Ozeanische Altertümer

[283] Ozeanische Altertümer (hierzu Tafel »Ozeanische Altertümer I und II«). Mit der allgemeinen Annahme der Theorie, daß die Polynesier und Mikronesier in ihren heutigen Sitzen nicht autochthon, sondern eingewandert, und zwar mit Bestimmtheit von W. her eingewandert sind, stand man der Frage gegenüber, ob beide Völkergruppen die ersten Einwohner auf der ozeanischen Inselflur gewesen sind oder ob sie bereits eine ältere Völkerschicht vorgefunden haben, die später in den Eindringlingen ausgegangen ist und sich mit ihnen verschmolzen hat. Für das Vorhandensein einer solchen Unterschicht sprechen die starken Schwankungen in der Physis der Polynesier und Mikronesier, unter denen sich innerhalb der braunen, schlichthaarigen Grundmasse ein nicht einmal geringer Prozentsatz dunkler, ja schwarzer Individuen findet, die dadurch und durch krauses oder wolliges Haar den Melanesiern sehr nahe stehen. Die moderne Völkerkunde glaubt aber von der Annahme einer nichtmalaiischen Urbevölkerung absehen zu können; sie läßt vielmehr Mikronesier und Polynesier als erste Besiedler der weiten Inselflur gelten und erklärt die dunkle Beimischung aus dem bloßen Mitreißen melanesischer Elemente bei Gelegenheit des Durchgangs beider Einwanderungsgruppen von Indonesien aus durch melanesisches Gebiet. Daß die Melanesier in ihren heutigen Sitzen bereits ansässig waren, als die Polynesier von W. herkamen, um rasch nach Osten weiterzugehen, wird allgemein angenommen; gleichzeitig gilt es als sicher, daß die hellfarbige Bevölkerung des Stillen Ozeans dort eine sehr jugendliche Erscheinung ist, deren Einwanderung nur um wenige Jahrtausende zurückliegt. Mit der Annahme dieser Jugendlichkeit war das Vorhandensein einer großen Zahl anscheinend sehr alter Bauwerke auf den Inseln Ozeaniens zunächst sehr wenig in Einklang zu bringen. Derartige Altertümer hat man auf zahlreichen Inseln gefunden: gewaltige, viele Meter lange und breite, meist aus zyklopisch schweren und großen, viele Tonnen wiegenden Steinblöcken errichtete Terrassen und Plattformen fanden oder finden sich noch heute auf Malden, Hawaï, Tahiti, den Markesas, Mangarewa, Pitcairn, Tongatabu und vielen andern Inseln; sie sind stets ohne Zuhilfenahme von Mörtel aufgebaut. Green fand auf Swallow eine Steinpyramide von beträchtlicher Höhe; auf Rapa krönen umfangreiche alte Festungswerke die Hügel; unter den Guanolagern der Christmasinsel aber erstrecken sich, aus Korallenkalkblöcken kunstvoll zusammengefügt, förmliche Straßen. Bekannt sind dann die langen Reihen gewaltiger, 4 m hoher, kapitellgekrönter Steinpfeiler auf den Marianeninseln Tinian (Tafel I, Fig. 2), Rota und Guam; ferner menhirartige Steinobelisken von oft sehr erheblicher Höhe, die auf künstlichen Hügeln (Grabhügeln?) errichtet worden sind, von Pitcairn, Levuka, den Hervey, Tongatabu. Die berühmtesten der ozeanischen Altertümer sind schließlich die Ruinen von[283] Nanmatal auf Ponape und die Steinbilder und Ganggräber auf der Osterinsel. Die Bauten auf Ponape (Tafel I, Fig. 3, und II, Fig. 5), die allen Besuchern jener Region aufgefallen sind, hat am eingehendsten Kubary untersucht. Sie liegen am Meeresstrand und sind auf dem die Küste an dieser Stelle begleitenden Korallenriff aufgebaut. Durch schmale Kanäle sind sie vom Lande geschieden. Der Gesamtkomplex umfaßt nicht weniger als 42 Hektar; er enthält zahlreiche, in Gestalt von Vierecken, Parallelogrammen oder Trapezen gehaltene zyklopische Bauwerke von je 9 bis 137 m Seitenlänge, die aus einzelnen großen fünf- bis sechsseitigen Basaltsäulen und -Blöcken roh auseinander getürmt sind (Tafel I, Fig. 3, und II, Fig. 5). Kubary sieht in ihnen Wasserbauten, da bei Flut die ganz regelmäßig angelegten, 9–72 m breiten Kanäle zwischen den einzelnen Bauten etwa einen Faden hoch mit Wasser ausgefüllt sind. Sie hätten demnach im wesentlichen als gut geschützte Wohnterrassen für die alten Eingebornen gedient; nur ein geringer Bruchteil der 80 vorhandenen Ruinen zu andern Zwecken, nämlich zu Familien- und Fürstengräbern. Das besterhaltene Herrschergrab ist das von Nan Tauatsch. Dort erhebt sich auf einem 1,6–2 m hohen, 70 m langen und 60 m breiten Fundament ein aus rohen Basaltblöcken aufgeschichtetes Bauwerk, das 60 m lang, 50 m breit und 7–9 m hoch ist und dessen Wände 3 m stark sind (Tafel II, Fig. 5). Vorn befindet sich ein offener, nicht überwölbter Eingang. In diesem Außenviereck liegt ein kleineres, 30 m langes, 24 m breites und 4 m hohes Viereck mit 2 m dicken Wänden, das durch verschiedene Wälle mit der Mauer des Außenvierecks verbunden ist, so daß ein sehr kompliziertes System von Räumen entsteht. In einzelnen dieser Räume hat Kubary Menschenknochen, Muscheläxte, andre Geräte und Schmucksachen gefunden, die alle noch gut erhalten waren.

Die Altertümer der Osterinsel sind 1881 durch das deutsche Kanonenboot Hyäne und 1886 durch das amerikanische Kriegsschiff Mohican untersucht worden. Sie gliedern sich in Nachbildungen der menschlichen Gestalt aus vulkanischem Gestein (Tafel I, Fig. 1, u. 11, Fig. 7), unterirdische, langgestreckte Wohnbauten aus ebensolchem Material (Tafel II, Fig. 1 im Hintergrund), großen Malereien und Reliefs auf Felswänden (Tafel II, Fig. 6) und dolmenartige Grabkammern (Tafel II, Fig. 1). Das Hauptinteresse beanspruchen die ersterwähnten Steinidole. Die amerikanische Expedition hat ihrer nicht weniger als 555 gezählt, die, auf den Südwesten und den Osten der kleinen Insel zusammengedrängt, mit ihrer riesigen Größe (sie ragen durchschnittlich 7–8 m über den Erdboden hinaus, während eins gar 23 m Gesamtlänge maß) und dem ernsten Gesichtsausdruck der Landschaft ein höchst seltsames Gepräge verleihen, trotzdem die meisten von ihnen heute umgestürzt und verwittert am Boden liegen. Sie sind übrigens nie als Götzen an gesprochen worden, sondern sind lediglich Erinnerungsbilder für ausgezeichnete Personen. Die letzten sollen vor rund 250 Jahren angefertigt worden sein.

Auf Neuseeland gehen die Altertümer, der kurzen Vergangenheit der Maori auf dieser Inselgruppe entsprechend, nur um Jahrhunderte zurück. Von den berühmten Einwanderungsbooten, die lange als höchste Heiligtümer gegolten haben, ist nichts mehr vorhanden; dagen haben sich seit den Reisen Cooks in den Museen zahlreiche Schnitzwerke aus älterer Zeit erhalten, die für den hohen Stand dieser mit den einfachsten Hilfsmitteln arbeitenden Technik wie auch für die alte Kultur der Maori gleich bezeichnend sind. Eine der schönsten Schnitzereien ist der auf Takel 11, Fig. 4 dargestellte Wandpfeiler Pou-pou aus dem großen Versammlungshaus von Ohinemutu; die reich tätowierte Figur soll Tama-te-Kapua vorstellen, den großen Ahnherrn der Arawa, angeblich auf Stelzen gehend. Fig. 2 der Tafel II stellt zwei tätowierte Männer dar, wie sie durch Reiben (Pflügen) Feuer erzeugen. Alle diese ältern Schnitzwerke sind ohne Benutzung von Metallgeräten hergestellt. Ein sehr interessantes altes Stück stellt Fig. 3 der Tafel II dar: eine aus basaltartiger Lava gehauene, mit Perücke, Zopf und Halskrause geschmückte alte Europäerfigur von der hawaïischen Insel Oahu. Sie stellt vermutlich einen der alten, dem Namen nach unbekannt gebliebenen spanischen Entdecker dieser Inselgruppe dar. Die Figur steht im Berliner Völkermuseum.

Die Altertümer auf den Marianen bestehen aus Gruppen gewaltiger, quadratischer, unten bis 1,4 m, oben bis 1,2 m starker Säulen aus Korallenkalkmörtel und Steinen, die oben von einem bis 2,50 m im Durchmesser haltenden halbkugelförmigen Kapitell aus dem gleichen Material gekrönt werden. Diese Säulen sind stets zu je 5 oder 6 in zwei parallelen Reihen errichtet, wobei der Säulenzwischenraum je etwa 1,5 m, die Breite des Mittelganges 3–4 m beträgt (Tafel I, Fig. 2). Über den einstigen Zweck dieser Bauten sind die Meinungen lange geteilt gewesen; meist hat man in ihnen Grabdenkmäler zu sehen geglaubt. Neuerdings hält Fritz dafür, in ihnen den gemeinsamen Unterbau für den Dachstuhl der alten, großen Chamorrohäuser zu sehen: bei den heftigen, fast ständigen Stürmen auf den Marianen bedurfte das Dach einer soliden Befestigung; man verband die einzelnen Teile seiner Basis mit den Kapitellen der Säulen, auf denen es gleichzeitig ruhte, ebenso wie der Hausboden selbst. Die Ruinen sind danach also die Reste einer Art Pfahlbauten. Der Raum zwischen den Pfeilern ist nach Fritz nicht ungenutzt geblieben, sondern hat als unteres Stockwerk gedient. Im übrigen scheinen die Kapitelle in der Tat als Begräbnisplatz gedient zu haben; die Leichen sind in sie eingemauert worden.

Im Gegensatz zu der Osterinsel, wo die Erinnerung an die Verfertiger der alten Monumente noch lebendig ist, weiß auf den übrigen Inseln Ozeaniens niemand etwas über den Ursprung der alten Bauten; weil sie viel gewaltiger sind, als man sie in neuerer Zeit zu errichten pflegt, schreibt man sie meist den Göttern zu. Trotzdem liegt einstweilen kein Grund vor, sie andern als den jetzt am Ort ansässigen Völkern zuzuschreiben, da sowohl die Errichtung von erhöhten Steinflächen und Terrassen als die Herstellung menhirartiger Hermen eine spezifisch polynesische Einrichtung ist. Die Massigkeit und Größe der Bauten zeigt lediglich, daß die Polynesier und Mikronesier in frühern Zeiten kräftiger und unternehmender, sicher auch besser organisiert gewesen sein müssen als jetzt. Für einen Rückgang auf allen Gebieten sprach ja auch alles bei Ankunft der Europäer.

Vgl. Waitz-Gerland, Anthropologie der Naturvölker, Bd. 5 (Leipz. 1870); Weule, Das Meer und die Naturvölker (in »Zu Fr. Ratzels Gedächtnis«, das. 1904), Australien und Ozeanien in Helmolts »Weltgeschichte«, Bd. 2 (das. 1902); Geiseler, Die Osterinsel (Berl. 1883); Kubary, Die Ruinen von Nanmatal (im »Journal des Museums Godeffroy«, Heft 6); Schmeltz u. Krause, Die ethnographische Abteilung des Museums Godeffroy (Hamb. 1881); [284] Fritz, Die Insel Tinian (im »Deutschen Kolonialblatt«, 1901); Wm. J. Thomson, The ethnology and antiquities of Easter Island, im »Annual Report of the Smithsonian Institution« (National Museum for 1889; Washingt. 1891); Christian, The Caroline Islands (Lond. 1899); Allen (im »Congrès international des américanistes: Comptes rendus de la V. session«, Kopenh. 1883); Quatrefages, Étude sur quelques monuments et constructions préhistoriques (in der »Revue d'Ethnographie«, Bd. 2, 1883).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 283-285.
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