Neuntes Buch.


[182] Lieder an Soma.


Das neunte Buch unterscheidet sich von allen übrigen Büchern des Rig-Veda dadurch, dass alle Lieder desselben an den als Gottheit aufgefassten Soma, der gewöhnlich den Beinamen Pavamāna, d.h. der hellrieselnde oder flammende erhält, gerichtet sind. Der Name Soma stammt aus einer Wurzel su, die ursprünglich »zeugen« bedeutet, aber im RV. ganz auf das Ausspressen und Keltern der zur Somabereitung benutzten Pflanze beschränkt wird, und Soma selbst bedeutet daher ursprünglich den durch dies Verfahren gewonnenen Saft. Dies Verfahren war ein sehr mannichfaches, eins der einfachsten ist im ersten Theile, S. 15. 16, angegeben. Aber so häufig auch dies Verfahren in allen seinen einzelnen Abstufungen hier erwähnt wird, so gelingt es doch nicht, aus unserm Buche eine in allen Theilen klare Anschauung zu gewinnen, weil nämlich nach dem eigentümlichen Charakter dieses Buchs alle einzelnen Vorgänge bei jenem Verfahren mystisch gedeutet und in ihrem wirklichen Verlauf als bekannt vorausgesetzt werden. Im wesentlichen waren die Veranstaltungen, wie sie im neunten Buche vorausgesetzt werden, folgende: Die Somapflanzen werden mit Wasser übergossen, und von Männern mit den Händen tüchtig durchgespült und geschüttelt, dann herausgezogen und mit den Fingern besonders die Stengel gestrichen (wie ein Ross gestriegelt), um sie von dem anhängenden Wasser und den zufälligen Verunreinigungen zu befreien. Dann wurden die so vorbereiteten Pflanzen auf ein durchlöchertes Brett gebracht, und mit Steinen,[183] die mit den Händen bewegt wurden, ausgekeltert, vielleicht auch bisweilen statt dessen zwischen zwei Brettern gepresst. Der so gewonnene Saft fliesst nun durch das Filtrum. Dies bestand aus Schafwolle, welche theils durch Ineinanderflechten theils durch Stäbe befestigt war, und der geklärte Saft träufelte im ersten Falle von einer Art Netz, im zweiten an den Stäben dieser Seihe herab in die hölzernen Kufen, die zum Auffangen dienten. Hier wurde er mit Milch, oft auch mit Gerstengebräu auch wol mit Honig vermischt. Oft wurde er dann, namentlich wenn die Mischung einer Gärung ausgesetzt war, aufs neue in gleicher Weise filtrirt, und der so erhalte Trank den Göttern, besonders dem Indra, vorgesetzt oder zugefüllt. Aber wie Soma als Gott personificirt und ihm gelegentlich die Thaten der andern Götter zugeschrieben werden, so werden auch alle jene Vorgänge mystisch gedeutet. Das Pressen des Saftes wird als seine Erzeugung, das Streichen mit den Fingern als ein Liebkosen von zehn verschwisterten Jungfrauen, oder als Striegeln des Rosses, was, zum Wettlauf ausgesandt, nach dem Preise an dem Ende der Rennbahn hineilt, dargestellt, ferner wird die Seihe, das Sieb, das Läuterungsnetz als Himmel gedacht, an dem die im Morgenroth gläzenden hellrothen oder goldfarbenen Tropfen wie Sonnen leuchten, die Kufen als die Erde, die von dem Auge des Tropfens beschaut wird, und der Raum zwischen Seihe und Kufe als der Luftraum dargestellt. Die beigemischten Milchtränke werden als Kühe geschildert, denen der Soma als Stier brünstig entgegenstürzt, oder mit denen er (bei der zweiten Filtration) verbunden dahineilt.

Diese ganze mystische Auffassung des Soma und seiner Bereitung muss als sehr alt anerkannt werden. Denn sie findet sich auch im Zendavesta wieder und wurzelt also in einer Zeit, wo Inder und Iranier oder wenigstens die baktrischen Stämme derselben eine Einheit bildeten. In der That wird dort der Haoma, was die regelrechte Umwandlung des Namens Soma in die Sprache des Zend darstellt, ganz in entsprechender Weise als Gott personificirt. Es muss also die Grundanschauung, die dem neuten Buche zu Grunde liegt, als eine uralte bezeichnet werden. Und auch die Lieder, wie sie vorliegen, gehören zwar nicht der ältesten, wol aber noch der Blütezeit der vedischen Poesie an; es finden sich äusserst wenige (höchstens funfzehn) Verse, welche einen spätern Ursprung verrathen und später eingeschoben sind. Sehr viele Verse aus diesem Buche und zwar noch mehr als aus dem achten finden sich im SV. und namentlich in dessen zweiten Theile wieder. Und besonders dies Auftreten im zweiten[184] Theile des SV. bildet hier, wie im achten Buch, ein wesentliches Mittel um die Theilung in Strophen oder in einzelne kleine Lieder, die sich auch aus innern Gründen oder aus der äussern Anordnung ergibt, zu bestätigen.

Die Angabe der Verfasser in der Anukramanika ist ganz werthlos und findet in den echten Liedern dieses Buchs keinerlei Bestätigung. Ueberdies sind als Verfasser meist mythische Personen angegeben. Auch die ganze Anordnung weist uns durchaus nicht auf bestimmte Familien hin, denen einzelnen Theile entstammt wären.

Die Anordnung ist eine äusserst einfache und streng durchführte, aber von der der übrigen Bücher wesentlich abweichende. Nämlich sie ist nach dem Versmass gemacht. Und zwar beginnt dasjenige Versmass, in dem die grösste Zahl der Lieder gedichtet ist u.s.w. Auf diese Weise treten fünf Gruppen hervor, von denen die erste, wenn die einzelnen Lieder, in welche die letzten Glieder der meisten Gruppen zu zerfällen sind, als solche gezählt werden, 130 Lieder enthält, die zweite 36, die dritte 34, die vierte 8, fünfte 8 (wenn die spätere Nachbildung [105] ausgeschlossen wird.) Dann folgen Lieder, deren jedes ein neues Versmass enthält, und welche ich als sechste Gruppe zusammengestellt habe. Doch finden sich in dieser letzten Gruppe Lieder, welche nicht der ursprünglichen Sammlung angehörten und die zum Theil alten Ursprungs (112 und wol 113 B) zum Theil (114) spät angefügt sind. In jeder Gruppe, mit Ausnahme der mehr zusammengewürfelten letzten, sind die Lieder streng nach abnehmender Verszahl geordnet. Eine Ausnahme bildet nur das vielleicht eingeschaltete Apri-Lied (5), welches unter Liedern von zehn Versen stehend, dem nothwendigen Erforderniss der Apri-Lieder gemäss elf Verse enthält. Im Versmass weicht nur das Lied 67 F ab, welches drei zweireihige Verse enthält, wo möglicherweise je eine Zeile ausgefallen ist.

Die Eintheilung in Lectionen (Anuvāka) erscheint auch hier im allgemeinen als eine sachgemässe, doch greifen bisweilen die naturgemässen (dem Versmass nach gesonderten) Gruppen in das Anfangslied einer neuen Lection hinüber, und in den beiden letzten Gruppen erscheint die Eintheilung in Lectionen im Widerspruch mit den hier freilich mehr vereinzelten Versmassen.

Quelle:
Rig-Veda. 2 Teile, Leipzig 1877, [Nachdruck 1990], Teil 2, S. 182-185.
Lizenz:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon