Stockholm

Stockholm

[304] Stockholm, die Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Schweden mit 80,000 Einw., liegt in Svealand oder dem eigentlichen Schweden, theils in Upland, theils in Södermanland, an beiden Ufern des Ausflusses des Mälarsees in die Ostsee und auf einigen Inseln oder Holmen in demselben.

Es ist eine der schönsten Städte der Erde, nicht sowol wegen ihrer Bauart und der Pracht der Gebäude, als wegen der erhabenen und romantischen Naturschönheiten, die sie innerhalb ihres Umkreises selbst darbietet. Es wechseln in ihr Berg und Thal, die Häuser steigen oft terrassenförmig auf, und zwischen den bebauten Stadttheilen liegen nackte und schroffe oder mit Nadelholz bewachsene Felsen, und schlängeln sich die mit einem Mastenwald belebten Buchten und Kanäle. Daher gibt es in der Stadt selbst eine Menge der schönsten und lieblichsten und an Abwechselung reichsten Spaziergänge, und es zeigt sich, wenn [304] man seinen Standpunkt nur um einige Schritte ändert, immer ein neues und andere Schönheiten darbietendes Bild; das schönste Panorama aber hat man vor sich auf dem Mosesberge (Mosebake) in dem südl. Stadttheil. S. besteht aus drei Haupttheilen, Staden, zwischen 1250 und 1260 erbaut, Norrmalm im 16. und Södermalm im 15. Jahrh. angelegt. Staden liegt in der Mitte auf einer Insel, hat enge, schlecht gepflasterte Straßen gewöhnlich mit dem Rinnsteine in der Mitte, und ist wie der älteste, so auch der schmuzigste und unfreundlichste Stadttheil. Doch liegt darin das schönste Gebäude S.'s, das königl. Residenzschloß, auf einer gelinden Anhöhe an dem Nordostende der Insel, von wo man einen entzückenden Anblick über die Stadt und den bis tief in die Stadt sich erstreckenden Hafen genießt. Das jetzige Schloß ist ein neueres Gebäude, das, nachdem die frühern zweimal durch Feuer zerstört worden, in den Jahren 1728–53 aufgeführt wurde. Es bildet ein längliches Viereck, mit einem großen Hofe in der Mitte; zwei Flügel nach Osten vorspringend umschließen einen kleinen reizenden Garten, Logården. In diesen Flügeln und an den Garten stoßend befindet sich das Antikencabinet, dessen große Fenster bis auf den Boden reichen, sodaß man von dem Garten aus, in den blühenden Anlagen wandelnd, auch die Schätze der Kunst einer untergegangenen Welt übersehen kann, ein Contrast, der einen seltenen Eindruck macht. Außer dem Antikencabinet enthält das Schloß noch eine Bildergalerie, eine Bibliothek von etwa 40,000 Bänden und andere Sammlungen. Sonstige Sehenswürdigkeiten desselben sind die Kapelle und der prächtige Reichssaal. Vor der westl. Fronte zieht sich ein halbkreisförmiger Säulengang hin, worin sich die Hauptwache befindet. Vor der südl. Fronte steht ein schöner Obelisk von Granit, welchen Gustav III. der Bürgerschaft widmete, er wurde aber erst nach seinem Tode 1799 errichtet. Östl. vom Schlosse, am Ufer auf der mit herrlichen Gebäuden besetzten und durch die aus- und einladenden Schiffe stets belebten Straße, welche Schiffsbrücke heißt, steht die treffliche eherne Statue Gustav's III., welche die Bürger ihm 1790 zu errichten beschlossen, und zwar an der Stelle, wo er in dem genannten Jahre, aus dem Kriege mit Rußland siegreich zurückkehrend, ans Land stieg; sie wurde aber erst 1808 aufgestellt. Von sonstigen Gebäuden enthält Staden die Hauptkirche, in welcher die Könige gekrönt werden, die Börse, das Rathhaus und das Ritterhaus, in dem sich die Stände versammeln. Vor letzterm wurde 1773 die eherne aber ziemlich schlechte Statue Gustav Wasa's errichtet. Der Marktplatz in Staden, der sogenannte große Markt, ist durch das stockholmer Blutbad (s. Schweden) berüchtigt. Westl. dicht an Staden und mit ihm durch eine Brücke verbunden liegt die kleine Insel Ritterholm, Riddar-Holmen, wo auf einem freien Platze die alte Ritterkirche mit den Begräbnissen vieler schwed. Könige steht. Am 6. Nov. 1832 ist der Sarg Gustav Adolf's aus dem Gewölbe dieser Kirche in ein marmornes Denkmal im Chor der Kirche versetzt und die große Reichsfahne, welche sonst in der Hauptkirche war, dabei aufgepflanzt worden. Auch an andern Fahnen und Flaggen ist diese Kirche überaus reich. Auf dieser Insel befindet sich auch das prächtige Logengebäude. – Ein zweiter und der schönste Stadttheil S. s, Norrmalm, liegt von Staden nördl., und ist mit demselben durch eine schöne, aus Granit in den Jahren 1787–1807 aufgebaute Brücke, Norrbro, d.i. Nordbrücke, verbunden. Hier sind fast alle Straßen, unter denen die schönste in S., die Königinnenstraße, schnurgerade und durchschneiden sich in rechten Winkeln, sind aber auch nicht breit, und hier finden sich die schönsten Privatgebäude, besonders die Paläste der Minister und der fremden Gesandten. Von der Brücke tritt man zunächst auf den schönen Gustav-Adolfs-Markt, auf dem die eherne Reiterstatue dieses Königs steht. Hier befindet sich auch das prächtige von Gustav III. erbaute Opernhaus. Nicht weit von diesem Markte ist der mit der Statue Karl XIII. geschmückte und nach diesem benannte Platz, und in dessen Nähe der Königsgarten, ein angenehmer Spaziergang, an welchem das ehemalige Zeughaus liegt, wo unter Anderm auch die Kleidungsstücke aufbewahrt wurden, die Karl XII. vor Friedrichshall trug, und der Maskenanzug, in dem Gustav III. den tödtlichen Schuß erhielt; jetzt ist in diesem Gebäude eine Brunnenanstalt. Am äußersten nördl. Ende liegt auf einem Felsenhügel die Sternwarte. Hier verliert sich der Stadtcharakter schon ganz in die wilde Natur und die Gebäude sind nur noch ärmliche Wohnungen zwischen den Felsen. Mit diesem Stadttheile hängen die Inseln Skeppsholmen und Castellholmen (letztere mit den Admiralitätsgebäuden) zusammen, östl. stößt ferner an ihn die Vorstadt Ladugårdslandet, und westl. der Kungsholmen, der sehr schön, aber erst zum Theil bebaut ist. – Zu dem dritten Stadttheile, Södermalm, von Staden südl. gelegen, führt eine Zugbrücke und ein Schleusenwerk, durch welches die Hauptverbindung zwischen dem Mälar und der See geht. Södermalm ist bis auf eine ganz schmale Landzunge, wodurch es südl. mit dem festen Lande zusammenhängt, ganz vom Wasser umflossen, und ist der unebenste Theil von S., und dies in einem so hohen Grade, daß man in vielen Straßen sich nicht hinunterzufahren getraut, und daß man oft Fuhrwerke wie über den Dächern der Häuser schweben sieht. Daß sich hier die Mosebake befindet, ist schon erwähnt. Die äußersten Enden sind noch unansehnlicher als in Norrmalm, voller hölzerner Häuser, einige noch mit dem schwedischen Rasendache. Zu bemerken sind aber die Eisenwaagen und Magazine an der großen Schleuse, in welchen alles zum Ausschiffen von S. bestimmte Eisen aufgestapelt wird, und dicht dabei das sogenannte Stadthaus, worin eine katholische und eine griechische Kirche, ein Gefängniß und die Locale einiger Behörden sich befinden; ferner der Adolf-Friedrichs-Markt, welcher der größte in der Stadt ist. – Das Klima von S. ist milder, als man es bei der nördl. Lage der Stadt erwarten sollte, aber nicht gesund, weshalb die Zahl der Verstorbenen häufig die der Geborenen übersteigt.

Das Leben in S. ist äußerst lebhaft und thätig. Die Fabriken liefern besonders Seidenwaaren, wollene und baumwollene Zeuche, Eisen-, Glas-, Gold- und Silberwaaren, Leder und Taback Der Handel, für den ebenfalls S. der Hauptort für ganz Schweden ist, hat zu Ausfuhrartikeln besonders die Erzeugnisse des Berg- und Hüttenbaus, nämlich Eisen und Kupfer, dann Holz, Pech und Theer. Die Ausfuhr wird aber bei dem Luxus und bei dem starken Bedürfnisse nach Erzeugnissen des Südens von der Einfuhr [305] überstiegen. Die Stadt hat an 225 eigne Schiffe. Der Hafen ist bis an die große Schleuse auch für die größten Seeschiffe zugänglich. Bei der Vortrefflichkeit der Kanaleinrichtung in Schweden kann auch von hier aus über den Mälarsee und weiter ein lebhafter Wasserverkehr getrieben werden. Das gesellige Leben hat in S. einen eigenthümlichen Charakter. Wie oft in nordischen Städten, hat dasselbe, da es bei der Länge und Strenge des Winters zu sehr in die Salons verwiesen ist, wie in den Genüssen eine Verfeinerung und Künstlichkeit, so auch in dem Umgangstone eine Unnatürlichkeit und Feierlichkeit angenommen, die sich selbst bis in die mittlern Stände erstreckt. Dieses wird durch die Nachahmung des pariser Lebens, welche den Schweden längst den Namen der Franzosen des Nordens verschafft hat, noch vermehrt. Der Adel lebt hier noch mehr in abgeschlossenen Cirkeln, als dies in andern Hauptstädten der Fall ist. Die Hauptvergnügungen des Winters sind Schlittenfahrten, Musik, Kartenspiel und Tanz. Letzterer zeichnet sich durch eine uns fast unbekannt gebliebene Eleganz aus. Im Sommer bieten besonders die Wasserfahrten eine große Abwechselung von Vergnügungen dar. Das höhere geistige Leben vertreten die vielen Anstalten für Wissenschaft und Kunst: die Akademie der Wissenschaften, seit 1719 bestehend, an deren Gründung Linné (s.d.) bedeutenden Antheil hatte; die Akademien für schöne Wissenschaften und Geschichte (eine Nachahmung der franz. Académie des inscriptions et belles lettres), für die schwed. Sprache, und eine musikalische Akademie, wie auch mehre Privatvereine für ähnliche Zwecke. Ferner mehre Bibliotheken und Kunstsammlungen, die schon oben erwähnt sind. Höchst merkwürdig ist die im Münzgebäude befindliche Niederlage von elfdaler Porphyrarbeiten. Sie bestehen vorzüglich in Vasen bis 30 Zoll Höhe, Tischplatten, Leuchtern u.s.w. und zeichnen sich ebenso sehr durch die Schönheit des Steins, eines dunkelbraunen Hornsteinporphyrs mit fleischrothen Feldspathprismen, von bedeutender Härte, als durch die Trefflichkeit der Formen und der Arbeit aus. An Schulen hat S. mehre höhern und niedern Ranges, auch eine Kriegsakademie für Seecadetten und ein medicinisch-chirurgisches Institut. So steht S. an allgemeiner Bildung keiner andern Hauptstadt nach. Eine der bedeutendsten öffentlichen Anstalten ist das Taubstummen- und Blindeninstitut, das auch Unterricht in einem nützlichen Handwerke bezweckt, und das großartige Stadtwaisenhaus, das sich aller verlassenen Kinder vom ersten Augenblicke ihres Lebens bis zum 14. Jahre annimmt und zuweilen theils in der Stadt selbst, theils auf dem Lande mehr als 3000 derselben unterhält. Der Wohlthätigkeitssinn bewährt sich auch noch in andern ähnlichen öffentlichen und Privatanstalten.

In der Umgegend S.'s sind zu bemerken: der Thiergarten mit Damhirschen, auf einer hügeligen, mit Holz bewachsenen Halbinsel östl. von Staden; Haga, am Nordthore von Norrmalm, an einer Bucht der Ostsee, eine Schöpfung und der Lieblingsaufenthalt von Gustav III.; Ulriksdal, etwa eine halbe Meile weiter an der nämlichen Bucht, mit einem größern Schlosse, das aber 1821 in ein Invalidenhaus verwandelt worden ist; Drottningholm auf der Insel Loföe im Mälar, und Gripsholm am Mälar, dessen Schloß oft als Staatsgefängniß gedient und auch Gustav IV. nach seiner Absetzung eine Zeit lang gefangen gehalten hat. Im Eingange des Hafens und zu dessen Deckung liegt das Castell Waxholm.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 304-306.
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