Görres

[141] Görres, 1) Johannes Joseph von, deutscher Publizist und Gelehrter, geb. 25. Jan. 1776 in Koblenz, gest. 29. Jan. 1848 in München, Sohn eines Flößhändlers und einer italienischen Mutter, studierte Medizin in Bonn, wurde aber 1793 in seinen Studien durch das Hereinbrechen der französischen Revolution unterbrochen. Er wandte sich nun ausschließlich der Politik zu, sprach in Klubs und Volksversammlungen für die Sache der Freiheit und gründete ein Journal: »Das rote Blatt«, das, von den französischen Machthabern unterdrückt, u. d. T. »Rübezahl« zwar wieder auflebte, aber nach kurzem Bestehen abermals einging. 1799 an der Spitze einer Deputation nach Paris gesandt, um die Einverleibung des linken Rheinufers in Frankreich zu erwirken, überzeugte sich G. dort, daß »in Napoleon der Welt eine Tyrannei erwachse, wie sie seit der Römerzeit nicht mehr eingetreten sei«, und verzichtete auf seine Mission. Seine Erfahrungen auf dieser Reise veröffentlichte er in einem besondern Schriftchen: »Resultate meiner Sendung nach Paris im Brumaire VIII«. Von der Überzeugung durchdrungen, daß die Sache der Freiheit vorderhand unwiederbringlich verloren sei, zog er sich aus dem öffentlichen Lehen zurück, nahm 1804 eine Stelle als Lehrer der Naturgeschichte und Physik bei der Sekundärschule in Koblenz an und widmete sich daneben dem Studium der Arzneikunde sowie der Schellingschen Naturphilosophie. Von seinen Schriften erschienen damals die »Aphorismen über die Kunst« (Kobl. 1802), die »Aphorismen über Organonomie« (das. 1802), die »Exposition der Physiologie« (das. 1805), die »Aphorismen über Organologie« (Frankf. 1805, Bd. 1) und »Glaube und Wissen« (Münch. 1806). Mit einjährigem Urlaub begab er sich 1806 nach Heidelberg, wo seine Privatvorlesungen großen Zulauf hatten, worauf er 1808 nach Koblenz zurückkehrte. Um jene Zeit gab er mit Brentano und Arnim die Aufsehen und Widerspruch erregende »Einsiedlerzeitung« heraus (deren Titel später in »Tröst-Einsamkeit« verwandelt wurde; Neudruck von Pfaff, Heidelb. 1883), hierauf allein »Die deutschen Volksbücher« (das. 1807). Eine Frucht seines Studiums der persischen Sprache war seine »Mythengeschichte der asiatischen Welt« (Heidelb. 1810, 2 Bde.). Auch die Poesie des Mittelalters beschäftigte ihn, und er bewährte seinen Scharfsinn in geistreichen, aber größtenteils unhaltbaren Kombinationen, die er in der Einleitung zu seiner Ausgabe des »Lohengrin« (Heidelb. 1813) niederlegte. 1813 warf er sich mit ganzer Macht in die nationale Bewegung und gab seit Februar 1814 den »Rheinischen Merkur« heraus, das bedeutendste politische Blatt jener Zeit, das die Franzosen »eine fünfte Macht« nannten. Mit flammenden Worten sprach es gegen die französisch Gesinnten in Deutschland und empfahl die Liebe zu deutscher Sprache und Sitte, die Eintracht der Fürsten und Völker, die Erneuerung des Kaisertums, Preßfreiheit, ständische deutsche Verfassungen. Als im Februar 1816 der »Rheinische Merkur« wegen seiner Angriffe auf die preußische Regierung unterdrückt und G. der ihm 1814 von J. Gruner übertragenen Stelle eines Studiendirektors des Bezirks Koblenz enthoben wurde, ging er mit seiner Familie nach Heidelberg, kehrte aber schon 1817 nach Koblenz zurück, wo er während der großen Teuerung einen Hilfsverein stiftete. Daneben arbeitete er fleißig an einer Sammlung »Altteutscher Volks- und Meisterlieder« (Frankf. 1817). Als er einige Jahre später seine Schrift »Teutschland und die Revolution« (Kobl. 1819) erscheinen ließ, worin er die revolutionären Bewegungen der Zeit unterstützte, wurde von Berlin aus ein Verhaftsbefehl gegen ihn erlassen, dem er durch die Flucht nach Straßburg und der Schwetz entging. Während dieser Zeit erschien von ihm »Das Heldenbuch von Iran aus dem Schah Nameh des Firdusi« (Berl. 1820, 2 Bde.). In den politischen Schriften: »Europa und die Revolution« (Stuttg. 1821), »In Sachen der Rheinprovinzen und in eigner Angelegenheit« (das. 1822), »Die Heilige Allianz und die Völker auf dem Kongreß zu Verona« (das. 1822) gab er seinem Grimm über die Einverleibung seiner Vaterstadt und der Rheinlande in den preußischen Staat Ausdruck, während er in dem Buch »Emanuel Swedenborg, seine Visionen und sein Verhältnis zur Kirche« (Speyer 1827) eine starke Hinneigung zum Ultramontanismus und Mystizismus offenbarte. G. erwartete fortan die Verwirklichung seiner Hoffnungen von einer Erstarkung der katholischen Kirche und widmete demgemäß seine Feder der Verteidigung der kirchlichen Interessen. Dies führte zu seiner Berufung als Professor der Geschichte an die Universität zu München (1826), wo er bald als das Haupt der eifrigsten Katholiken galt und in seinen Lehrvorträgen und Schriften, namentlich in den »Historisch-politischen Blättern«, in enge Verbindung mit der herrschenden hierarchischen Partei trat. Er selbst stellte in der seit 1836 begonnenen Schrift »Die christliche Mystik« (Regensb. 1836–42, 4 Bde.; neue Aufl. 1879, 5 Bde.) ein ebenso vollständiges wie kunstvolles Lehrgebäude der katholischen Mystik auf. Die ganze Kraft seiner gewaltigen Polemik entwickelte er aber in der durch die Kölner Wirren veranlaßten Schrift »Athanasius« (Regensb. 1837, 4. Aufl. 1838), worin er rücksichtslos gegen den Protestantismus und die preußische Bureaukratie zu Felde zog. An Gegenschriften fehlte es nicht; nicht nur Heinrich Leo und Marheineke, der erstere in seinem »Sendschreiben an J. G.«, selbst Katholiken ergriffen in den zu Köln gedruckten »Rheinischen Provinzialblättern« die Feder gegen G. Dieser blieb in seiner Schrift »Die Triarier H. Leo, Ph. Marheineke und K. Bruno« (Regensb. 1838) die Antwort nicht schuldig und gab vier Jahre später in dem Buch[141] »Kirche und Staat nach Ablauf der Kölner Irrung« (Weißenb. 1842) sein letztes Wort in dieser Angelegenheit. Zu derselben Zeit verfaßte er auch die zum Besten des Kölner Dombaues bestimmte Schrift »Der Dom zu Köln und das Münster zu Straßburg« (Regensb. 1842). Die Schrift »Die Wallfahrt nach Trier« (Regensb. 1845) ist mehr polemischen Inhalts gegen die Richtungen der Zeit, die der kirchlichen Symbolik, deren Kern und Gehalt G. hier besonders ausführlich darlegt, feindlich entgegentreten. Sein Plan, eine ausführliche »Welt- und Menschengeschichte« zu schreiben, wurde durch seinen Tod vereitelt. Bruchstücke dieses Werkes sind die Abhandlungen: »Die Japhetiden« (Münch. 1845) und »Die drei Grundwurzeln des keltischen Stammes in Gallien« (das. 1845). Eine Gesamtausgabe seiner Werke besorgte seine Tochter Marie G. (Bd. 1–7, Münch. 1854–59; Bd. 8 u. 9, Freundesbriefe, hrsg. von Binder, 1874). Viel später erschienen seine »Vorträge über Enzyklopädie und Methodologie des akademischen Unterrichts 1841 bis 1842« (Münch. 1891). Vgl. Sepp, G. und seine Zeitgenossen (Nördlingen 1876) und dessen kleinere Biographie in Bettelheims »Geisteshelden« (Bd. 23, Berl. 1896); Galland, J. v. G. in seinem Leben und Wirken (Freib. i. Br. 1876); Wibbelt, J. v. G. als Literarhistoriker (Köln 1899); Franz Schultz, Joseph G. als Herausgeber, Literarhistoriker, Kritiker (Berl. 1902). Schultz gab auch G.' »Charakteristiken und Kritiken aus den Jahren 1804 und 1805« mit Einleitung (Köln 1900) heraus; seinen Briefwechsel mit Achim v. Arnim veröffentlichte Steig in den »Neuen Heidelberger Jahrbüchern«, 10. Jahrgang (1900). – Ihm zu Ehren wurde bei der Säkularfeier seiner Geburt 1876 die Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaften in katholischem Sinne gegründet. Sie gibt neben andern Vereinsschriften ein »Historisches« (bis 1904: 25 Bde.) und ein »Philosophisches Jahrbuch« (bis 1903: 16 Bde.), »Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte« (bisher 9 Bde.) und ein »Staatslexikon« (2. Aufl., Freiburg 1901 ff., 5 Bde.) heraus und stellt Preisaufgaben. Sitz der Gesellschaft ist Bonn. Vgl. Cardauns, Die Görres-Gesellschaft 1876–1901 (Köln 1901).

2) Guido, Schriftsteller, Sohn des vorigen, geb. 28. Mai 1805 in Koblenz, gest. 14. Juli 1852 in München, studierte in Bonn Geschichte und Philosophie, wandte sich der Schriftstellerei zu und begründete 1838 mit G. Phillips die »Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland«, die nach seinem Tode von E. Jörg fortgesetzt wurden und noch jetzt, unter F. Binders Leitung, erscheinen. Wir nennen von seinen Werken: »Die Jungfrau von Orléans nach den Prozeßakten und gleichzeitigen Chroniken« (Regensb. 1834, als Jugendschrift abgekürzt 1835; von beiden 2. Aufl. 1883); »Festkalender in Bildern und Liedern« (Münch. 1835–39, 3 Bde.); »Schön Röslein« (mit Zeichnungen von Pocci u.a., das. 1835, neue Ausg. 1883); »Marienlieder« (das. 1842,3. Ausg. 1853); »Das Leben der heil. Cäcilia«, episches Gedicht (das. 1843); »Der hürnen Siegfried« (mit Lithographien nach Kaulbach, Schaffh. 1843, neue Ausg. 1883); »Gedichte« (Münch. 1841); »Die Gottesfahrt nach Trier und des Teufels Landsturm«, zwei Gedichte (Kobl. 1844); »Die arme Pilgerin zum heiligen Rock«, Gedicht (das. 1846); »Das deutsche Hausbuch« (Münch. 1846–47, 2 Bde.). Als Dichter schwächlich-romantisch, ermangelte er auch in seinen pontischen Arbeiten des Talents und der schlagfertigen Kraft seines Vaters.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 141-142.
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