Réunion [2]

[837] Réunion (Ile de la R., vor der franz. Revolution und 1814–48 Ile Bourbon, 1809–14 Ile Bonaparte genannt, vgl. Textkärtchen, S. 838), franz. Insel im Indischen Ozean, 185 km südwestlich von Mauritius, 780 km östlich von Madagaskar, unter 20°50'–21°22' südl. Br. und 55°15'–55°52' östl. L., 71 km lang, bis 51 km breit und 1980 qkm groß. Die 207 km lange, im südwestlichen Teil von Korallenriffen umsäumte Küste verläuft äußerst gleichmäßig. Häfen sind im S. bei St.-Pierre und im N. bei Pointe des Galets künstlich geschaffen. Auf der einförmig gestalteten Insel wird von einer vulkanischen Gebirgskette das südwestliche, trockene Arrondissement Sous le Vent von dem nordöstlichen, regenreichen Arrondissement du Vent getrennt. Das Gebirge selbst besteht aus zwei, durch das 1600 m hohe Plateau des Cafres verbundenen Berggruppen; die westliche erreicht in dem von erloschenen Kratern umgebenen Piton des Neiges 3069 m, die östliche 2625 m in dem hohen Volcan de la Fournaise. Dessen immer noch fortdauernde Tätigkeit (besonders 1812 und 1858, zuletzt 1897) ist gegen das Innere durch einen Wall abgeschlossen, der sich nach SW. der Küste zu öffnet und die ganze so eingeschlossene Gegend durch Lavaströme in eine Einöde (Le grand Brûlé) verwandelt hat. Von der durch Kämme und Abfälle unterbrochenen Hochebene fällt das Land allmählich, jäh oder in Terrassen zu den Küstenebenen ab. Um den Piton des Neiges scharen sich mehrere bedeutende Vulkankegel (Les trois Salazes, Morne de Fourche, Grand Bénard, 2895 m) und zahlreiche geschlossene Kessel mit schluchtenähnlichen Ausgängen zur See. Zahlreiche, nicht schiffbare Flüsse bahnen sich von beiden Hängen zum Meer ihren Weg durch tiefe Schluchten und haben mit ungeheuern Massen von Erde an der Küste große Strandlagunen gebildet. Von zahlreichen Thermen sind die von Salazie, Cilaos, Gonnefroy, Lapierre und St.-François besucht.

R. besteht ausschließlich aus jungvulkanischen Gesteinen, vorwiegend olivinreichen Basaltlaven; mehr untergeordnet treten auch trachytische und andesitische sowie grobkörnige gabbroartige, zum Teil in Serpentin übergehende Gesteine auf. Das Klima ist gesund (Mitteltemperatur etwa 25°, mittlere Jahresextreme etwa 32° und 17°), Regenzeit Dezember bis März, am trockensten September und Oktober, vorwiegende Windrichtung SO. bis NO. Furchtbare Wirbelstürme (Mauritius-Orkane) tosen, durchschnittlich zwei im Jahre, vom November bis März; zwischen April und November wird R. durch Springfluten (raz de marée) heimgesucht. In der Vegetation schließt sich die Insel an Madagaskar an, besitzt aber auch eine Reihe ihr eigentümlicher Gewächse. Herrliche Tropenwaldung, durch den Anbau gelichtet oder durch Lavafelder eingeschränkt, reicht bis 1300 m und erhält ihre Physiognomie vorzugsweise durch Baumfarne (240 Arten) und Orchideen. Von Palmen kennt man nur sechs endemische Arten (Latania, Hyophorbe, Areca). Sonst sind Charakterbäume: die Sapotazeen Imbricaria petiolaris DC, und Sideroxylon cinereum mit unverwüstlichem Holze, ferner [837] Elaeodendron orientale und Acacia heterophylla. Unter den Monokotylen findet sich eine Dracaena. Ein zusammenhängender Gürtel von bis 16 m hohen Bambusen (Nastus borbonicus) schließt den gemischten Tropenwald ab. Auf ihn folgt eine Gesträuchsformation (Ambavilles), die, den Krummholztypus annehmend, mannshoch den Boden bedeckt. Ein niedriger Pandanus (P. montanus) reicht nicht über sie hervor. Hier ist auch das Gebiet der Farne und tropischen Epiphyten (Orchideen, Loranthazeen und Piperazeen). In seiner Fauna schließt sich R. am nächsten Mauritius an. Einheimische Säugetiere fehlen (bis auf Fledermäuse), doch sind viele durch Menschen nach R. gelangt. Es hat wie alle Inseln der madagassischen Subregion eigne, zum Teil dem Aussterben entgegengehende Vögel, von Reptilien sind Skinke, Gecko, Chamäleon und Schildkröten zu nennen.

Die Bevölkerung zählte 1902: 173,315 Seelen, darunter 148,125 Weiße, 13,492 Inder, 1378 Chinesen und 9457 Afrikaner; 87 auf 1 qkm.

Karte der Insel Réunion.
Karte der Insel Réunion.

Das Arrondissemeut Sous le Vent (SW.) ist bedeutend bevölkerter. Die Zahl der Todesfälle überstieg die der Geburten 1901 um 1558. Für die Volksbildung wird in neuerer Zeit viel getan, es bestehen 161 Schulen mit 388 Lehrern und 14,034 Kindern; den Unterricht erteilen zum großen Teil geistliche Orden. Die Religion ist überwiegend die katholische unter einem Bischof. Von den 172,462 Hektar der Insel waren 1886: Savannen 24,748, Wald 55,912, unkultiviert 24,748, unter Kultur 60,000 Hektar. Von letzterm Areal beanspruchen Zuckerrohr 34,500, Kaffee 4350, Vanille 3300, Mais, Maniok, Reis, Gemüse etc. 9400 Hektar, sonst werden noch Gewürznelken, Tabak, Baumwolle und Kakao gebaut. Von Rohzucker wurden 1892 gewonnen 36 Mill. kg, doch leidet die Zuckerindustrie unter Rohrkrankheiten und niedrigen Preisen, und man wendet sich wieder mehr dem Kaffeebau zu, auch sind Versuche mit Wein, Cinchona, Kautschuk, Oliven etc. gemacht worden. Der Viehstand bezifferte sich 1898 auf 2345 Pferde, 2950 Esel und Maultiere, 3495 Rinder, 8350 Schafe, 5400 Ziegen. Die Einfuhr betrug 1904: 19,30 (1901: 23,8), die Ausfuhr 13,58 (1901: 18,2) Mill. Fr. Der größte Teil der Einfuhr (Reis, dann Getränke, Kohle, Kleiderstoffe, Getreide, Fische, Metalle) kommt von Frankreich und seinen Kolonien, dahin geht auch meist die Ausfuhr (Zucker [36,483 Ton.], Tapioka, Kaffee, Vanille, Rum [2,110,749 Lit.]). Die Dampfer der Messageries maritimes laufen St.-Denis jeden Monat an, 1904 liefen 83 Schiffe ein von 145,159 Ton. Durch Eisenbahn (im Staatsbetrieb) ist der Haupthafen Point des Galets (133 km) mit St.-Benoît und St.-Pierre verbunden. Hauptort ist St.-Denis mit (1902) 27,392 Einw., andre bedeutende Orte sind St.-Paul (19,617 Einw.), St.-Pierre (28,885 Einw.), St.-Louis (12,541 Einw.); außerdem sind zu nennen: St.-Philippe, St.-Joseph, St.-Marie und St.-André. Alle Küstenorte sind mit der Hauptstadt durch Eisenbahn verbunden. Verteidigt wird R. durch 334 französische Soldaten, verwaltet von einem Gouverneur, dem ein Geheimer Rat zur Seite steht, und durch einen vom Rat gewählten General. Im französischen Parlament ist es durch einen Senator und zwei Deputierte vertreten. Ein sehr besuchter Badeort ist Salazie (s. d.). – R. wurde nebst Mauritius 1505 von dem Portugiesen Mascarenhas entdeckt und nach ihm benannt. Nachdem die Franzosen seit 1642 Kolonisationsversuche in Madagaskar gemacht hatten, ergriff von dort aus der Franzose Etienne de Flacourt im Namen Ludwigs XIV. 1643 Besitz von der Insel und nannte sie Bourbon. 1654 entstand durch Errichtung eines Hospitals die erste französische Niederlassung (La Possession). Der König überließ sie 1664 der Ostindischen Handelskompanie; Flüchtlinge aus Madagaskar vermehrten die Bevölkerung. Die Blüte der Kolonie begann mit der Anpflanzung des Kaffees und erreichte ihre Höhe unter B. Fr. M. de la Bourdonnais, von 1734–46 Gouverneur der Maskarenen. Eine zweite Entfaltung begann, als der Intendant Poivre 1770 aus den Molukken Gewürze hierher verpflanzte. 1774 nahm die königliche Regierung die Insel in Besitz. Am 8. Juli 1810 nötigte der englische Admiral Abercromby den Gouverneur von R., Saint-Suzanne, zur Übergabe; England gab die Insel erst 2. April 1815 zurück. Unterm 21. Juli 1846 wurden die den Staatsdomänen zugehörigen, 1848 sämtliche Sklaven auf R. freigegeben. Vgl. außer dem Reisewerk von Bory de Saint-Vincent (deutsch, Weim. 1805): v. Drasche, Die Insel R., geologische Studie (Wien 1878); Keller, Natur- und Volksleben der Insel R. (Basel 1888); Brunet, Histoire de l'association générale des francs créoles de l'île Bourbon (St.-Denis auf R. 1885); Oliver, Crags and Craters, Island of R. (Lond. 1896); J. Hermann, Colonisation de l'île Bourbon (neue Ausg., Par. 1901); Cordemoy, Étude sur l'île de la R. Géographie, richesses naturelles, etc. (Marseille 1905); Lépervanche, Carte de la R., 1:100,000 (Par. 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 837-838.
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