor, 908.)


28. Wer schreit, der schreie; Alte, lass uns fahren. (Lit.)


*29. Dä sgraid as en Léärspecht1. (Grafschaft Mark.) – Frommann, V, 162, 136; Woeste, 87, 134.

1) Bei Frommann a.a.O. wird schon nach der Bedeutung des Wortes gefragt, von der ich nirgend eine Spur habe auffinden können. Bei Soest bezeichnet das ganze Wort die Fledermaus, aber wie kommt »specht« dazu?


*30. Dä sgraied as en Pinkstfos.Frommann, V, 162, 136.


*31. Dä sgraied as wan éäm en Mess(er) im Halse stäke.Frommann, V, 162, 136.


*32. Dä sgraied as wan hä 'ne Klemme am Steärte (Schweif) hädde. (Iserlohn.) – Frommann, V, 162, 136.


[339] *33. Dear schreit wie a Dachmader.Birlinger, 711.


*34. Der schreit nach einem neuen. (Rottenburg.)

Der zerrissene Schuh nämlich.


*35. Der schreit wie ein Bär.Birlinger, 668.


*36. Du schreyest iu, eer du vber den zaun kumbst.Hauer, Lij2.


*37. Du schreyest zu frü fro.Hauer, Lij2.

Lat.: Ante victoriam Eucomium canis. (Hauer, Lij2.)


*38. Er gibt mit allem seinen Schrei'n nicht so viel Wolle als ein Schwein.Eiselein, 230.


*39. Er schreit, als ob er am Spiesse stäke.Eiselein, 475; Braun, I, 4231; Frischbier2, 3405.

In Pommern: He schrijet, as wenn he up'n Speer steke. (Dähnert, 414b.)

Lat.: Usque ad ravim. (Erasm., 144; Philippi, II, 235.)


*40. Er schreit, als ob ihm das Messer an der Kehle stecke.

Frz.: Crier (courir) comme un perdu. – Crier les hauts cris. – Il a crié à tuë-tête. (Kritzinger, 190b.)


*41. Er schreit, als wenn das ganze Haus auf Stützen steht.Frischbier2, 3404.


*42. Er schreit, als wenn das Haus brennt. Frischbier2, 3404.


*43. Er schreit, als wenn ein Walfisch zum Himmel flöge.


*44. Er schreit, als wenn er um Gottes willen barbiert wird.

Ein Bauer bat einen Barbier in der Stadt, ihn »um Gottes willen« zu barbieren, was dieser zwar that, aber mit dem stumpfsten Messer. Als er später wieder mit einem andern bei dem Barbierladen vorbeiging, hörte man ein entsetzliches Schreien darin. Der Begleiter meinte, es werde ein Bein oder Arm abgelöst. Nein, sagte der Bauer, es wird einer um Gottes willen barbiert.


*45. Er schreit, als würd' er auf dem Spiesse gebraten.Frischbier2, 3405.


*46. Er schreit, ehe man ihn häutet, wie die Aale von Melun. (S. 49 und Aal 29.)

Engl.: You cry out before you 're hurt. (Bohn II, 155.)

It.: Ei grida pria d'esser battuto. (Bohn I, 76.)

Lat.: Ante tubam tremor artus occupat. (Novarin, 406; Binder II, 190.) – Ante tubam trepidat. (Philippi, I, 34; Seybold, 30; Eiselein, 384; Faselius, 18; Binder II, 190.)


*47. Er schreit lauter als Stentor. (S. Stentormaul.) – Eiselein, 579.


*48. Er schreit von zwölf bis Mittag.

Holl.: Hij schreit van twaalf uren tot den middag. (Harrebomée, II, 354a.)


*49. Er schreit vor dem Streich wie ein Hund. (Nürtingen.)

Lat.: Lupus ante clamorem festinat. (Binder I, 903; II, 1713.)


*50. Er schreit wie der Pater, als er die Husaren in des Klosters Reben sah.Klosterspiegel, 73, 22.


*51. Er schreit wie die Orgel von Kretinja.

Wenn jemand sehr laut spricht. Das litauische an der preussischen Grenze gelegene Städtchen Kretinja hat ein berühmtes Bernhardinerkloster mit einer im gothischen Stile erbauten Kirche, in der sich eine Orgel befindet, welche die einzige in ganz Litauen ist und die durch ihren lauten Ton die obige Redensart veranlasst hat. (Wurzbach I, 46.)


*52. Er schreit wie ein Besessener. (Oberösterreich.)


*53. Er schreit wie ein Blinder, der seinen Stock verloren hat.

Frz.: Crier comme un aveugle qui a perdu son bâton. (Kritzinger, 45a; Lendroy, 91.)


*54. Er schreit wie ein Bock, der zu Markte geführt wird.


*55. Er schreit wie ein Dieb im Stalle.


*56. Er schreit wie ein Esel, wenn er Teig frisst. (Köthen.)


*57. Er schreit wie ein Halder (Holder). (Wien.)


*58. Er schreit wie ein Jäck (auch: Jägg).Kirchhofer, 82; Tobler, 282.

Wenn ein Kind vor Schmerzen oder aus Furcht sehr ängstlich und laut schreit, dass man sein Angstgeschrei weit hören kann. Entweder vom Taubenheher, der in einigen Gegenden der Schweiz Jäck heisst, hergenommen, oder Spott auf den delphinischen Zug, gegen den die Eidgenossen bei St.-Jakob so tapfer stritten und den das Volk die Armagnaken oder arme Jäcken nannte. Sie machten bei ihrem Auftreten viel Rumor und wurden weit und breit gefürchtet.


[340] *59. Er schreit wie ein Kornschütz. (Nürtingen.)


*60. Er schreit wie ein Lastthier. (Stockerau.)


*61. Er schreit wie ein Mülleresel.

Frz.: Braire comme des asnes en plain marché. – Braire comme un asne que l'on meine paistre. (Leroux, I, 89.)


*62. Er schreit wie ein Pflasterjude.

Holl.: Hij schreeuwt als een Wisseljood. (Harrebomée, I, 365b.)


*63. Er schreit wie ein Reitermacher. (Stockerau.)

Holl.: Zij roepen als ketellappers. (Harrebomée, I, 397a.)


*64. Er schreit wie ein Rohrspatz. (Rottenburg.)


*65. Er schreit wie ein (Stein- oder) Waldesel. (Köthen.)


*66. Er schreit wie ein Zahnbrecher.Sutor, 904.

Um ein grosses Geschrei zu bezeichnen, haben die Franzosen die (Leroux, II, 46 erläuterte) Redensart: Pousser de cris de Mélusine (oder: Merlusine).


*67. Er schreit wie ein Zaiche1. (Würtemberg.) – Klein, II, 241.

1) Zeichne (?) = Signalrufer. – Er schreit sehr stark.

Holl.: Hij roept als een kreupele. ( Harrebomée, I, 449b.)


*68. Er schreit wie eine in Kindesnöthen.

Frz.: Il a crié les petits pâtés. (Kritzinger, 191a.)


*69. Er schreit wie 'ne Rohrdommel.Frischbier2, 3406.


*70. Er schreit wie neunundneunzig Marder. (Leipzig.)

Stark und grell.


*71. Er schreit wie's hörvelsinger Vieh.

Hörvelsingen auf der schwäbischen Alp, ein Pfarrdorf im Oberamt Ulm, hatte früher, wegen Futtermangels, schlechtgenährtes Vieh.


*72. Es ist mit Schreien nicht zu ertrotzen.


*73. Es schreit zum Himmel.Eiselein, 310.


*74. Es wird nicht ohne Schreien heilen.Simrock, 9206; Körte, 5398.


*75. He schrêt as 'n Elk (Iltis).

Holl.: Hij schreeuwt als de koekoek. (Harrebomée, I, 427a.)


*76. He schrêt as en Tänbrêker. (Holst.) – Schütze, IV, 244; für Altmark: Danneil, 221.

Wie ein marktschreierischer Zahnbrecher.


*77. He schrêt as wenn he up 'n Spêr stickt (Holst.) – Schütze, IV, 71; für Franken: Frommann, IV, 323, 346.


*78. Hei schrigget, ässe wenn 'n am Spiete (auch: am Messe) stäke. (Westf.)


*79. 'R schrait wie a Ketzer1.Sartorius, 169.

1) Wol wie ein solcher, der verbrannt wird. Auch: Ketzermordio schreien. – Schreit sehr laut. Der Vergleich stammt aus den Zeiten, wo die Ketzer und Hexen verbrannt wurden.


*80. Schrei Chaj-we-kajem! (Warschau.)

Ruf: Lebendiger und Beständiger. Wenn man über etwas klagt, wo nicht geholfen werden kann. Schrei zu Gott, dass er dir helfen möge. Zuweilen auch ironisch: Schrei Chaj-we Kajem, es is nuch (nach) der Sreiphe (Brand), d.h. es ist zu spät. (S. Kreischen 1 u. 2.)


*81. Schreien, ehe einer über den Graben kommt.Birlinger, 789.


*82. Schreien wie a Gebirgspauer. (Warschau.)

Ueber die Gebühr laut sprechen, weil die Gebirgsbewohner in der Regel kräftige Stimmen haben.


*83. Schreien wie ein Jochgeier.Schöpf, 293.

Joch = Gebirgsrücken.


*84. Schreien wie ein Oeschhüter.

Die ungeheuern Verwüstungen, welche das Wild auf den Feldern in der Grafschaft Hohenzollern im 17. Jahrhundert anrichtete; zwang die Gemeinden im Sommer allnächtlich 20-30 Oeschhüter aufzustellen, die mit Feuern, Strohfackeln, Hornblasen, Schreien und Julen das Wild zu vertreiben hatten. Von ihnen hat sich die obige Redensart erhalten. (Vgl. Die Grafschaft Hohenzollern in der Europa, Leipzig 1873, Nr. 23, S. 716.)


*85. Schreien wie ein welscher Lemônighandler.

D.i. Citronenhändler. In Tirol für sehr stark schreien. (Westermann, 25, 619.)


*86. Schrei'n als wenn im Land da Bod'n aus wär'. (Oberösterreich.)

Als ob ein ganzes Land ein- oder versinken wollte.


*87. Schrei'n wie dö Stockböhm ön Sunda. (Kaltenbrunn.)

Schreien, lärmen, ausgelassen lustig sein, wie die Stockböhmen am Sonntag zu thun pflegen.


*88. Schrei'n wiera Halta1. (Oberösterreich.)

1) So heissen hier und da die Vieh-, besonders die Rinderhirten.


[341] *89. Schreyen, dass mans vber drey Häuser höret.Mathesy, 342a.


[Zusätze und Ergänzungen]

90. Die am lautesten schreien, haben den kleinsten Muth.Lausch, 138.


91. Es schreit keiner härter, als wenn man ihn unversehens auf das Krähenauge tritt. Horn, Spinnstube, 1857, S. 44.


92. Schreien in der Kirche thut's nicht, sondern die Andacht.

Lat.: Non clamor sed amor, clangit in avre Dei. (Hanzely, 72, 24.)


93. Was schreist' denn so, ich bin ja da, sagte der eintretende Mann, als seine Frau sang: O kehr zurück, lass dich erweichen! Warum willst du mich fliehn?


94. Wat schrîste denn, ick loat di jo goahn, söä' de Bû'r to 'm Forz.Schlingmann, 156.


*95. A schreit wie a Pfauhoahn.Bertermann, Gedichte, 220.


*96. Er fängt an zu schreien, ohne gezwickt zu sein.

Vertheidigt sich, ohne dass man ihn angegriffen hat.


*97. Er schreit, als wenn er an einer Folter hinge.Trutz Simplex, 164.


*98. Er schreit wie Kanicki bei den Wahlen.

Der bei dieser Gelegenheit ein Schreier war; bei den sogenannten Contracten, wobei er ohne Einfluss war.

Poln.: Głośny jak Kanicki na wyborach. (Kijew, 25.)


*99. Schreien wie ein Chorschüler zu Halberstadt.Luther's Werke, VII, 228a.


*100. Schreien wie ein Säubube.Gotthelf, Käserei, 336.


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 4. Leipzig 1876.
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