Sikyonĭa

[85] Sikyonĭa, kleine Landschaft im nördlichen Theil des Peloponnesos, zwischen Korinth, dem Korinthischen Busen, Achaia, Arkadien, Phliasia u. Argolis; 3 geographische Meilen lang u. 11/2–2 Meilen breit; vor. dem Eindringen der Dorierin den Peloponnes war das Gebiet größer. Das Land war von Hügelreihen durchzogen u. hatte außer dem Nemeas, dem Grenzflüßchen gegen Korinth hin, nur noch die Küstenflüßchen Sythas, Asopos, Helisson u. Selleïs, war übrigens fruchtbar an allen Producten, welche Griechenland hervorbrachte, bes. an Getreide u. Oliven. Außer den festen Plätzen Epikia, Derä u. Phöbia u. den Ortschaften Titane u. Thyamia war hier die Hauptstadt Sikyon, sie lag nicht weit vom Meere, hatte eine Akropolis u. erhielt sich durch das ganze Mittelalter, hat noch Ruinen der alten Basilika u. des Theaters etc. Die Verfassung war ursprünglich aristokratisch; Häupter einer demokratischen Partei bemächtigten sich nachher der Oberherrschaft (Tyrannen); nach ihrem Sturz war die Verfassung, mit kurzen Unterbrechungen durch eine Timokratie, wieder aristokratisch. Die Sikyonier verehrten bes. Apollon, Artemis u. Leto; außerdem Aphrodite, Athene, welcher Epopeus einen Tempel erbaut hatte, Herakles, Asklepios u. Dionysos. Aus den dithyrambischen Chorgesängen, welche bes. dem Heroen Adrastos zu Ehren gesungen wurden, entwickelten sich später die Anfänge von Tragödien u. daneben bildete sich ein einheimisches Spottspiel (Phallophoren) aus. Weil zu den genannten Chören Musik nöthig war, so zeichnete sich Sikyon bes. durch vortreffliche Flötenspieler (z.B. Pythokritos) aus. Überhaupt war Sikyon nächst Athen die vornehmste Pflegerin der Künste, so daß sie den Macedoniern u. Römern die Fundgrube der herrlichsten Kunstwerke wurde; vor Allem blühte hier die Malerei, Bildnerei u. Metallfabrikation; die Maler der Sikyonischen Schule, an deren Spitze im 4. Jahrh. v. Chr. Eupompos u. sein Schüler Pamphilos standen, zeichneten sich durch strenge Zeichnung aus (s. Malerei S. 778). Die sikyonischen Schuhe (Sikyonia) waren als schöne u. prächtige Weiberschuhe im Alterthum berühmt. Die Münzen hatten das Gepräg einer Taube u. bisweilen eines Aphroditekopfes. Sikyon soll 2000 v. Chr. gegründet worden sein. In der ältesten Zeit gehörte Sikyonia zu Ägialos (daher Ägialea genannt) u. wurde von Jonern (ägialeischen Pelasgern) besessen. Von den Telchines, alten Metallkünstlern, welche hier frühzeitig vorkommen, hieß es auch Telchinia. Als alte Könige von S. werden genannt Thelxion, Ägyros, Korax, Apis; Laomedon, Nachfolger des Epopeus, eines Eingewanderten aus Thessalien, welcher die Herrschaft von dem kinderlos gestorbenen Korax erhalten hatte, holte aus Attika den Sikyon, Sohn des nach Attika geflohenen Marathon, welchem er seine Tochter Zeuxippe zur Gemahlin u. mit derselben die Regierung gab; nach ihm soll Land u. Stadt genannt worden sein. Ihm folgten in der Regierung einige seiner Nachkommen, so Polybos, der Sohn seiner Tochter Chthonophyle u. des Hermes; nachher regierte in S. Adrastos (s.d. 1), vorher König von Argos. Später erwarb Phästos, ein Heraklide, die Herrschaft. Sie erbte auf Zeuxippos, welcher 22 Jahre regierte; dessen Sohn Hippolytos stand dann unter Agamemnon, dem Könige von Mykene, daher er im Trojanischen Kriege zu dessen Heere Krieger stellte. Bei der Rückkehr der Herakliden bemächtigte sich Phalkes von Argos aus durch nächtlichen Überfall der Stadt. Von jetzt an gehörte S. zu den dorischen Staaten, war von Achaia getrennt u. hatte eine aristokratische Verfassung; es nahm mit Argos an dem zweiten Messenischen Kriege gegen Sparta Theil. Die Sikyonier blieben aber nicht lange mit ihren Regierungsverhältnissen zufrieden; im Kampf gegen die Aristokraten siegten die niederen Stände, an ihrer Spitze der Plebejer Orthagoras (von den Aristokraten der Koch genannt), welcher[85] sich 670 v. Chr. als Tyrann aufwarf u. dessen Nachkommen (Orthagoriden), wie er selbst durch Milde u. Gerechtigkeit ausgezeichnet, an 100 Jahre hier herrschten. Auf ihn folgte zunächst Andreus auf ganz kurze Zeit; Myron, welcher 648 in Olympia zu Wagen gesiegt hatte, schützte die Künste, bes. die Baukunst, er erbaute unter anderm das Schatzhaus, u. trat in einen für die Folge wichtigen Verkehr mit Asien. Sein Nachfolger Aristonymos regierte kurze Zeit; der letzte Orthagoride war Klisthenes, seit 596; er verwandelte den Namen der vordorischen Bewohner Ägialeer in Archelaer, hob die Vorrechte der drei dorischen Stämme, Hylleer, Pamphylen u. Dymanen, auf u. gab denselben die ehrenrührigen Namen Hyaten, Oneaten u. Chöreaten (von Schwein u. Esel). Ein Versuch der Dorier ihn zu stürzen mißlang u. hatte von seiner Seite einen um so heftigeren Druck gegen den Dorismus zur Folge; er führte auch den, dem dorischen Cultus fremden Bakchusdienst ein u. verbot das Auftreten der Homerischen Rhapsoden in Sikyon, weil die Gedichte derselben die Aristokraten verherrlichten; dagegen liebte er Glanz u. Luxus u. baute u.a. eine prächtige Stoa in Sikyon Unter ihm wurden Kriege gegen Argos geführt; im Kriege gegen Kirrha, 590, erhielt er von den Amphiktyonen das Commando über die Bundestruppen. Gestürzt wurde er u. sein Haus um 570 durch die Spartaner; die alte Verfassung trat aber erst 60 Jahre nachher wieder ein, in welcher Zeit noch ein Tyrann, Äschines, aus einer anderen Familie, genannt wird. Von nun an änderte sich der Stand der Dinge oft; in den Perserkriegen gehörte S. zu den Vertheidigern des Isthmos u. seine Streiter fochten auch bei Artemision, mit 15 Schiffen bei Salamis, mit 3000 Mann bei Platää u. Mykale. Im Peloponnesischen Kriege hielt S. zu der peloponnesischen Symmachie u. mußte wegen der Nähe Attikas viel leiden. Nachmals wendete es sich von Sparta ab u. führte eine demokratische Verfassung; aber die Spartaner stürzten die Demokraten wieder u. nöthigten nachher, 413, die Sikyonier zur Theilnahme an dem Zuge nach Sicilien gegen die Athener. Später litt S. viel durch ein Erdbeben, u. in der Stadt stürzten die meisten Gebäude ein. Als die Thebaner in den Peloponnes einfielen, wurde S. von Epaminondas erobert u. erhielt thebanische Besatzung. 369 bemächtigte sich Euphron mit Hülfe der Armee der Gewalt, wurde aber von den Aristokraten wieder vertrieben. Zur Zeit des Königs Philippos des Großen von Macedonien herrschte Aristratos, ein Beschützer der Künste, in S., welcher viel dazu beitrug den Macedoniern die Herrschaft über S. zu verschaffen. Nämlich wegen seiner Lage beständig von Eroberern u. Durchzügen bedrängt, befolgten die Bewohner den Rath des Demetrios Poliorketes, welcher die Stadt 303 besetzt hatte, u. verlegten die Stadt um einige Stadien weiter vom Meere ab in die Ebene um die Citadelle. Deshalb nannten sie die neue Stadt Demetrias u. ordneten dem Demetrios Dankfeste an. Aber der Handel hatte durch diese Verlegung sehr gelitten u. die Stadt bekam ihren alten Namen S. wieder. Auf Aristratos folgte Kleon; dieser fiel durch Meuchelmord, u. erst unter Timoklidas u. Klinias wurde S. ruhiger Nach der Ermordung des Klinias durch Abentidas, 266 v. Chr., mußte sein Sohn Aratos, kaum 7 Jahre alt, nach Argos flüchten. 251 kehrte Aratos nach S. zurück, erhielt für die vertriebenen u. ihrer Güter beraubten Sikyonier eine namhafte Geldunterstützung vom König Ptolemäos Philadelphos von Ägypten, warf den Tyrannen Nikokles vom Throne, stellte die republikanische Verfassung her u. bewog die Stadt zum Achäischen Bunde zu treten, dessen Heerführer er zweimal wurde. Das Schicksal S-s war von nun an eng mit dem des Achäischen Bundes verbunden, s. Achaia. Nach der Zerstörung Korinths sank auch Sikyon zur Unbedeutendheit herab. Im Mittelalter hatte es sich unterden Venetianern wieder etwas gehoben, u. 1554 legten die Türken eine Besatzung hierher. 1835–38 war S. wieder eine Eparchie zum Gouvernement Korinth, jetzt ist es mit der Nomarchie Argolis u. Korinth vereinigt. Im Alterthum hatte Menächmos eine (jetzt verlorene) Geschichte von S. (Sikyoniaka) geschrieben. Vgl. Hagen, Sicyonia, Königsb. 1821; Gompf, Sicyoniaca, Berl. u. Torg. 1832–24, 2 Abth.; Bobrik, De Sicyoniae topographia, Königsb. 1839.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 85-86.
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