Dünen

[273] Dünen sind durch den Wind aufgehäufte wallartige Hügel von Flugsand im Binnenland (Sahara, Ägyptische Wüste, Banat, in kleinem Maßstab auch die Norddeutsche Tiefebene), besonders aber (Seestrandsdünen) an flachen, sandigen Küsten der Meere. Diese finden sich an der preußischen und russischen Ostseeküste, auf den Inseln Ösel und Dagö; an der Nordsee im W. von Holstein, Schleswig und Jütland, auf Sylt, Föhr, Helgoland, Norderney, Borkum; an der Westküste von Frankreich, in Ägypten, an der Südküste Australiens, in Florida etc. Nach v. Tillo nehmen die Dünenlandschaften 7 Proz. der gesamten Landoberfläche ein. Die D. sind oft sehr ausgedehnt; an der Ostsee gibt es D. von mehr als 45 km Länge, im südlichen Frankreich zwischen den Mündungen des Adour und der Gironde sogar solche von mehr als 230 km Länge und 5 km Breite. Die D. sind meist 10–15 m, in vielen Fällen 30–40, in einzelnen (Sahara) 100, ja 180 m hoch. Die dem Wind oder dem Meer zugekehrte Seite der D. ist konvex und ziemlich flach geböscht (5–15° geneigt), während an der gegenüberliegenden, im Windschatten gelegenen Seite sich ein steiler Absturz (unter etwa 30°) befindet, an den sich weiter nach unten ein schwächer geneigter, meist konkaver Abfall anschließt. Der Seewind treibt den bei Ebbe trocken gelegten Sand vor sich her und hebt ihn in die Höhe, bis bei schwächer werdendem Sturm die Sandkörner durch ihr eignes Gewicht sinken und sich im natürlichen Böschungswinkel absetzen, ein Prozeß, den Fig. 1 erläutern soll. Bei recht typischer Entwickelung kann man drei Dünenreihen unterscheiden:

Fig. 1. Schema der Dünenbildung.
Fig. 1. Schema der Dünenbildung.

die Vordüne, die das vom Meere geförderte Material zunächst empfängt; die hinter dieser liegende hohe Düne, die den Flugsand später aufnimmt und sich infolgedessen allmählich erhöht; endlich die Innendüne, niedrigeres, hinter der hohen Düne liegendes Gehügel, das sich aus jenen Sandmassen bildet, die bei heftigem Wind über den nackten Grat der hohen Düne hinübergeführt werden. Wo das Gelände hinter dem Strande höher ansteigt, oder wo es mit Waldungen bestanden ist, wird die Ausbildung der D. sehr gefördert, weil in beiden Fällen die den Sand forttreibende Kraft des Windes erheblich geschwächt wird und deshalb der Sand liegen bleibt (Fig. 2). Solange durch die von der See kommenden Winde frischer Seesand der Düne zuweht, vermehrt sich nicht nur ihre Masse, sondern es wachsen bei dem Anflug salziger Bestandteile des Meeres die Dünenpflanzen um so kräftiger, wodurch ein vollständiges Auffangen des Sandes und eine widerstandsfähige Oberfläche entsteht.

Fig. 2. Dünenbildung.
Fig. 2. Dünenbildung.

Gibt aber der Strand keinen Sand mehr her, so verkümmert der Pflanzenwuchs, und jeder starke Wind treibt den losen, ausgewaschenen Sand ab, entblößt die Pflanzen, und bald ist die Böschung kahl und ohne Widerstand. Wind und Regen nagen dann an den D., Abbruch der Küste und Hereinbrechen von Sturmfluten untergraben ihren Fuß und erzeugen steile Abstürze, auch gegen die See zu. Eine solche kahle Düne erscheint bei starkem Sturm wie in dichten Nebel gehüllt; die ganze Oberfläche ist in Bewegung; teils fliegt der Sand weit fort, teils nur über die Krone hinüber auf die landseitige, geschützte Böschung. Die ganze Düne wird bei wiederholten Stürmen auf diese Weise landeinwärts verschoben, sie wandert. Die Schnelligkeit der Wanderung ist von lokalen Verhältnissen abhängig, vielfach aber so bedeutend, daß sie den hinter den D. liegenden Ortschaften höchst verderblich wird. Auf Sylt schreiten die D. jährlich 4,4 m von W. nach O. vor, auf der Frischen Nehrung hat man ein jährliches[273] Fortschreiten von 3,75–5,6 m beobachtet, und bei St.-Paul-de-Léon in der Bretagne haben die D. seit 1666 bei einem jährlichen Vordringen von mehr als 9 m den ganzen Küstenstrich mit einem Sandmeer bedeckt, aus dem nur noch Spuren einiger Kirchtürme hervorragen. Die bedeutendsten D. Europas, die auf der Kurischen Nehrung, mit einer durchschnittlichen Kammhöhe von 37–47 m (an manchen Stellen sogar 63 m), wandern von der See zum Haff und haben schon 2/3-3/4 dieses Weges vollendet; sechs Dörfer sind bereits vollständig von ihnen begraben, und das ehemalige Kirchdorf Kunzen kommt jetzt auf der Seeseite der darüber hingeschrittenen Düne wieder zum Vorschein. Die Schnelligkeit dieser Wanderung beträgt etwa 5,5 m im Jahr, und man nimmt an, daß in wenig mehr als 200, spätestens aber in 500 Jahren das Haff von den D. ausgefüllt und mit der Nehrung und dem Memeldelta nivelliert sein wird.

Auch aus dem Binnenland sind solche fortschreitende Versandungen bekannt. Der Sand der Sahara, der Libyschen Wüste, der Gobiwüste hat allmählich viel kultiviertes Land überdeckt; die östlichen Ufer des Kaspischen Meeres unterliegen von O., der Landseite, her der Versandung, und in der Banater Sandwüste wandert eine 6,5 m hohe Düne jährlich etwa 4 m von W. nach O. In Argentinien kennt man wandernde D. (sogen. Medanos) in den Sandwüsten an der Sierra de Cordoba.

Wandernde D., die sich im 18. Jahrhundert auf der Frischen Nehrung gebildet hatten und fruchtbare Niederungen, vor allem den zur Stadt Danzig gehörigen, ca. 30 km langen Kiefernwald, von Jahr zu Jahr mehr begruben, gaben den ersten Anstoß zur planmäßigen Befestigung und Bepflanzung der D. Wie die D. in verwahrlostem Zustand eine Gefahr bilden, so geben sie, gut unterhalten, dem hinterliegenden Land einen wertvollen natürlichen Schutz gegen den Ansturm der Meereswogen. Die meisten flachen Küstenländer Europas verdanken ihr Dasein fast nur diesen natürlichen Wällen, die das dahinterliegende flache, oft sogar unter dem Meeresspiegel gelegene, an Sümpfen, Teichen und Seen (Dünenseen) reiche Land vor dem Einbruch der Fluten schützen. Die größern Dünenseen (Zuidersee, Haarlemer Meer etc.) stehen oft durch Kanäle und natürliche Durchbrüche mit dem Meer in Verbindung; die kleinern zeigen häufig eine kräftige Torfbildung, die aber von Zeit zu Zeit durch den Einbruch der Düne abgeschlossen wird. Die Sandmassen bedecken dann das Torflager, und unter ihrer Last entsteht ein Torf (Martorf), der etwa viermal schwerer als gewöhnlicher Torf, deutlich geschichtet, schieferig und bisweilen kaum von Braunkohle zu unterscheiden ist.

Die Hauptaufgabe des Dünenbaues besteht darin, durch Festlegung der D. die Küsten zu sichern und die Erhaltung des Landes zu gewährleisten. Wo die Breite des Strandes es nur irgendwie gestattet, werden zunächst vor die hohen D. grüne Vordünen gelegt, durch die der von der See ausgeworfene Sand unmittelbar am Strand aufgefangen und festgehalten wird. Die Menge des landeinwärts fliegenden Sandes wird hierdurch verringert, zuzeiten ganz aufgehoben; die Forstkulturen auf den hinter den Vordünen liegenden Binnendünen werden gegen neue Übersandungen von der See aus geschützt, und die sichere Durchführbarkeit dieser Kulturen wird dadurch überhaupt erst ermöglicht. Der fliegende Dünensand kann aber mit dauerndem Erfolg nur durch eine lebende Deckung festgelegt werden. Alle mechanischen Befestigungen müssen mit der Zeit verrotten. Tote Bedeckungen können daher nur die Bewegungen des Dünensandes im Zaum halten, bis die lebende Bedeckung Wurzel gefaßt hat. Bei der toten Decke unterscheidet man stehende und liegende. Die stehende Bedeckung bildet eine Art Zaun oder Wand von größerer oder geringerer Dichtigkeit aus Dielen oder Strauchwerk. Zur liegenden Bedeckung dienen Baumzweige. Die lebende Bodenbedeckung besteht aus Dünengräsern und Kräutern für die Vordünen oder aus Holzarten in den Binnendünen. Das wichtigste Befestigungsmittel der Vordünen ist das Sandgras, und zwar Ammophila arenaria und A. baltica für die Luvseiten, Elymus arenarius für die Leeseite der D. Weiden haben sich auf den Vordünen nicht bewährt. Mit der Ausbildung der Vordünen nimmt die gleichmäßige Ausbildung des Strandes zu. Der Dünenwald ist in jeder Hinsicht als Schutzwald zu betrachten, Deckung des Bodens und dessen Erhaltung in dauernd befestigtem Zustand ist alleiniger Zweck des Dünengehölzes; Nutzung ergibt sich nur nebensächlich und zufällig, von einer Holznutzung im forstlichen Sinne kann nicht die Rede sein. Durch die Dünenbewaldung wird aber das dahinter gelegene Binnenland geschützt, die klimatischen und gesundheitlichen Verhältnisse bessern sich, vorhandene Ansiedelungen werden erhalten, neue befördert. Von den Holzarten muß verlangt werden: größte Genügsamkeit bezüglich des Bodens, möglichste Unempfindlichkeit gegen das Peitschen und Rei ben des Gezweiges und gegen das Anschlagen von Sandkörnern und Eiskristallen an die jungen Triebe, Blätter, Nadeln und Knospen durch die herrschenden Winde, Unempfindlichkeit gegen Winterfrost und starke Wärmeschwankungen, Sturmbeständigkeit, die Fähigkeit, sich lange geschlossen zu halten und durch Laub- und Nadelabfall den Boden zu bessern. In vollstem Maße genügen diesen Anforderungen nur die Bergkiefer (Pinus montana var. uncinata) auf hohem, trocknem Gelände und die Schwarzerle (Alnus glutinosa) auf flachem, feuchtem Gelände. Demnächst folgen die gemeine Kiefer (Pinus silvestris) und die Birke (Betula verrucosa) und zuletzt kämen die Rotfichte (Picea excelsa) und die Weißfichte (P. alba) in Betracht. Der Pflanzenwuchs der D. ist vor Beschädigungen durch Viehtrieb, in die Windrichtung fallende Wege u. dgl. sorgfältig zu schützen. So notwendig die Vordünen und ihre Unterhaltung für den Schutz und Bestand der Küsten sind, einen unbedingt sichern Schutz vermögen sie nicht an allen Orten zu geben. Zahlreiche Küsten sind so sehr den Angriffen der Wellen ausgesetzt, daß alljährlich Abbrüche erfolgen, und zwar auch bei festen Bodenarten. Das hängt von der Lage des Strandes, von der Richtung gegen die vorherrschenden Winde, namentlich aber von der Küstenströmung ab. Den heftigen und wiederholten Angriffen von Sturmfluten widersteht die Sandgrasdecke nicht. Es sind da besondere Schutzmaßregeln erforderlich, die man aber wegen ihrer Kostspieligkeit zunächst auf die wichtigsten Küstenstellen beschränkt, wo Leuchtfeuer oder Seezeichen sich befinden oder Häfen und Flußmündungen zu sichern sind. Man unterscheidet die Sicherung des Strandes und die des anschließenden Hochufers. Ohne Sicherstellung des Strandes ist jedoch an erfolgreiche Deckung des Hochufers nicht zu denken. Am wichtigsten ist die Erhaltung des unter dem mittlern Wasserstand gelegenen sogen. nassen Strandes. Sie erfolgt mittels gleicher Maßnahmen, wie die Erhaltung des trocknen Strandes. Die Strandschutzwerke sind Bühnen (Strandbuhnen)[274] verschiedener Bauart, die wie die Zähne eines Kammes über den nassen und trocknen Strand sich hinziehen und um deren Köpfe die Strömung spült. Die Uferwerke können aus Ufermauern, Pflasterungen u. dgl. bestehen, welche die Buhnenwurzeln miteinander verbinden und das hohe Dünenland einsäumen. Vgl. Hartig, Über Bildung und Befestigung der D. (Berl. 1830); Krause, Der Dünenbau an den Ostseeküsten Westpreußens (das. 1850); Hagen, Handbuch der Wasserbaukunst, 3. Teil: Das Meer (2. Aufl., das. 1878–81, 4 Bde.); Gerhardt, Abromeit, Bock und Jentzsch, Handbuch des deutschen Dünenbaues (das. 1900); Sokolow, Die D., Bildung, Entwickelung und innerer Bau (deutsch von Arzruni, das. 1894).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 273-275.
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