Tauben

[343] Tauben (Columbidae, hierzu Tafel »Haustauben« mit Textblatt), Familie der Taubenvögel (s. d.). Die große Holz-, Kohl-, Wald- oder Ringeltaube (Columba palumbus L.), 43 cm lang, taubenblau, Kopf und Brust rötlichblau, Hals grünlich und purpurn schillernd, an jeder Seite mit weißem Fleck, Flügel graublau mit weißem Streifen am Bug, Unterrücken und Steiß hellblau, Schwanz mattschwarz, mit hellerer Querbinde und weißem Fleck, Unterseite hell graublau, Hinterleib weiß, findet sich in Europa bis 65° nördl. Br., in Südwestasien, Nordafrika, auf den Azoren und Madeira, weilt bei uns vom März bis Oktober, überwintert teilweise in Süddeutschland, nährt sich von Getreide und Grassämereien, Schnecken, Regenwürmern, vorzugsweise aber von Nadelholzsamen, auch Eicheln und Bucheln, Heidelbeeren u. a. Sie nistet im April bis Juni im Nadelholzdickicht, ist überaus scheu und vorsichtig, wohnt aber zuweilen in volkreichen Städten auf Bäumen der Anlagen und läßt sich, zutraulich und dreist, von den Spaziergängern füttern. Die kleine Holz- oder Hohltaube (C. oenas L.), 32 cm lang, mohnblau, Kopf aschgraublau, Hals schillernd, Oberrücken dunkler graublau, Schwingen schieferblau, mit reihenweise stehenden, schwarzen Flecken, Brust rötlichgrau, Unterleib schwach rötlich-aschgrau, findet sich in Europa bis 60° nördl. Br., in Südwestasien und Nordafrika; Zug- und Brutzeit wie die vorige; sie nistet jedoch nur in Baumhöhlungen und wird, weil diese überall mangeln, immer seltener. Die Felsentaube (C. livia L.), 34 cm lang, oberhalb aschgraublau, unterhalb mohnblau, Kopf hell graublau, Hals metallisch schillernd, Flügel aschgrau und mit zwei schwarzen Binden, Unterrücken weiß, Schwanz dunkel graublau, mit schwarzem Endsaum, findet sich in fast ganz Europa, Asien und Nordafrika, doch nur, wo es Felsen gibt, und nistet in Höhlungen der letztern oder in Löchern alten Gemäuers. Sie nährt sich vorzugsweise von Getreide und Samen der Vogelwicke und andrer Unkräuter. Die Turteltaube (Turtur turtur L.), 28 cm lang, oberhalb rötlich braungrau, schwarz und aschgrau gefleckt, Stirn weißlichgrau, Oberkopf und Hals graublau, letzterer mit vier schwarzen, weiß gesäumten Querstreifen, Flügel schwärzlich aschgrau, Kehle und Oberbrust weinrot, ganze Unterseite rötlich graublau, Hinterleib gräulichweiß, findet sich in fast ganz Europa, Westasien und Nordafrika, besonders in Nadelholzwäldern, weilt bei uns vom April bis Oktober. Sie nistet im Mai und Juni auf mittelhohem Gebüsch, nährt sich namentlich von Nadelholzsamen, Erbsen, Linsen, Wicken, frißt aber auch viel Unkrautsamen und wird vielfach in Käfigen gehalten. Die Lachtaube (C. risoria L.), 31 cm lang, blaß rötlich gelbweiß, mit halbmondförmigem, schwarzem Fleck am Hinterhals, unterseits heller, bewohnt Ostafrika, Mittel- und Südasien, besonders Steppengegenden. Außer dem Girren hat sie besondere Laute, die menschlichem Lachen einigermaßen ähneln. Die Wandertaube (Ectopistes migratorius L.), 42 cm lang, oberhalb schieferblau, unterhalb rötlichgrau, Hals violett schillernd, Schwingen schwärzlich, weiß gesäumt, Schwanzfedern schwarz, an beiden Seiten hellgrau, weiß gespitzt, Bauch und Hinterleib weiß, bewohnt fast ganz Amerika, vorzugsweise das östliche Nordamerika. Sie wandert im Herbst und Frühjahr in ungeheuern Schwärmen, die in früherer Zeit in angebauten Gegenden großen Schaden verursachten, gegenwärtig aber durch die unausgesetzten Verfolgungen sehr stark zusammengeschmolzen sind. Audubon schätzte den wöchentlichen Bedarf eines Wandertaubenzugs auf 1,712,000 Scheffel Sämereien und seine Verbreitung auf einen Raum von 8–10 engl. Meilen, während seine Brutplätze bei einer Verbreitung von 4–5 engl. Meilen sich 50 Meilen weit durch die Wälder ziehen sollten, so daß man auf manchen Bäumen 50–100 Nester fand. Von fremdländischen T. werden unter andern als Stubenvögel gehalten die Bronzeflügeltaube (Phaps chalcoptera Selby) mit kupferig schillernden Flecken auf den obern Flügeldeckfedern, in Australien; die Dolchstichtaube (Geotrygon cruenta Lath.), auf der weißen Unterseite mit rotem, einer blutenden Wunde ähnlichem Fleck, auf den Philippinen; das Kaptäubchen (Sittichtäubchen, Ectopistes capensis L.), nur von der Größe einer Lerche, mit sehr langem Schwanz, in Süd-, West- und Ostafrika.

Unsre Haustauben (vgl. die Tafel mit Textblatt) stammen wahrscheinlich von der Felsen- oder Steintaube ab. Manche Haustauben sind ihr im Bau und in der Färbung sehr ähnlich; aber teils der Einfluß des Klimas, teils beabsichtigte Züchtung haben zahlreiche Abarten (Rassen) der Haustaube geschaffen. Die Zähmung der T. geht weit in vorgeschichtliche Zeiten zurück; schon auf den ältesten indischen und ägyptischen Denkmälern finden sich T. als Hausgeflügel dargestellt. Die T. leben paarweise. Die Täubin legt gewöhnlich 4–8mal im Jahre je zwei Eier, die von ihr und dem Tauber abwechselnd bebrütet werden und nach 16–18 Tagen auskommen. In den ersten Wochen werden sie von den beiden Alten mit einem im Kropf gebildeten milchartigen Brei gefüttert, bis das Gefieder ausgebildet ist und sie selber ihrer hauptsächlich aus Körnern bestehenden Nahrung nachgehen können. Als Aufenthaltsräume dienen den T. entweder auf hohen Pfeilern ruhende runde oder eckige Taubenhäuser oder besser Taubenschläge, die auf Hausböden, in Ställen, Schuppen etc. angelegt werden. Sie müssen warm, trocken, hell und lustig sein, ein oder mehrere verschließbare Ausfluglöcher etwa 0,5 m über dem Boden haben, ferner Sitzstangen und Nistkasten, die man an den Wänden aufhängt, und in denen man Schalen aus Gips, Ton oder Holz aufhängt, in welche die T. selbst weiches Nistmaterial, wie Stroh, Heu, Federn etc., zusammentragen. Jedes Taubenpaar bedarf zweier Nistkasten nebeneinander, da die Täubin meist schon zur zweiten Brut schreitet, bevor die ersten Jungen das Nest verlassen haben. Als Futter dienen allerhand Sämereien, wie alle Getreidearten, am besten Gerste, außerdem Erbsen, Wicken, Linsen, Bohnen u. dgl. Salz, Lehm, Mörtel dürfen nicht fehlen; feldernde T. suchen sich diese Stoffe. Sauberes Trinkwasser muß natürlich ebenfalls zu Gebote stehen, ebenso Gelegenheit zum Baden. Manche Rassen, wie Kröpfer, Carrier etc., füttern ihre Jungen gar nicht oder mangelhaft; man benutzt dann gut fütternde T. als Ammen, indem man ihnen die eignen Eier fortnimmt und die fremden Eier unterlegt. Junge T. werden mit 4–6 Wochen schlachtreif. Neben der Nutztaubenzucht ist auch die Liebhaberei sehr verbreitet. Die T. nützen auch durch Vertilgung von mancherlei Unkräutern und deren Samen sowie von tierischen Schädlingen der Gärten und Felder. Über die wichtigsten Krankheiten der T. s. Geflügelcholera und Geflügelkrankheiten. Unter den geflügelten Feinden der T. sind Taubenfalke, Habicht und Sperber die gefährlichsten; gegen Katzen, Marder, Iltis, Wiesel, Ratten[343] und Mäuse kann man die Schläge von vornherein schützen; gegen die parasitischen, zum Teil verderblichen Insekten hilft sorgfältigste und oft wiederholte Reinigung der Schläge, Nester etc., tägliche Wegnahme des Mistes, Bestreuung des Bodens mit Asche, Tabakstaub, des Gefieders mit Insektenpulver, Einreiben mit verdünntem Anisöl. Der Nutzen der wirtschaftlichen Taubenrassen wiegt den Schaden bedeutend auf. Junge und Alte liefern eine wohlschmeckende, gesunde, leichtverdauliche Speise für Kranke und Genesende und bilden im Sommer oft die einzige Fleischkost auf dem Land oder einen einträglichen Marktartikel. Über die Benutzung der Taubenfederns. Federn. Die Gewinnung des Düngers, dessen Wert für Garten- und Feldbau man höher schätzen gelernt hat, ist im Orient einziger Zweck der Taubenhaltung (rings um Ispahan zählt man über 3000 Taubentürme). Franzosen und Italiener ziehen ihn zu gärtnerischen Zwecken dem Guano vor. Den angeblichen Schaden an Sämereien, gerade zur Saatzeit, hat man auf Grund genauester Untersuchungen (Snell hat jahrelang Körner Und Vogelwickensamen in Kropf und Magen gezählt [in einer jungen Taube 3582], die T. auf seine Äcker gelockt und die besten Getreideernten erhalten) als großen Vorteil erkannt. de Vitey und Befroy erachten die Zerstörung der gegen 50,000 Taubentürme in Frankreich durch die Revolution von 1789 als Nationalunglück. Der wirkliche Schade an Mehl- und Ölfrüchten zur Zeit der Ernte kommt dagegen nicht in Betracht.

Die Taube ist das Symbol des Schöpfungswassers, der Urfeuchte (der Geist Gottes schwebte über den Wassern wie eine Taube), daher auch Regen- und Schiffergestirn (vgl. Plejaden), wegen ihrer Üppigkeit und Fruchtbarkeit der Vogel der Venus, für den in Syrien Kolumbarien errichtet wurden. Babylon war die Stadt der Taube, wo die aus einem Taubenei geborne Semiramis herrschte. Taube, Phönix und Palme identifizierte die Hieroglyphe als Bilder der Zeit und der Zeugung. Noch jetzt nisten Scharen wilder T. ungestört in Mekka, und Freudenmädchen halten Korn für sie feil. Auch den Israeliten war die Taube heilig, und Jerusalem hieß ebenfalls Stadt der Taube. In der frühchristlichen Kunst war die Taube Symbol der Seele, später der Apostel und fast ausschließlich Symbol des Heiligen Geistes (vgl. Stengel, Das Taubensymbol des Heiligen Geistes, Straßb. 1904). Häufig ist die Taube Attribut der Heiligen. Als Symbol der Auferstehung wurden T. in die Gräber der Märtyrer gelegt, und die Grablampen (s. Lampen, Fig. 11) sowie kirchliche Geräte (s. Peristerium) erhielten Taubengestalt. In Rußland dürfen keine T. getötet werden, weil sie nach dem Volksglauben die Herbergen der Seelen Verstorbener sind. Endlich ist auch die Taube Symbol der ehelichen Liebe und Eintracht.

Vgl. Temminck und Prévost, Histoire naturelle générale des pigeons (Par. 1808–43, 2 Bde.); Bonaparte, Iconographie des pigeons (das. 1857); Reichenbach, Naturgeschichte der T. (Leipz. 1862); Brehm, Naturgeschichte und Zucht der T. (Weim. 1857); Neumeister, Das Ganze der Taubenzucht (3. Aufl. von G. Prütz, das. 1876); Baldamus, Die T. (4. Aufl., Dresd. 1901); Prütz, Arten der Haustaube (3. Aufl., Leipz. 1878), Illustriertes Mustertaubenbuch (Hamb. 1886) und Die Arten der Kropftaube (Berl. 1904); Wright, Der praktische Taubenzüchter (deutsch, Münch. 1880); Dürigen, Die Geflügelzucht (2. Aufl., Berl. 1904); Bungartz, Taubenrassen (2. Aufl., das. 1893; neue Folge 1894); Marten, Kennzeichen der Taubenrassen (das. 1895); Mahlich, Nutztaubenzucht (das. 1901); Pfenningstorff, Die Taubenrassen (bearbeitet von Lavalle, Lietze, Bader, Becker u. a., das. 1905); Blancke, Lehrbuch der Nutz- und Rassetaubenzucht (das. 1905); Herzog, Die Taubenzucht (7. Aufl., Leipz. 1907); Lorentz, Die Taube im Altertum (Berl. 1886).

Über Brieftauben (s. die Textbeilage) vgl. du Puy de Podio, Die Brieftaube in der Kriegskunst (Leipz. 1872); Ruß, Die Brieftaube (Hannov. 1877); Hörter, Der Brieftaubensport (Leipz. 1890); Bungartz, Modellbrieftaubenalbum (das. 1888) und Der Brieftaubensport (das. 1889); Brinckmeier, Anzucht, Pflege und Dressur der Brieftauben (Ilmenau 1891); Malagoli, Experimente über Hin- und Rückflug der Militärbrieftauben (a. d. Ital. von Fellmer, Berl. 1889); Richou, La poste par pigeons (Par. 1888); Roeder, Die Brieftaube und die Art ihrer Verwendung zum Nachrichtendienst (Heidelb. 1890); Stadelmann, Die Brieftaube (Berl. 1892); Ohlrogge, Die Brieftaube (Forst 1898); Herzog, Die Brieftaube (Leipz. 1900); Schleyer, Die Brieftaube (Fürth 1904); Exner, Über das Orientierungsvermögen der Brieftauben (Wien 1905); Rosoor, La colombophilie (Jahrbuch, Tourcoing); Zeitschriften: »Duivenliefhebber« (Antwerpen); »L'Épervier« (Brüssel); »Zeitschrift für Brieftaubenkunde« (Hannover, seit 1886).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 343-344.
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