Bautzen

[491] Bautzen (wend. Budissin), Hauptstadt der gleichnamigen sächs. Kreishauptmannschaft, die erste der sogen. Vierstädte, auf einer steilen Anhöhe (210 m ü. M.) an der Spree, Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Dresden-Görlitz, Schandau-B. und B.-Königswartha, besteht aus der eigentlichen, mit Mauern und Warttürmen umgebenen Stadt u. Vorstädten, die durch Alleen von der Stadt geschieden und mit Wall und Gräben (jetzt z. T. Promenaden) umgeben sind, während das meist von Wenden bewohnte Dorf Seidau (3068 Einw.) nördlich, ebenfalls an der Spree liegt. Auf dem höchsten Punkte der Stadt liegt das 958 gegründete, aber später abgebrannte Schloß Ortenburg, ehemals häufig Residenz der Könige von Böhmen, jetzt Sitz mehrerer Behörden.

Wappen von Bautzen.
Wappen von Bautzen.

Unter den Kirchen ist die bemerkenswerteste der paritätische Dom St. Petri, ein großer Hallenbau von unregelmäßiger Grundform, 1441–97 erbaut, mit 94 m hohem Turm und kostbaren Kirchengefäßen. Ein eisernes Gitter trennt den evangelischen und katholischen Teil. Andre Kirchen sind die alte und die neue zu St. Maria und Martha, die evangelische Dreifaltigkeits- oder Taucherkirche, die St. Michaeliskirche (für wendische Protestanten) und die Kirche zu Unserer Lieben Frau (für wendische Katholiken). Andre ansehnliche Gebäude sind: die beiden Landschaftshäuser, die Dekanei (Kapitelhaus), das schöne Rathaus mit schlankem Turm, das Stadt bad etc. Sehenswert sind auch die Ruinen der Nikolai- und der Mönchskirche innerhalb der Stadt. Die Zahl der Einwohner betrug 1900 mit der Garnison (1 Infanterieregiment Nr. 103) 26,024, darunter 3198 Katholiken und 65 Juden. Der älteste, schon im 17. Jahrh. wichtige Industriezweig ist das Stricken und Wirken wollener Strümpfe, Jacken etc.; auch die Tuchfabrikation ist bedeutend. Außerdem hat B. drei Eisengießereien mit Maschinenbauwerkstätten, einen Kupferhammer mit Walzwerk, ein Stanz- und Emaillierwerk, Fabriken für schmiedeeiserne Fenster und Eisenkonstruktionen, Wagenbau, Fabrikation von Fahrrädern, Zement- und Tonwaren, Zigarren, Pulver, Leder, Papier, Strickmaschinen, Sprit etc.; ferner mechanische Spinnerei und Weberei, lithographische Anstalten, Färberei, eine Appretur- und chemische Waschanstalt, Bierbrauerei, Ziegelbrennerei, Granitsteinbrüche etc. Der Handel erstreckt sich vorzugsweise auf die Erzeugnisse der dortigen Industrie. Er wird unterstützt durch eine Reichsbanknebenstelle und die Landständische Bank; auch besitzt B. schon seit 1284 ein Kaufhaus, das jetzt von Grund aus umgebaute Gewandhaus. An Bildungsanstalten befinden sich dort: ein Gymnasium (seit 1556), ein evangelisches und ein kath. Schullehrerseminar, eine Realschule, eine Handelslehranstalt, eine landwirtschaftliche Lehranstalt, eine Industrie- und Gewerbe- und eine Gartenbauschule, ein Altertumsmuseum,[491] eine Bildergalerie etc. An Wohltätigkeitsanstalten zählt B. vier Spitäler, ein Waisenhaus, eine Korrektionsanstalt etc. B. ist Sitz einer Kreis- und Amtshauptmannschaft, eines Konsistoriums, eines Landgerichts, eines Hauptzollamtes und des Domstifts St. Petri, das aus einem katholischen Dechanten (der stets infuliert und jetzt gewöhnlich ein Bischof in partibus ist), einem evangelischen Propst (stets ein Meißener Domherr, weil das Domstift St. Petri geschichtlich ein Kollegiatstift von Meißen ist), 10 Domherren und 5 Vikaren derselben besteht. Das Stift wurde 1213 von dem Bischof Bruno II. von Meißen gestiftet und hat große Besitzungen. Die städtischen Behörden zählen 10 Magistratsmitglieder und 27 Stadtverordnete. – Zum Landgerichtsbezirk B. gehören die 18 Amtsgerichte zu: B., Bernstadt, Bischofswerda, Ebersbach, Großschönau, Herrnhut, Kamenz, Königsbrück, Löbau, Neusalza, Neustadt bei Stolpen, Ostritz, Pulsnitz, Reichenau, Schirgiswalde, Sebnitz, Stolpen und Zittau.

Geschichte. B., ursprünglich eine slawische Niederlassung Budissin, erscheint um 1004, wo es vom König Heinrich II. erobert ward, als befestigte Stadt. Hier ward 1018 der Friede zwischen dem Polenherzog Boleslaw und Kaiser Heinrich II. und 1350 der Vertrag zwischen Karl IV. und Ludwig von Brandenburg geschlossen, durch den Ludwig seinen Ansprüchen auf die Niederlausitz entsagte, aber Brandenburg verbürgt erhielt. 1431 schlug B. einen Sturm de 8 Hussiten ab. 1620 nahm es Kurfürst Johann Georg, 1633 Wallenstein ein, und 4. Mai 1634 brannte es der vom Kurfürsten von Sachsen belagerte kaiserliche Oberst v. Goltz, bevor er sich ergab, nieder. 1813 stellten sich hier die verbündeten Preußen und Russen zur zweiten Schlacht 20. und 21. Mai (auch Schlacht bei Wurschen genannt). Die natürliche Festigkeit ihrer Stellung auf dem rechten Spreeufer, deren Zentrum etwa eine Stunde von B. entfernt blieb, war durch Verschanzungen verstärkt worden, dehnte sich aber auf einer 15 km langen Linie zu weit aus, und Bäche, Teiche und kleine Waldstriche erschwerten die Verbindung der Heeresabteilungen. Der von den Russen unter Fürst Gortschakow gebildete linke Flügel reichte hinauf bis zu dem Kunewalder Gebirge, das Zentrum, die Preußen unter Kleist, York und Blücher, stand auf den etwas aus der Linie vorspringenden Kreckwitzer Höhen bis an die Teiche, die sich von deren östlichem Fuße bis an die Spree erstrecken; den rechlen Flügel bildeten wieder Russen unter Barclay, von Preititz und Gleina bis Gotta. Die Verbündeten zählten 80–90,000 Mann, Napoleon am zweiten Tage 50–60,000 mehr; doch waren jene an Reiterei und Geschütz überlegen. Ausschließlich von dem Gedanken der Verteidigung beherrscht, versäumten die Verbündeten, über die Kaiser Alexander tatsächlich den Oberbefehl führte, den Angriff, solange Neys Korps noch nicht eingetroffen war. Napoleon dagegen beschloß, am 20. Mai zum Schein den linken Flügel der Verbündeten anzugreifen, um sie festzuhalten, bis Ney ihnen in die rechte Flanke und in den Rücken fallen könne. Er wollte sie gegen das Gebirge drängen und ihnen den Rückzug abschneiden. Napoleon eröffnete die Schlacht, indem er durch Oudinot bei Grubschütz, durch Macdonald bei B., durch Marmont unterhalb der Stadt den Übergang über die Spree erzwingen ließ. Da nur Kleist dem Korps Bertrand bei Burg und Niedergurkau hartnäckigen Widerstand leistete, getaann Napoleon Raum, seine Schlachtordnung auf dem rechten Ufer zu entwickeln. Die von ihm beabsichtigte Täuschung gelang. Auch 21. Mai fuhr Alexander gegen Wittgensteins Rat fort, dem jetzt von Miloradowitsch befehligten linken Flügel Verstärkungen zuzuschicken. Der dadurch bedrängte Oudinot erhielt von Napoleon nur die Antwort: er möge sein Bestes tun, um 3 Uhr würde die Schlacht gewonnen sein. Denn unterdes hatte Ney Barclays Hauptstellung auf dem Windmühlenberg bei Gleina, dann auch das schon in Blüchers Rücken gelegene Dorf Preititz genommen. Die Preußen entrissen dieses zwar der Division Souham wieder. Als aber nun Napoleon und Ney gemeinschaftlich das Zentrum auf den Kreckwitzer Höhen angriffen und Preititz zum zweitenmal verloren ging, wurde der Rückzug unvermeidlich, den die Verbündeten in voller Ordnung nach der Oder zu vollführten; ihr Verlust wird auf 12–15,000 Mann, der der Franzosen auf 25,000 Mann geschätzt. Vgl. Pfütze, Heimatkunde von B. (2. Aufl., Bautzen 1889); Wilke, Geschichte der Stadt B. (das. 1843); v. Meerheimb, Die Schlachten bei B. (Berl. 1873); Beitzke, Geschichte der Freiheitskriege, Bd. 1, S. 196 (4. Aufl. von Goldschmidt, Brem. 1882); Foucart, B., une bataille de deux jours; la poursuite jusqu'à l'armistice (Par. 1897–1901, 2 Bde.).

Die Kreishauptmannschaft B. zählt auf 2470 qkm (44,86 QM.) (1900) 405,173 Einw. (164 auf 1 qkm), davon 361,285 Evangelische, 41,605 Katholiken und 12,416 Juden (ca. 47,000 Wenden), und besteht aus den vier Amtshauptmannschaften:

Tabelle
Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 491-492.
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