Hase [1]

[75] Hase (Lepus), 1) Gattung aus der Familie der hasenartigen Nagethiere; die oberen Vorderzähne sind doppelt, indem hinter jedem noch ein kleiner steht, Backenzähne sind oben 6, unten 5 auf jeder Seite, Ohren lang, an den Vorderfüßen sind 5 u. an den hinteren 4 Zehen, die Fußsohlen sind behaart; sie nähren sich von Vegetabilien; Arten sind außer dem Gemeinen H-n das Kaninchen (L. cuniculus), der Sardinische H. (L. mediterraneus), der Veränderliche H. (L. variabilis), der Russak (L. aquilonius.) u.a.; Überreste von fossilen Arten dieser Gattung erscheinen zuerst in der Tertiärformation, häufiger findet man sie im Diluvium, so: Lepus diluvianus Cuv., dem Gemeinen H-n sehr ähnlich, in den Knochenhöhlen von Kirkdale, Sundwich etc., L. priscus u.a. Arten finden sich in Knochenbreccien in Corsica, bei Nizza, Lüttich, Lunel-Vieil u. verschiedenen anderen Gegenden. 2) (Gemeiner H., Berg-, Feld-, Holz-, Steinhase etc., Lepus timidus), 1 Fuß 8 Zoll lang, 81/2 Zoll hoch, 7–16 Pfund schwer, Kopf länglich dick, mit langen Barthaaren, Augen blöde, weit hervorragend, ohne Augenwimpern, Ohren länger als der Kopf, zugespitzt u. scharf hörend, Hals stark, Leib langgestreckt, Schwanz kurz, in die Höhe gekrümmt, Vorderläufe kurz, Hinterläufe lang, Balg aus wolligen Haaren mit einzelnen Stachelhaaren bestehend, oben rothgrau, an der Brust u. den Seiten braunröthlich, unten röthlich, braun u. gelb. Das Männchen (H., Rammler) ist kürzer, hat breitere Lenden, stärkeren, wolligeren Kopf, längeren Bart, kürzere Ohren, ist von Farbe braunröther; das Weibchen (Häsin, Setzhase) ist größer u. länger gestreckt, die Rückenwolle grau, ins Schwärzliche fallend, Seitenfarbe lichter, Schwanz länger. Holz- od. Waldhasen sind gewöhnlich viel größer u. stärker als die Feldhasen; man findet zuweilen Waldhasen von 10–12 Pfund, wogegen Feldhasen selten über 7 bis 8 Pfund wiegen. Farbenvarietäten: Weißer H., Röthlicher H., Schwarzer H., Grau- u. Weißgefleckter H.; die gehörnten H-n sind Betrug. Hauptcharakter Furchtsamkeit; bei Verfolgung des Hundes u. des schützen zeigt er viel Schlauheit. Der H. bewohnt nur Europa u. einen Theil Asiens u. geht mehr westlich gegen Norden, als östlich. In Großbritannien geht er nur bis an die schottischen Gebirge, in Schweden u. Norwegen fehlt er ganz, in Rußland lebt er diesseits des 55° nördl. Br., auch in Polen u. Lithauen, in der Krim, in Italien u. Griechenland ist er verbreitet; um den Kaukasus, am Terek, Kuma u. der unteren Wolga kommt diese Art ebenfalls allein vor, auch in den südlichen Vorbergen des Urals, dagegen fehlt er in Sibirien u. dem übrigen Asien, so wie in Afrika ganz, hier u. da jedoch durch andere Arten vertreten; er hält sich gewöhnlich im [75] Felde, weniger im Walde auf, gräbt sich sein ovales Lager in die Erde, im Winter nach Süden, im Sommer nach Norden. In der Jägersprache heißen des H-n Ohren: Löffel, Augen: Lichter (Seher), Füße: Läufe, Hinterfüße: Sprünge, Schwanz: Blume (Feder), Haare: Wolle, Nahrung: Äsung (er äßt sich); die gegrabene Vertiefung, wo er sitzt: Lager, in ihm sitzt od. drückt er sich, er erhebt sich in demselben, er rutscht, geht langsam vor, er rückt od. fährt in das Holz, er geht schnell, läuft nicht, trillt, wenn er im Schritt kommt, kommt flüchtig, wenn er gelaufen kommt, wird aufgestoßen, aus dem Lager getrieben, durch den Hund aufgestochen, auf der Neue aufgeschürt od. ausgemacht, wenn ihn die Hunde greifen wollen u. durch seine Wendungen verfehlen, gerahmt, fassen sie ihn, so ist er ergriffen (weggenommen, gefangen); er ist fett, gut od. schlecht, nicht feist, schreit, quäkt, klagt nicht, wird erwürgt (genickt), er macht einen Kegel, wenn er sich, auf den Hinterbeinen sitzend, aufrichtet, macht ein Männchen (bäumt auf), wenn er auf den ausgestreckten Hinterläufen steht u. sich umschaut; man wirft ihn aus, streift ihn ab, hält ihn ein. Nahrung: alle Arten Feld- u. Gartenfrüchte, bes. Gerstensaat, junger Rübsen u. Raps, Kraut, Klee, Hafer u. alle milchhaltigen Pflanzen; im Winter auch Baumspitzen, Baumrinde, Eicheln u. andere Mast. Begattung: Ende Januar bis September; hierbei suchen sich die H-n in hohem Korne auf bes. gebahnten Pfaden (Hexenstegen) auf. Die Häsin geht 30–31 Tage, setzt des Jahres drei bis vier Mal 1–3, das zweite Mal 3–5 Junge (Satz; Satzzeit vom Februar od. März bis October) in ein flach gegrabenes, mit Haaren gefüttertes Nest, od. in Laub od. in hohes Gras, das sie längstens nach 3 Wochen verläßt u. sich 6 Tage nach dem Setzen schon wieder begatten. Die Jungen brauchen etwa 9 Monate, um ausgewachsen zu sein, u. heißen nach 9 Wochen halbwüchsig, nach 12 Dreiläufer. Die jüngeren H-n unterscheiden sich von den Alten dadurch, daß sich bei ihnen das Fell zwischen den Ohren leicht in die Höhe ziehen läßt, bei den Alten aber am Schädel festsitzt. Feinde: alle Raubthiere, Hunde, Raben, Elstern, innerlich Bandwürmer. Krankheiten: von vielem Mehltaue die Leberfäule, von übermäßiger Hitze in der Begattungszeit drüsenartige Geschwüre (Hitzblattern) an Lunge, Herzen, Rücken etc., bes. aber an dem männlichen Glied, welche nach neueren Untersuchungen nichts als Blasenquallen sind (Franzosenkrankheit). Lebensziel: 10 Jahre. Will man sich junge H-n aufziehen, so gibt man ihnen anfangs Milch, dann grünes u. dürres Futter; sie werden dann so zahm, daß sie sich sogar zu allerlei Künsten abrichten lassen, z.B. trommeln, eine Pistole abschießen od. im Feuerwerke stehen lernen. Das Fleisch ist sehr wohlschmeckend, bes. junge H-n vom dritten bis achten Monat sind sehr zart u. saftig; sind sie aber über ein Jahr alt, so ist ihr Fleisch schon trockener u. weniger verdaulich; die Berghasen geben das beste, dann kommt das der Wald- u. endlich erst das der Feldhasen, welches letztere zwar ergiebiger, aber nicht so wohlschmeckend ist; H-n aus sumpfigen Gegenden schmecken am schlechtesten. Häsinnen sind wohlschmeckender als Rammler. Mit Hasenfellen wird ein starker Handel getrieben u. die besseren Winterbälge, bes. die weißen, dienen als Pelzwerk; die enthaarten Hasenfelle geben Leder u. die Abfälle Leim; die weichen Haare werden theils wie Wolle zugerichtet u. zu Strümpfen u. Handschuhen, theils, u. zwar am häufigsten, zu Hüten benutzt; das Fett gibt eine gute Salbe, welche erweicht, Splitter austreibt u. heilsam wirkt; die Hinterläufe dienen als kleiner Handbesen, Kleisterpinsel etc. Ein H., welcher Einem begegnete, galt den Alten, wie noch jetzt, für eine schlimme Vorbedeutung. Bei den Israeliten gehörte das Fleisch des H-n, weil derselbe keinen blos einmal gespaltenen Fuß hat u. wiederkaut, zu den unreinen Speisen. Auch die Türken u. Armenier verschmähen das Hasenfleisch, die Araber dagegen schätzen es. Bei den Griechen, wie bei den Ägyptiern, war der H. Symbol der Fruchtbarkeit, weil schon die Alten wähnten, daß er wieder od. noch trächtig ist, während er die Jungen noch säugt. Übrigens war wegen der Nachstellungen, welche dem H-n gemacht werden, das Sprüchwort unter den Griechen: ein Hafenleben führen (λαγὼ βίον ζῆν), d.i. ein ruheloses Leben führen, gewöhnlich. Zur Jagd der H-n bediente man sich großer Knittel od. Krummstäbe (Lagobola), mit denen man sie warf. Sein Erscheinen auf römischen Grabmonumenten erklärt man daher, daß er, als mit offenen Augen schlafend, ein Sinnbild der Unsterblichkeit sei. Bei den alten Briten war der H. in den Mysterien des Ceridwen (s.d.) bedeutungsvoll, u. aus seinem Laufe schloß man auf den Ausgang eines Krieges. Der H. als Schelt- u. Schimpfwort, um die Feigheit eines Mannes zu bezeichnen, kam bei den Deutschen u. Franken schon frühe vor, u. ist daher zu erklären, weil im Gegensatz zu jener Zeit die Lieblings- u. Beinamen kräftiger Männer von starken Raubthieren, als Wolf, Bär, Löwe etc. genommen wurden. 3) Berghase (Lepus variabilis, L. alpinus, L. versicolor), kleinere Art aus der Gattung H., mit Ohren nicht so lang als der Kopf, breiten u. behaarten Füßen, ändert nach den Jahreszeiten die Farbe (grau u. weiß), doch bleibt der Schwanz immer weiß, die Ohrspitzen schwarz; lebt über der Holzregion auf den Alpen, in nördlichen Gegenden, auch Amerikas; wandert im Frühling in Gesellschaften nördlich, wohnt in Klüften, gräbt aber keine Höhlen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 75-76.
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