Melanesĭer

[570] Melanesĭer nennt man die Bewohner der melanesischen Inseln, also Neuguineas, des Bismarck-Archipels, der Salomon- und Santa Cruz-Inseln, der Neuen Hebriden, Banks-, Torres-, Fidschiinseln und Neukaledoniens, die aber sowohl nach O. (Karolinen, Tuamotuinseln und Neuseeland) hin zahlreiche Spuren hinterlassen haben, als auch mit den negroiden Stämmen im Innern der malaiischen Inseln, den Negritos auf den Philippinen, Alfuren der östlichen malaiischen Inseln, Timors und der Molukken, in Verbindung gebracht werden. Mit dem Namen Papua bezeichnet man vornehmlich die Bewohner von Neuguinea, wo die Rasse ihre Merkmale am reinsten bewahrt hat. Im S. schließt sich Australien mit seiner papuanisch-malaiischen Mischrasse an. Von den Polynesiern, mit denen ein geistiger Zusammenhang besteht, unterscheiden sich die M. (s. Tafel »Australier und Ozeanische Völker I«, Fig. 5–13) körperlich sehr bedeutend. Wie unter den polynesischen Völkern, so bestehen unter den melanesischen sehr große Unterschiede, nur sind diese Unterschiede hier noch bedeutender. Ihrer körperlichen Bildung nach erscheinen sie von mittlerer Größe, ohne aber die Durchschnittshöhe des Europäers zu erreichen. Nach der Form des Schädels gehören die M. zu den dolichokephalen Stämmen, doch sind die Bewohner einiger Inseln auch brachykephal, das Gesicht ist mäßig prognath, die Nase breit und etwas gebogen, die Stirn schmal, die Augen sind dunkel und tiefliegend, die Backenknochen stehen hervor, der Mund ist breit und groß, die Lippen sind dick. Die Haare sind schwarz und kraus, aber gleichmäßig und nicht, wie man früher annahm, büschelförmig über den Schädel verteilt. Die Hautfarbe ist gewöhnlich ein schmutziges Dunkelkupferbraun, doch kommen auch hellere Farbentöne vor. Die bemerkenswertesten Züge ihres Charakters sind leichte Erregbarkeit und Rachsucht, wobei sie aber ihre Gefühle vortrefflich zu verbergen wissen. Sie führt zu wilder Grausamkeit, und ihr ist wahrscheinlich der Kannibalismus der meisten M. zuzuschreiben. Diebstahl üben sie meist nur an Fremden. Von vielen Lastern, die den Polynesiern anhaften, sind sie aber verhältnismäßig frei. Ihre geistigen Fähigkeiten sind weit höher, als man früher anzunehmen geneigt war, namentlich zeichnen sich in dieser Beziehung die Fidschianer aus. Poetisch begabt sind sie in nicht geringem Grad; insbes. die Fidschianer, die allein epische und lyrische, auch mit Tanz verbundene Gesänge besitzen, während die geringen Anfänge der andern vorwiegend einen didaktischen Charakter tragen. Die bildende Kunst verliert sich in phantastischer Ornamentik oder fratzenhaften Formen, die aber, wie die Masken zeigen, in der Südsee nicht ihresgleichen findet. Auch in bezug auf Zeitrechnung und Himmelsbeobachtung verfügen die M. über dieselben Kenntnisse wie die Polynesier. Die Bekleidung ist sehr dürftig. Baumrinde, Gras und Blätter bilden überall die Hauptbestandteile; oft gehen die Männer völlig nackt. Dagegen ist der Schmuck sehr reich. Er besteht vornehmlich in Muscheln, die man an der Stirn trägt, in schweren Muschel- und Schildpattringen, durch welche die Ohrlappen weit ausgedehnt werden; noch mehr entstellt das Durchbohren der Nasenwand, in der man Holz, Steine und Zähne trägt. Um Hals, Arme und Beine legt man Bänder mit den verschiedensten Gegenständen daran. Während das Körperhaar sorgfältig ausgerissen wird, behandelt man das Haupthaar mit Ätzkalk und Kohle, so daß es den Kopf bald als turbanähnlicher Wulst umgibt, bald in Form zahlreicher dünner Stränge und Büschel lang herabhängt. Auch kommen Perücken und Kopfbedeckungen verschiedener Gattung vor. Die Tätowierung schließt sich mehr dem australischen Typus der Hautnarben als dem polynesischen der Punktierung an; auch wird die Haut mit schwarzer, roter und weißer Farbe bemalt (s. Tafel »Australier und Ozeanische Völker I«, Fig. 9 u. 10).

Die Wohnungen sind meist langgestreckte viereckige Hütten mit tief herabhängendem, großem Dach aus Palmblättern oder Stroh, das auf niedrigen Pfeilern ruht, und hohem First. Doch kommen auch kegelförmige Hütten vor. Die Häuser stehen am Boden oder auf Pfählen, im Trocknen oder im Wasser. Pfahlbauten scheinen auf Neuguinea ihre größte Entwickelung zu haben. Allgemein sind große Gemeindehäuser, die auch als Tempel dienen. In Neuguinea und in Isabella (Salomoninseln) findet man häufig Baumhäuser, die zur Sicherheit gegen feindliche Überfälle in den Wipfeln hoher Stämme angelegt sind. Landbau treiben alle melanesischen Völker. Unter den Kulturpflanzen, die aber nicht überall dieselben sind, erscheinen Taro, Bananen, Zuckerrohr in erster Linie, Fruchtbäume, Kokos-, Areka-, Sagopalme, der Brotfruchtbaum. Von Haus- und Schlachttieren finden wir außer dem Hunde nur Schwein und Huhn. Die Jagd liefert manchen Stämmen einen beträchtlichen Teil ihres Unterhalts. Fischerei wird in bedeutendem Umfang mit Speeren, Netzen und Handreusen, auch mit Angeln betrieben. Die Hauptnahrung besteht aus Pflanzenkost. Im größten Teile Melanesiens versteht man aus der Kawawurzel denselben berauschenden Trank zu bereiten, der bei den Polynesiern[570] allgemein verbreitet ist; dagegen scheinen in den westlichen Gebieten geistige Getränke zu fehlen und Tabak und Betel (s. Tafel »Australisch-ozeanische Kultur III«, Fig. 9–11) an ihre Stelle zu treten. In der Familie nimmt die Frau eine untergeordnete Stellung ein; durch Kauf erworben, hat sie ein hartes Los, fast alle Arbeiten liegen ihr ob. Polygamie herrscht fast überall. Die religiösen Vorstellungen der M. zeigen eine Verwandtschaft mit denen der Polynesier, doch stehen sie auf niedrigerer Stufe. Verehrung wird nicht sowohl den obern Göttern zuteil, als vielmehr den aus den Seelen Verstorbener hervorgegangenen Göttern, die durch Bilder, Tiere, Steine u. a. repräsentiert werden. Tempel gibt es überall. Priester, die auch als Zauberer auftreten, bringen die Opfer dar, die in Speisen, auch in Menschen bestehen. Auf den südlichen Inselgruppen gilt auch das Tabu. Die Leichenfeierlichkeiten sind bei Vornehmen groß, die Bestattung ist überall sorgfältig und der Glaube an eine Fortdauer nach dem Tode allgemein. Ihre Kunstfertigkeit steht nur in einigen Punkten hinter der der Polynesier zurück, sie allein unter allen Völkern des Großen Ozeans verstehen Tongefäße herzustellen. Neben undurchbohrten Steingeräten sind oder waren allerlei Werkzeuge aus Muscheln oder Zähnen im Gebrauch; die Felder werden mit spitzen Stöcken bearbeitet. Das Hausgerät besteht aus Matten, Kopfschemeln, Körben, Flaschen, Holzschüsseln, Kochtöpfen, Löffeln etc. Am besten gearbeitet sind die Waffen (s. Tafeln »Australisch-ozeanische Kultur I«, Fig. 1 und 12; II, Fig. 6–10; III, Fig. 8), unter denen Speer und Keule am beliebtesten sind. Die geschmackvoll verzierten Speere bestehen meist aus hartem Holz. Sehr kunstvoll gearbeitet sind die Keulen, unter den verschiedenen Formen ist die Ruderform die häufigste. Bogen und Pfeil, Schleuder und Wurfpfeil sind lückenhaft verbreitet, auch der Schild fehlt in einem großen Teil Melanesiens. Als Seefahrer stehen sie hinter den Polynesiern zurück. Doch sind die Fahrzeuge reich verziert und namentlich auf den Fidschiinseln von bedeutender Größe (bis 36 m lang, 8 m breit, mit 21 m hohen Masten). Auslieger und Doppelkähne mit verbindender Brücke finden sich auch hier. Die politischen Einrichtungen sind auf den Fidschiinseln durch polynesische Einflüsse gestaltet worden; im übrigen ist die politische und soziale Gliederung des Volkes wenig entwickelt. Sklaverei ist überall anzutreffen, Geheimbünde, wie der des Duk Duk auf Neulauenburg, bestehen an mehreren Stellen. Zu einer größern Einheit sind die M. niemals zusammengetreten, am größten ist die Zersplitterung auf Neuguinea.

Der erste Verkehr der M. mit Europäern begann im Anfang des 19. Jahrhunderts auf den südlichsten Inselgruppen, die von europäischen und australischen Händlern wegen des dort wachsenden wertvollen Sandelholzes besucht wurden. Dieser Verkehr wurde leider für die Eingebornen im höchsten Grade unheilvoll. Später kamen englische protestantische und französische katholische Missionare, deren Einfluß sich nur langsam ausgebreitet hat. Auch die Besitzergreifungen sämtlicher Inselgruppen mit einziger Ausnahme der noch unbesetzten Neuen Hebriden durch Holland, Deutschland, England und Frankreich haben nur stellenweise einen lebhaftern Verkehr zwischen Europäern und Eingebornen entstehen lassen, der auch durch die Anwerbungen von Arbeitern für die Pflanzer von Queensland, Samoa, Neukaledonien u. a. gefördert wurde. Da aber die Eingebornen häufig nur durch gewaltsamen Raub in den Dienst ihrer weißen Herren gebracht werden konnten und durch schlechte Behandlung gegen alle Weißen noch mehr erbittert wurden, so herrscht in Melanesien eine hochgradige Fremdenfeindlichkeit und Unsicherheit. Vgl. Codrington, Melanesian studies in anthropology and folklore (Lond. 1891); Graf Pfeil, Studien und Beobachtungen aus der Südsee (Braunschw. 1899); Thilenius, Ethnographische Ergebnisse aus Melanesien (Leipz. 1902–03, 2 Tle.). Über die Sprachen der M. s. Malaiisch-polynesische Sprachen und die »Sprachenkarte«. Vgl. Menschenrassen, S. 613.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 570-571.
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