Washington [4]

[400] Washington (spr. ŭóschingt'n), George, der Begründer der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten Nordamerikas, geb. 22. Febr. 1732 in der Grafschaft Westmoreland in Virginia, gest. 14. Dez. 1799 in Mount Vernon. Sein Vater Augustin W., dessen Vorfahren 1657 aus England einwanderten, war früh verstorben, worauf die Mutter Maria Ball die Erziehung der zahlreichen Familie leitete. George besuchte bis zum 15. Jahre die Schule in Williamsburg und beschäftigte sich hierauf in seiner Heimat als Feldmesser. Als gegen die Einfälle der Franzosen und Indianer in Virginia die Miliz einberufen wurde, trat W. bei derselben als Major ein und ward bald zum Regimentskommandeur befördert, in welcher Eigenschaft er mit Auszeichnung am Ohio focht. Die Geringschätzung, mit der die britische Regierung die Milizoffiziere behandelte, veranlaßte ihn 1754, sich auf den von seinem ältern Bruder geerbten Landsitz Mount Vernon zurückzuziehen. Schon 1755 aber schloß er sich als Freiwilliger der Expedition des Generals Braddock gegen die Franzosen in Kanada an und ward von demselben nach dem Treffen am Fluß Monongahela (im Juni 1755) zum Befehlshaber der gesamten Milizen der Kolonie Virginia ernannt. Als der Krieg in diesen Gegenden 1763 endigte, zog er sich ins Privatleben zurück und lebte auf Mount Vernon am Potomac als Pflanzer, bis ihn seine Mitbürger in den Nationalkongreß der vereinigten Kolonien sandten, der am 14. Sept. 1774 in Philadelphia eröffnet wurde. Hier ward er bei allen Ausschüssen, die sich mit der Verteidigung des Landes zu beschäftigen hatten, zum Vorsitzenden und 15. Juni 1775 zum Oberbefehlshaber der Armee ernannt. Mit Widerstreben übernahm er das schwierige Amt und wies jeden Gehalt zurück. Da das aus den Kolonialkontingenten und Milizen zusammengesetzte Heer noch gar nicht organisiert war und es an allem Nötigen, namentlich an Waffen und Munition, mangelte, so sah er sich zunächst auf die Defensive beschränkt; dazu schufen die Verfassungen der Kolonien und das schwache Band ihres Zusammenhanges immer neue Schwierigkeiten. Er wendete daher alle Kraft auf die Organisation und Disziplinierung der Truppen, und bewahrte dem ungeduldigen Drängen des Volkes gegenüber unerschütterliche Ruhe und Festigkeit. Sein erster Erfolg war, daß er den General Howe zur Räumung Bostons nötigte (17. März 1776). Als der auf 35,000 Mann verstärkte Feind im August New York besetzte, ging W. nach einer Reihe unglücklicher Gefechte in das nördliche Gebirge zurück. Hunger, Kälte und Seuchen rafften einen Teil seiner Streitkräfte dahin, ein andrer Teil verließ nach Ablauf der festgesetzten Dienstzeit die Fahnen. Mit dem Reste von 2000 Mann mußte W. mitten im Winter bis über den Delaware zurückweichen. Auf seinen Betrieb beschloß der Kongreß, das Heer auf 100 Bataillone zu bringen, die bis zu Ende des Krieges dienen sollten, und zugleich übertrug man dem Feldherrn eine fast unbeschränkte Gewalt auf sechs Monate. Jetzt ging W. über den Delaware, machte 26. Dez. einen Überfall auf die Engländer bei Trenton und schlug dieselben 3. Jan. 1777 bei Princetown, unterlag jedoch 11. Sept. der feindlichen Übermacht am Brandywinefluß und 3. Okt. bei Germantown und mußte sich in die Einöde von Valley Forge zurückziehen. Doch harrte er unerschüttert auf seinem Posten aus, bis das Bündnis mit Frankreich ihm erlaubte, wieder angriffsweise vorzugehen, die Engländer unter Clinton bei Monmouth (28. Juni 1778) zu schlagen und, verstärkt durch 6000 Franzosen unter Rochambeau, 18. Okt. 1781 die 7000 Mann starke englische Armee unter Cornwallis in Yorktown zur Kapitulation zu zwingen, worauf im November 1782 der provisorische Friede zustande kam. Nachdem die Engländer 25. Nov. 1783 New York geräumt, entließ W. die Reste seines Heeres, legte seine Bestallung in die Hände des Kongresses nieder und zog sich als einfacher Pflanzer nach Mount Vernon zurück. Staatsbelohnungen schlug er aus, und ein Geschenk an Grundeigentum, das ihm sein Heimatsland Virginia gab, nahm er nur unter der Bedingung an, es zum Besten öffentlicher Schulen zu verwenden. Im Mai 1787 von Virginia zu der Versammlung aller Staaten in Philadelphia gesandt, wurde er hier zum Leiter der Beratungen, aus denen 17. Sept. 1787 die Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika hervorging, und, als im April 1789 die Verfassung in Wirksamkeit trat, einstimmig zum Präsidenten der neuen Bundesregierung erwählt. Inmitten des heftigen Parteikampfes, der die Union gewaltsam zu zerreißen drohte, ordnete er die Staatsschuld, die Landesverteidigung, den Verwaltungsorganismus und das öffentliche Unterrichtswesen und legte den Grund zu dem großartigen Straßen- und Kanalsystem der Union. Nach außen beobachtete er strenge Neutralität und machte dadurch die Wiederaufnahme des Handelsverkehrs mit England möglich. Nach Ablauf seiner Amtsjahre 1793 zum zweitenmal gewählt, hatte er besonders nach außen eine schwierige Stellung wegen des Verhältnisses der Union zu dem revolutionären Frankreich. Er gab aber dem Verlangen der Demokraten nach Unterstützung Frankreichs, England gegenüber, keineswegs nach, sondern schloß vielmehr einen sehr vorteilhaften Handelsvertrag mit England und verwies die Agenten des französischen Direktoriums, die das Volk zur Empörung gegen ihn aufzureizen suchten, aus dem Gebiete der Union, wofür man ihn mit den schonungslosesten Anklagen überhäufte. Als seine zweite Amtsperiode zu Ende ging, verbat er sich die abermalige Wiederwahl und zog sich wieder nach Mount Vernon zurück. Als aber 1798 der Krieg mit Frankreich drohte, bewog ihn Präsident Adams, die Stelle eines Oberfeldherrn nochmals anzunehmen. Trotz seines Alters nahm er die Organisation eines neuen Heeres und die Herstellung umfassender Verteidigungsanstalten mit Energie in die Hand und bewog dadurch die Franzosen, in Unterhandlungen zu treten. In seinem Testament gab W., der keine Kinder hinterließ, seinen Sklaven die Freiheit. W. sind in den Vereinigten Staaten zahlreiche Denkmäler errichtet worden, unter anderm die sitzende Kolossalstatue im Parke des Kapitols zu Washington von H. Greenough, die Reiterstandbilder in Richmond von Th. Crawford, in Boston von Th. Ball, auf dem Union Square in New York von H. K. Brown und in Philadelphia von dem Berliner Siemering. Seinem Andenken ist auch der 169 m hohe Marmorobelisk unweit des Weißen Hauses in Washington geweiht. W. ist in allem Zeitenwechsel dem Amerikaner das große Vorbild eines treuen Republikaners geblieben. Ruhig im Überlegen, feurig im Ausführen, standhaft im Unglück, standhafter noch im Glück, tapfer auf dem Schlachtfeld, scharfsinnig in der Wahl seiner Ratgeber, fern von Neid und Selbstsucht, aufrichtig, pflichtgetreu, vor allem aber der Freiheit mit Leib und Seele ergeben, steht W. als einer der größten Männer aller [400] Zeiten da. Washingtons Schriften (amtliche und private Papiere) wurden gesammelt herausgegeben von SparksWashington's Writings«, neue Ausg. 1855, 12 Bde., mit Biographie; deutsch bearbeitet von F. v. Raumer, Leipz. 1839, 2 Bde.) und von W. C. Ford (New York 1888–93, 14 Bde.). Seine Biographie schrieben außerdem Marshall (3. Aufl., Philad. 1832, 2 Bde.), Redding (Lond. 1835, 2 Bde.), Edmonds (3. Aufl., das. 1839, 2 Bde.), Bancroft (Boston 1851), W. Irving (deutsch von Bülau, Leipz. 1855–60, 5 Bde.), Headley (New York 1856), Venedey (Freiburg 1861), Everett (New York 1861), Townsend (das. 1887), Lodge (Boston 1889, 2 Bde.), Scudder (das. 1889), W. Wilson (das. 1897), Ford (New York 1900, 2 Bde.), Harrisson (das. 1906) u. a. Vgl. W. S. Baker, Bibliotheca Washingtoniana (Philad. 1889), Itinerary of General W. (das. 1892) und W. after the Revolution (das. 1898); Conway, George W.'s rules of civility (New York 1891); Bowen, History of the centennial celebration of the inauguration of George W. etc. (das. 1892).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 400-401.
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