Lothar

[727] Lothar, altdeutscher Name, fränkisch Chlotar (»Herr der Leute«). Die hervorragendsten Träger des Namens sind.

Römisch-deutsche Kaiser. 1) L. I., ältester Sohn Ludwigs des Frommen, geb. 795, gest. 29. Sept. 855 in Prüm, regierte seit 814 Bayern, wurde 817 bei der Teilung des Reiches Mitherrscher und erhielt 822, nachdem er sich mit Irmengard, Tochter des Grafen Hugo von Tours, vermählt, auch Italien sowie 823 vom Papste die Kaiserkrone. Im November 824 regelte er durch die nach ihm benannte Konstitution die Rechte des Kaisers und des Papstes in Rom und im Kirchenstaat. Als aber Kaiser Ludwig dem von seiner zweiten Gemahlin, Judith, gebornen Sohn Karl 829 Alemannien bestimmte, empörten sich die drei Söhne erster Ehe gegen den Vater, und L. stieß ihn 830 vom Thron; die Deutschen befreiten jedoch Ludwig wieder, und L. verlor 831 die Regentschaft. In einer neuen Empörung 833 siegten L. und seine beiden Brüder durch Verrat, und auf des erstern Betrieb ward Ludwig der Fromme zu der schimpflichen Kirchenbuße von Soissons im Oktober 833 gezwungen und von L. in strengem Gewahrsam gehalten. Indes wegen dieser unwürdigen Behandlung des Vaters sowie seiner Anmaßung fielen die Brüder von ihm ab, Ludwig der Fromme wurde 1. März 834 in St.-Denis wieder eingesetzt, und L. mußte sich im Juni 834 in Blois unterwerfen; er behielt bloß Italien als Unterkönigreich. Bei der neuen Teilung des Reiches nach Pippins Tod wieder zu Gnaden angenommen, bekam L. außer Italien Austrasien ohne Bayern (Juni 839). Nach des Vaters Tode (Juni 840) beanspruchte L. als Kaiser die Herrschaft über die ganze Monarchie, allein Ludwig und Karl schlugen ihn bei Fontenoy in Burgund 25. Juni 841, und in dem Vertrag von Verdun 10. Aug. 843 behielt L. außer der Kaiserwürde und Italien Burgundien und die Länder zwischen Rhein, Maas und Schelde bis an die Nordsee, mit den beiden Hauptstädten Rom und Aachen. Während er zur Befestigung seiner Macht in Aachen blieb, den hohen Klerus als seine [727] Stütze begünstigend, verwüsteten die Araber 848 seine italienischen Provinzen, und die Normannen plünderten die Küsten der Nordsee. An Geist und Körper leidend, teilte L. seine Lande unter seine drei Söhne Ludwig II., der die Kaiserkrone und Italien, Lothar II., der Austrasien (Lotharingien), Karl, der Burgund bekam, und zog sich in das Kloster Prüm in der Eifel zurück, wo er bald nachher als Mönch starb. Seine Gebeine wurden 1860 wieder aufgefunden.

2) L. II., der Sachse, Graf von Supplinburg, geb. um 1060, gest. 4. Dez. 1137, erwarb durch seine Vermählung mit Richenza, Ottos von Nordheim Enkelin, 1100 ein reiches Erbe, schloß sich 1105 der Empörung Heinrichs V. an und erhielt dafür 1106 nach dessen Thronbesteigung das durch Aussterben der Billunger erledigte Herzogtum Sachsen. Aber auch gegen Heinrich V. erhob er sich, schlug das kaiserliche Heer 11. Febr. 1115 am Welfesholz, setzte mit Gewalt den Grafen Konrad von Wettin 1123 in den Besitz der Mark Meißen, Wigbert und Albrecht von Stade in den der Ostmark und trieb die auf kaiserlichen Befehl herbeiziehenden Herzoge Wladislaw von Böhmen und Otto von Mähren zurück. Nach dem Tode des Kaisers Heinrich V., ungeachtet der Ansprüche Herzog Friedrichs von Schwaben durch Erzbischof Adalbert von Mainz und den päpstlichen Legaten 30. Aug. 1125 zum König gewählt, mußte er die gänzliche Freigebung der kirchlichen Wahlen geloben und auf den Heimfall aller eingezogenen Lehen an die Krone Verzicht leisten. Um seine gefährlichsten Nebenbuhler zu schwächen, forderte er von den Hohenstaufen, den Erben Heinrichs V., diejenigen Reichsgüter zurück, die das fränkische (salische) Haus mit seinen Hausgütern vereinigt hatte, und ächtete den Herzog Friedrich 1126, als er sich dessen weigerte. Durch die Vermählung seiner Tochter Gertrud, der Erbin der Supplinburger, Nordheimer und altbraunschweiger Allodialgüter, mit Heinrich dem Stolzen, Herzog von Bayern (1127), verpflichtete sich L. die Welfen, durch Verleihung von Hochburgund die Zähringer und begann den Kampf gegen die Staufer, der günstig für ihn verlief. 1132 zog L. nach Rom, wo er 4. Juni 1133 die Kaiserkrone aus der Hand des von ihm zurückgeführten Papstes Innozenz II. erhielt und die Mathildischen Erbgüter von ihm zu Lehen nahm. Unterdessen hatte Heinrich der Stolze die hohenstaufischen Brüder Friedrich und Konrad III. mit solchem Erfolg bekriegt, daß ersterer auf dem Reichstag zu Bamberg 18. März 1135 und letzterer auf dem Fürstentag zu Mühlhausen 30. Sept. sich dem Kaiser L. unterwarfen. Die Herrschaft über die slawischen Fürsten an der Ostsee von der Elbe bis zur polnischen Grenze begründete er durch die Besiegung der Obotriten und Liutizen (1131), durch die Beförderung der Missionen daselbst und durch die Verleihung der Nordmark an den tapfern Albrecht den Bären 1134. Herzog Boleslaw von Polen huldigte ihm wegen Pommern und Rügen 1135, und Erich von Schleswig empfing gleichzeitig in Magdeburg aus Lothars Händen die dänische Königskrone als Lehen. 1136 zog L. wieder über die Alpen, unterwarf die lombardischen Städte, hielt einen glänzenden Reichstag auf den Roncalischen Gefilden (6. Nov.), vertrieb König Roger aus Unteritalien; an der völligen Unterwerfung dieses Landes hinderte ihn jedoch eine Meuterei des Heeres und ein Streit mit Innozenz II. Auf seiner Rückkehr aus Italien überraschte ihn der Tod in einer Alpenhütte zu Breitenwang bei Reutte in Tirol. Sterbend belehnte er seinen Schwiegersohn Heinrich mit dem Herzogtum Sachsen und überreichte ihm die Reichsinsignien. L. liegt begraben zu Königslutter im Braunschweigischen in dem von ihm daselbst gestifteten Kloster. Vgl. Jaffé, Geschichte des Deutschen Reichs unter L. dem Sachsen (Berl. 1843); Bernhardi, Jahrbücher des Deutschen Reichs unter L. von Supplinburg (Leipz. 1879).

3) L. II., fränkischer König, zweiter Sohn von L. 1) und seiner Gemahlin Irmengard, erhielt bei des erstern Abdankung 855 die Lande zwischen Rhein, Maas und Schelde nebst Friesland, die von ihm den Namen Lotharingien (Lothringen) bekamen. 863 fiel ihm nach dem Tode seines Bruders Karl ein Teil von Burgund zu. Seine Stellung zwischen den feindlichen Oheimen Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen war schon schwierig, sie wurde es aber noch mehr, als er seine Gemahlin Theutberga, die Schwester des Grafen Hucbert von St.-Maurice, mit der er seit 855 vermählt war, 857 verstieß und sich mit Waldrada, mit der er vor seiner Ehe gelebt, unter Zustimmung seiner Geistlichkeit auf einer Synode zu Aachen 862 trauen ließ. Papst Nikolaus I. zwang ihn durch Drohung mit dem Bann 865 zur Aussöhnung mit Theutberga; indes L. unterwarf sich nur äußerlich, und versuchte durch die größten Demütigungen vom Papste die Trennung der kinderlosen Ehe mit Theutberga und die Anerkennung der Kinder Waldradas zu erlangen. Noch bevor er dies erreichte, starb er auf der Rückreise von Italien 8. Ang. 869 in Piacenza, und da er keine legitimen Erben hinterließ, teilten sich Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche in sein Reich.

4) L., König von Frankreich, geb. 941 in Laon, gest. 986, Sohn Ludwigs IV., des Überseeischen (d'Outre-mer), und Gerbergas, Tochter Heinrichs I. von Deutschland, wurde 952 zum Mitregenten angenommen und nach dem Tode seines Vaters 954 von Hugo d. Gr. zum alleinigen König eingesetzt. 965 vermählte er sich mit Kaiser Ottos Stieftochter Emma. Als Unruhen in Lothringen nach Ottos I. Tode ausbrachen, überfiel L. 978 Otto II. in Aachen; doch entkam dieser und rächte sich für die von L. angerichteten Verwüstungen durch seinen Verheerungszug bis in die Vorstädte von Paris im Spätherbst 978. Auf einer Zusammenkunft mit Otto in Chiers 980 entsagte L. allen Ansprüchen auf Lothringen. Vgl. Lot, Les derniers Carolingiens (Par. 1892).

5) L., König von Italien, Sohn und seit 931 Mitregent König Hugos von Italien, seit 937 verlobt und 947 vermählt mit Adelheid, Tochter Rudolfs II. von Burgund, übernahm 947 nach dem Tode seines Vaters die Herrschaft Italiens allein, führte aber die Regierung nur dem Namen nach, während in Wirklichkeit seit 945 die Gewalt in den Händen des Markgrafen Berengar von Ivrea (s. Berengar 2) sich befand. Er starb 22. Nov. 950, einem weitverbreiteten Gerücht zufolge von Berengar vergiftet.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 727-728.
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