Händel

[721] Händel, Georg Friedrich, Komponist, geb. 23. Febr. 1685 in Halle a. S. als Sohn eines Wundarztes, gest. 14. April 1759 in London, zeigte früh auffallende musikalische Begabung, so daß schon 1696 der Kurfürst, nachmals König Friedrich I., dem Vater anbot, ihn in Italien ausbilden zu lassen, was derselbe aber ablehnte. Händels erster und eigentlich einziger Lehrer war der Organist Fr. W. Zachau. Das auf Wunsch des schon 1697 gestorbenen Vaters 1702 in Halle begonnene juristische Studium gab H. 1703 definitiv auf und begab sich nach Hamburg, wo unter Reinhard Keisers Leitung die 1678 eröffnete erste deutsche Oper einen großen Aufschwung genommen hatte, trat hier als Violinist ins Orchester, genoß den Umgang Mathesons und brachte 8. Jan. 1705 seine erste Oper: »Almira«, mit Beifall zur Ausführung (das Werk wurde 1878 von J. N. Fuchs in Hamburg neu inszeniert). Schon im Februar d. J. folgte seine zweite Oper: »Nero«. Eine dritte, sehr lange, wurde geteilt als »Daphne« und »Florindo« 1708 ausgeführt, als H. bereits in Italien war, wohin er sich 1707 zu weitern Studien gewendet hatte. Noch im Jahre 1707 brachte er in Florenz die Oper: »Rodrigo« zur Ausführung, ging von da nach Venedig, wo seine Anfang 1708 innerhalb drei Wochen geschriebene Oper »Agrippina« an 27 Abenden hintereinander gespielt wurde, und schließlich nach Rom, wo er zwei Oratorien: »La Resurrezione« und »Il trionfo del tempo«, in der Akademie der Arkadier und im Hause des Kardinals Ottoboni ausführen ließ. Er lernte dort auch die beiden Scarlatti (Alessandro und Domenico, mit welch letzterm er sich befreundete) kennen und reiste mit ihnen auch noch nach Neapel. 1710 bot ihm Agostino Steffani, den er in Venedig traf, seine Nachfolge als Hofkapellmeister in Hannover an; H. nahm die Stellung an, besuchte aber noch in demselben Jahre London, wohin ihn einflußreiche Gönner, die er in Italien kennen gelernt, dringend einluden. In 14 Tagen komponierte er hier die Oper »Rinaldo«, die mit dem größten Beifall aufgenommen[721] ward. Dann kehrte er zwar wieder nach Hannover zurück, doch nur, um 1712 die Stellung endgültig aufzugeben und ganz nach London überzusiedeln mit einem Jahresgehalt von 200 Pfd. Sterl. seitens der Königin Anna. Bald nach seiner Ankunft schrieb er aus Anlaß der Feier des Utrechter Friedens ein »Te Deum« und »Jubilate«, dem später ein zweites »Te Deum« auf den Dettinger Sieg und zahlreiche Kirchen- und Kammermusiken folgten. Seine vornehmste Tätigkeit blieb aber noch lange dem Theater zugewendet, für das er noch 1712 die Opern: »Theseus« und »Il pastor fido« schrieb. Als 1714 die Königin starb und Händels früherer Souverän, der Kurfürst von Hannover, ihr Nachfolger wurde, hatte H. zunächst einen schweren Stand, da derselbe seinen Gehalt strich. Doch versöhnte H. den neuen Herrn bald und stand nun fester denn vorher. Er schrieb in der nächsten Zeit die Oper »Amadis« (1715) sowie für den Herzog von Chandos zwei »Tedeums«, zwölf »Anthems« und die Oratorien »Acis und Galatea« und »Esther«. 1720 wurde ihm die Direktion der eben vom hohen Adel errichteten Londoner Oper (»königliche Akademie der Musik«) übertragen und zugleich die Mittel zur Verfügung gestellt, die berühmtesten Gesangsvirtuosen Europas für das Unternehmen zu gewinnen. Im folgenden Jahr eröffnete er die neue Akademie im Haymarket-Theater mit der Oper »Radamisto«, der er im Laufe seiner Direktionsführung (bis 1728) noch 13 weitere Opern folgen ließ. Neben H. war G. B. Bononcini ein rivalisierender Komponist für die Akademie. 1728 mußte die Akademie wegen pekuniärer Schwierigkeiten geschlossen werden, doch übernahm nun der technische Direktor Heidegger das Haus und die Requisiten und führte das Unternehmen auf eigne Gefahr weiter, nachdem H. wiederum persönlich in Italien die besten Gesangskräfte engagiert hatte. Aber auch dieses Unternehmen schlug fehl und mußte schon nach vier Jahren, während welcher H. wiederum sechs neue Opern komponiert hatte, aufgegeben werden; und nicht besser ging es dem Künstler bei einem dritten, 1733 unternommenen Versuch, denn nach siebenjähriger, unermüdlicher Tätigkeit sah er sich gezwungen, den Hindernissen zu weichen, die ihm der Widerstand der mit seinen italienischen Rivalen, namentlich Porpora und Hasse, verbündeten Aristokratie einerseits, die Eifersüchteleien der unter seiner Leitung stehenden Sänger anderseits bereiteten. 1740, nach Ausführung seiner 31. Oper, »Deidamia«, verließ er das Theater für immer, nachdem er bei dem letzten Unternehmen sein Vermögen eingebüßt hatte.

Inzwischen aber war er bereits mehrmals als Oratorienkomponist aufgetreten und hatte 1732 durch die Ausführung seiner neu überarbeiteten Werke »Acis und Galatea« und »Esther«, zu denen 1733 »Deborah«, das »Utrechter Tedeum« und »Athalia« neu hinzukamen, das der italienischen Oper feindliche konservative Element der Londoner Kunstfreunde für sich gewonnen. Er wandte nunmehr sein Hauptinteresse der Kunstgattung des Oratoriums zu, das unter seinen Händen sich aus einer Zwillingsschwester der Oper zu einer ganz neuen Kunstgattung entwickelte, in welcher der aus der italienischen Oper und dem Oratorium längst verschwundene Chor zu höchster Bedeutung wuchs. Äußerliche Anregung zu dieser Entwickelung gab das Verbot des Bischofs Gibson, biblische Oratorien szenisch darzustellen, und die alte Vorliebe der Engländer für Chorgesang. Hatte so der Künstler das eigentliche Gebiet seiner reformatorischen Tätigkeit betreten (auf dem der Oper war er kein Reformator, wohl aber der bedeutendste Repräsentant seiner Zeit), so war doch das Publikum weit entfernt, seinen Oratorien ein volles Verständnis entgegenzubringen, und selbst als H. sein Meisterwerk, den »Messias«, in der unglaublich kurzen Zeit von drei Wochen vollendet hatte, mußte er es für geraten halten, dasselbe nicht in London, sondern in Dublin zum erstenmal öffentlich auszuführen (13. März 1742); die ersten Aufführungen des Werkes in Deutschland fanden 1772 (unter Arne) und 1775 (unter Ph. E. Bach) in Hamburg statt. Der Erfolg des »Messias« in Dublin wirkte allerdings belebend auf die Teilnahme der Hauptstadt, die nunmehr Interesse an den früher entstandenen Oratorien nahm, von denen wir noch zu nennen haben: »Das Alexanderfest«, eine Verherrlichung der Macht der Musik (1736), »Saul« und »Israel in Ägypten« (1739), »L'allegro, il pensieroso ed il moderato« (1740), »Samson« (1742), »Semele« (1743), »Herakles«, »Belsazar« und »Joseph« (1744), »Judas Makkabäus« (1746), »Josua« und »Alexander Balus« (1747), »Susanna« und »Salomo« (1748), »Theodora« (1749) und »Jephtha« (1751). Gleichwohl sah sich H. genötigt, seinen Oratorien-Aufführungen durch eingeflochtene Orgelvorträge, für die seine Meisterschaft allgemein anerkannt war, größere Anziehungskraft zu verleihen, und diesem Brauch blieb er, selbst nachdem er in den letzten Lebensjahren völlig erblindet war, bis wenige Tage vor seinem Tode getreu. Seine irdischen Überreste wurden in der Westminsterabtei beigesetzt.

Wie sehr auch der Vokalkomponist bei H. überwog, so hat er doch der Instrumentalmusik ebenfalls die wichtigsten Dienste geleistet. Das Orchester seiner Opern und noch mehr seiner Oratorien zeigt die Ausdrucksfähigkeit der Instrumente durch ihn wesentlich erweitert, und in der Ausmalung einer gegebenen Situation entfaltet er eine wunderbare Stärke und unerschöpflichen Reichtum. Alle Tonwerkzeuge führen, wie ChrysanderHändel«, Bd. 3, S. 184) sagt, die beredteste Sprache, und wesentlich hierdurch erhalten Händels schönste Gesänge ihre bedeutungsvolle, aber durch keine Deutung zu erschöpfende Tiefe. In demselben Maß bereicherte er die reine Instrumentalmusik, obwohl er ihre von seinen italienischen Vorgängern ausgebildeten Formen so wenig zu erweitern trachtete wie die der italienischen Oper. Als glänzende Zeugnisse seiner kontrapunktischen Gewandtheit und nie versiegenden Erfindungskraft sind hierher gehörig zu nennen: die sogen. »Wassermusik« für Orchester, komponiert 1714 für eine Fahrt des Hofes auf der Themse (durch dieses Werk versöhnte er den neuen König); 12 Sonaten für Violine oder Flöte mit Continuo; 13 Trios oder zweistimmige Sonaten für zwei Violinen (Oboen oder Flöten) mit Continuo, 1733 und 1738; 6 Concerti grossi für Streich- und Blasinstrumente (wegen der bevorzugten Oboenstimmen auch »Oboenkonzerte« genannt), 1733, sowie 5 andre Konzerte ähnlicher Art und 12 Concerti grossi für Streichinstrumente, 1739; vor allem aber seine Orgelkonzerte, deren in der Zeit von 1738–97 nicht weniger als 20 erschienen sind, sämtlich zugleich für das Klavier bestimmt, das in seinem Bau wie in seinem Gebrauch zu Händels Zeit der Orgel weit näher stand als jetzt. Speziell für Klavier veröffentlichte er 1720: »Suites de pièces pour le clavecin«, denen bis 1735 noch drei weitere Sammlungen folgten, bekannt u. d. T.: »Harpsichord lessons« und nach der Angabe des Musikhistorikers Hawkins »für die Übung der Prinzessin [722] Anna komponiert«. Die umfassendste ältere Ausgabe der Werke Händels ist die Londoner, von Arnold besorgt, in 40 Foliobänden (1786); sie ist jedoch nicht frei von Fehlern, und Kenner ziehen deshalb die Originalausgabe von Walsh vor. Eine monumentale korrekte Neuausgabe ist die von der 1856 gegründeten, fast ausschließlich auf der Person Fr. Chrysanders (s. d.) beruhenden Händel-Gesellschaft (1859–94, 100 Foliobände). Nach Beendigung der Ausgabe unternahm Chrysander noch gekürzte Bearbeitungen der Oratorien für heutige Konzertverhältnisse mit Ausarbeitung der Gesangsverzierungen zur Ermöglichung stilreiner Aufführungen (mit Cembalo und Anpassung der Orchesterbesetzung an Händels Zeit). Diese Bearbeitungen sind vorläufig nicht in Handel gegeben, sondern werden nur auf Wunsch leihweise überlassen. Büsten Händels wurden bereits zu seinen Lebzeiten von Roubillac angefertigt, der dann auch die Statue für sein Grabdenkmal in der Westminsterabtei schuf (1762). Eine wohlgelungene Kolossalstatue (von Heidel) wurde dem Komponisten, 100 Jahre nach seinem Tode, 1859, in seiner Vaterstadt Halle errichtet. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Tondichter I« bei Artikel »Musik«. Vgl. Schölcher, The life of Handel (Lond. 1858); Chrysander, Georg Fr. H. (Leipz. 1858–67, Bd. 1–3, unvollendet) und Händels biblische Oratorien in geschichtlicher Betrachtung (Hamb. 1897); Gervinus, H. und Shakespeare (Leipz. 1868); Reißmann, G. F. H., sein Leben und seine Werke (Berl. 1881); Kretzschmar, G. F. H. (Leipz. 1883); Rockstro, Life of G. F. Handel (Lond. 1883); E. David, G. F. H., sa vie, ses travaux et son temps (Par. 1884); Volbach, G. Fr. H. (Berl. 1897); Williams, Handel (Lond. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 721-723.
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