Philadelphĭa [1]

[772] Philadelphĭa, 1) die bedeutendste Stadt des nordamerikan. Staates Pennsylvanien und der Bevölkerung nach die dritte Stadt der Union (nach New York und Chicago), 154 km vom Atlantischen Ozean unter 39°57´ nördl. Br. und 75°10´ westl. L., an: Westufer des Delaware und an beiden Ufern des in den Delaware mündenden Schuylkill, bedeckt bei einer Längenausdehnung von 40 km und einer Breite von 8–10 km 325 qkm Fläche. Die Wasserfront des Delaware, der den Seehafen bildet und 6 m tief gehenden Schiffen nahbar ist, mißt 37 km Die beiden Hauptstraßen sind Broad Street, die von N. nach S. läuft, und die vom Delaware über den Schuylkill führende Market Street, die von jener im Mittelpunkt der Stadt durchschnitten wird. Auf dem Penn Square, am Durchkreuzungspunkt, erhebt sich das großartige Stadthaus aus Granit und weißem Marmor mit 155 m hohem Turm, darauf ein Standbild Penns. Unter den in jedem Stadtviertel gelegenen Squares sind Logan, Independence, Washington Square, Franklin und Rittenhouse Square die namhaftesten. Das ältere charakteristische Philadelphiahaus ist ein zwei- oder dreistöckiger Bau aus rotem Backstein, mit weißen Marmorstufen und weißen oder grünen Fensterladen, doch besitzt P. auch in ungewöhnlich großer Zahl prächtige Gebäude aus Marmor, Granit und Sandstein. An öffentlichen Denkmälern ist es arm. Im Fairmount Park besitzt P. den größten städtischen Park der Welt mit einem Areal von 1350 Hektar, der sich an beiden Ufern des Schuylkill und am Wissahickon Creek hinzieht. Hier fand 1876 die »Centennial Exhibition« statt, deren Bauten 19,7 Hektar bedeckten und 15 Mill. Mk. kosteten. Eine Kunstgalerie (Memorial Hall), 111 m lang, mit 46 m hoher Kuppel, und ein 118 ml anges Palmen haus sind die einzigen Reste der Ausstellungsgebäude, außerdem enthält der Park ein Standbild Lincolns, einen Zoologischen Garten, eine Sternwarte und großartige Reservoirs der Schuylkill-Wasserwerke. Auch die Friedhöfe, namentlich die von Laurel Hill und Woodlands, bieten schöne Aussichten und enthalten viele schöne Denkmäler. Den Schuylkill (622 m breit) überspannen 14 Brücken, den Delaware (1245 m breit) kreuzen 6 Dampffähren. Vier Reservoire versorgen die Stadt täglich mit 835 Mill. Lit. Wasser. Der Erholung dienen 15 größere Theater (darunter die Academy of Music) und mehrere Konzert- und Musikhallen. Glänzende Klubhäuser sind zahlreich. Die Freimaurer besitzen in ihrem »Tempel« mit 76 m hohem Turm einen würdigen Versammlungsort, und auch der Christliche Jünglingsverein besitzt schöne Räumlichkeiten. Von den Kirchen ist die größte die katholische Kathedrale, ein Sandsteinbau mit 64 m hoher Kuppel; nennenswert sind ferner die Archstreet Episcopal Church, die lutherische Church of the Holy Communion aus grünem Serpentin, der Grace Baptist Temple mit 6000 Sitzplätzen, die große Jesuitenkirche; die ältesten Kirchen aber sind die 1677 gegründete, 1700 neu aufgebaute »Schwedenkirche« und die 1727 erbaute Christkirche mit 59 m hohem Turm und dem ältesten Geläute in den Vereinigten Staaten.

Andre öffentliche Gebäude sind: die 1729–39 erbaute Independence Hall, in der 1776 die Unabhängigkeit der Vereinigten Kolonien proklamiert wurde (s. unten), mit der berühmten Freiheitsglocke (Liberty bell), davor ein Standbild G. Washingtons von Bailly; das obenerwähnte Stadthaus; das städtische Gefängnis, ein schwerfälliger Granitbau. Vom Staat werden unterhalten das schloßartige Zellengefängnis (Eastern Penitentiary, die Musteranstalt für das sogen. pennsylvanische Gefängnissystem, mit 1000–1200 Gefangenen) und ein Zuchthaus in der Vorstadt Holmesburg. Der Union gehören: das neue Post- und Bundesgerichtshaus, ein Granitbau in Renaissance mit 56 m hoher Kuppel, davor ein Kolossalstandbild B. Franklins; das Zollhaus, eine Nachbildung des Parthenons; die 1833 vollendete Münze, im ionischen Stil in weißem Marmor ausgeführt, in der (und ihrem Vorgänger) bis 1903 geprägt wurden: Gold 1,023,177,924, Silber 463,390,093, kleinere Münzen 41,535,405 Doll., ferner Carpenters Hall, wo der erste Kolonialkongreß 1774 zusammentrat, das Invalidenhaus für Matrosen (Naval Asylum), ein marmorner Prachtbau in großem Garten; zwei Arsenale und eine Schiffswerft (Navy Yard) mit Kasernen, Zeughaus etc. auf League Island, am Zusammenfluß von Delaware und Schuylkill, 7 km vom Mittelpunkt der Stadt gelegen. Die Zahl der Einwohner betrug 1860: 565,529,1880: 847,170,1900: 1,293,697, darunter 295,340 im Auslande (98,427 in Irland, 71,319 in Deutschland) Geborne und 62,613 Farbige. P. besitzt nach New York die meisten Fabriken in den Vereinigten Staaten. 1900 erzeugten 15,887 Betriebe mit 246,445 Arbeitern Waren im Werte von 603,466,526 Doll., insbes. 7 Zuckerraffinerien, darunter die gewaltige von Spreckels, mit 1249 Arbeitern für 36,163,817 Doll., 370 Eisengießereien und Maschinenfabriken (darunter Baldwins Locomotive Works mit 9000 Arbeitern, die 1901: 1375 Lokomotiven fertigstellten) mit 19,643 Arbeitern für 38,372. 971 Doll., 88 Teppichfabriken mit 4337 Arbeitern für 21,986,062 Doll., 397 Männerkleiderfabriken für 18,802,637 Doll., 93 Wollwarenfabriken mit 9438 Arbeitern für 18,340,012 Doll., 44 Lederfabriken mit 5781 Arbeitern für 18,187,231 Doll., 36 Wirkwarenfabriken mit 7407 Arbeitern für 16,242,250 Doll., 122 Baumwollfabriken mit 9334 Arbeitern für 15,723,654 Doll., ferner Strumpfwarenfabriken (13,040,905 Doll.), typographische Gewerbe (13,076,840 Doll.), Brauereien (12,606,551 Doll.). Zigarrenfabriken, Eisen- u. Stahlwerke, Versandschlächtereien, Färbereien etc. Dem Handel und Verkehr dienen zahlreiche großartige Geschäftsgebäude, z. B. Wanamakers Store mit 4500 Verkäuferinnen und Arbeiterinnen und das Gebäude[772] der Pennsylvania-Lebensversicherung. Große Kauffahrteischiffe können vom 154 km entfernten Ozean in den Delaware einlaufen und an den Kais der Stadt anlegen. Im Winter wird das Fahrwasser durch drei mit Dampfkraft versehene »Eisboote« offen gehalten. P. bes. iß 1886: 869 Seeschiffe von 231,121 Ton. Gehalt; 1902 liefen von auswärts 1,926,641 T. ein, der Wert der Einfuhr betrug 47,750,342, der Ausfuhr 80,383,403 Doll. Hauptartikel der Einfuhr waren Zucker, Chemikalien, Baumwoll- und Wollwaren, Wolle etc., der Ausfuhr Brotstoffe, Petroleum, Lebensmittel, Baumwolle, Fleisch, Speck, Schinken, Schmalz, Tabakblätter, Kohle, Vieh. Der Umsatz des Clearing House betrug 1905: 6929 Mill. Doll. Der Küsten- und Landhandel ist namentlich mit New York und Baltimore bedeutend. Sechs Hauptbahnen und mehrere Kanäle verbinden die Stadt mit allen Teilen der Union. Zahlreiche elektrische und Kabelbahnen, Dampffähren über den Delaware dienen dem Lokalverkehr, seit 1893 besteht eine Rohrpost. Unter den dem Handel gewidmeten Anstalten befinden sich zwei Börsen (Merchants u. Commercial Exchange), zahlreiche Banken und Versicherungsanstalten. P. ist Sitz eines deutschen Berufskonsuls.

Lageplan von Philadelphia.
Lageplan von Philadelphia.

Die Verwaltung der Stadt ruht in den Händen eines auf drei Jahre gewählten Bürgermeisters (mayor), eines Magistrats (select council) von 31 Mitgliedern (je eins für jeden der 31 Stadtteile) u. einer Stadtverordnetenversammlung. Die städtische Schuld betrug 1904: 52,716,545, das steuerpflichtige Eigentum 1,162,074,023 Doll. Unter den zahlreichen Wohltätigkeitsanstalten (man zählt an 40 Kranken- und Versorgungshäuser) sind hervorzuheben das reiche Girard College, ein Waisenhaus für 1600 Knaben, das Mary Drexel Home (Diakonissenhaus), das deutsche Krankenhaus, Naval Asylum (150 Betten), Blockley's Alms-Houses (Versorgungshaus) in West-Philadelphia (mit 3500 Pfleglingen), das 1755 gegründete Pennsylvania Hospital (mit Anatomischem Museum), ein Zufluchtshaus (600 Pfleglinge), eine Blindenschule (1833 gegründet), eine Taubstummenanstalt (1821 gegründet) und 2 Irrenhäuser. Unter den zahlreichen wissenschaftlichen u. Bildungsanstalten steht obenan die 1749 gegründete Universität von Pennsylvanien (in einem neuen, 1872 eingeweihten Gebäude aus Serpentinmarmor mit 2 hohen Türmen, in West-P.) mit 290 Professoren, 2550 Studenten, einer Bibliothek von 225,000 Bänden und wertvollen wissenschaftlichen Sammlungen. Sie besteht aus Schulen für Medizin, Rechtswissenschaft, Philosophie, Biologie, [773] Zahn- und Tierheilkunde; das 1753 gegründete College wurde 1791 mit ihr vereinigt. Das Drexel Institute für gewerbliche Bildung mit 2000 Schülern und vielen Sammlungen wurde 1891 eröffnet, ein Handelsmuseum 1895. Außerdem bestehen 5 medizinische Schulen (darunter eine für Frauen), 2 Schulen für Zahnärzte, eine Apothekerschule, eine Polytechnische Schule (1853 gegründet), das Spring Garden Institute zum Unterricht im Zeichnen, Malen und in den mechanischen Künsten (750 Schüler), Pennsylvania School of Industrial Art (300 Schüler), ein Technologisches Institut und 3 theologische Seminare, eine höhere Zentralstelle für Knaben, Normalschule für Mädchen etc. Unter den zahlreichen Bibliotheken sind die bedeutendsten die 1731 von Franklin gestiftete Philadelphia Library (jetzt 210,000 Bände), die 1871 gegründete Free Library (240,000 Bande), die Mercantile Library (210,000 Bände), die Bibliothek des Athenäums (35,000 Bände), die für Lehrlinge (30,000 Bände), die der deutschen pennsylvanischen Gesellschaft, die beste deutsche Bibliothek in Amerika (35,000 Bände), eine Freibibliothek (Ridgway Library). Unter den wissenschaftlichen Vereinen verdienen Beachtung: die 1740 gegründete Amerikanische Philosophische Gesellschaft (Bibliothek von 60,000 Bänden), die Historische Gesellschaft von Pennsylvanien, die Akademie der Naturwissenschaften (1817 gegründet, mit bedeutendem Museum und Bibliothek von 35,000 Bänden), das Franklin Institute, ein Verein zur Beförderung von Kunst und Gewerbe und ein Gartenbauverein mit Ausstellungshalle. Die Kunst akademie (1805 gegründet) hat eine Sammlung von Gemälden, Skulpturen und 60,000 Kupferstichen; jährlich werden hier zwei Ausstellungen veranstaltet. Unter den zahlreichen Theatern befindet sich auch eins, Germania, mit deutschen Vorstellungen, unter den mehr als 80 Zeitungen erscheinen drei in deutscher Sprache (täglich). – P. wurde 1682 von William Penn (s. d.) gegründet, und zwar auf einem Boden, den er von den Indianern käuflich erworben hatte. Am 5. Sept. 1774 versammelte sich hier der erste Kongreß der Staaten, der über Maßregeln gegen die Willkür Englands beriet, und 4. Juli 1776 wurde hier die Unabhängigkeit der amerikanischen Kolonien proklamiert. Vom 26. Sept. 1777 bis 18. Juni 1778 war P. im Besitz der Engländer. Am 17. Mai 1787 versammelte sich hier die Konvention, die sich 17. Sept. über die jetzige Verfassung der Vereinigten Staaten einigte. Bis 1800 war die Stadt der Sitz der Regierung des Staates Pennsylvanien, 1790–1810 auch Bundeshauptstadt. Vom 10.–13. Mai 1844 fand in P. ein Aufruhr gegen die irischen Katholiken statt. 1876 war P. Schauplatz einer Weltausstellung. zur Erinnerung an das 100jährige Bestehen der Republik. Vgl. Seidensticker, Geschichte der deutschen Gesellschaft von P. (Philad. 1876); Scharf und Westcott, History of P. (das. 1884, 3 Bde.); Allinson, P. 1681–1887 (Baltim. 1887); Woolsey. History of the city of P. (Boston 1887); Montgomery, History of the University of Pennsylvania (Philad. 1900).

2) Ort in Brasilien, s. Mucury.

3) Antike Stadt in Syrien, s. Ammân.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 772-774.
Lizenz:
Faksimiles:
772 | 773 | 774
Kategorien:

Buchempfehlung

Klingemann, August

Die Nachtwachen des Bonaventura

Die Nachtwachen des Bonaventura

Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon