Wrangel

[757] Wrangel, altes esthländ. Geschlecht mit vielen berühmten Mitgliedern, das jetzt in mehreren Linien über Schweden, Rußland, Deutschland, Österreich und Holland verbreitet ist. Vgl. H. v. Baensch, Geschichte der Familie v. W. vom Jahr 1250 bis auf die Gegenwart (Berl. u. Dresd. 1887, 2 Bde.). Erwähnt seien:

1) Hermann von, schwed. Feldherr, geb. 9. Juli 1587 in Esthland, gest. 20. Dez. 1643 in Livland, trat früh ins schwedische Heer, zeichnete sich als Feldmarschall 1621 bei der Belagerung Rigas, 1629 bei Gurzno gegen die Polen aus und wurde 1630 Reichsrat. Seit 1632 Gouverneur in Preußen, befehligte er 1636 ein schwedisches Korps in Brandenburg, 1637 in Pommern, wurde aber, wegen eines Zerwürfnisses mit Banér (s. d.), 1638 zurückgerufen. 1643 erfolgte seine Ernennung zum Generalgouverneur Livlands. Seine Griese 1614–43 an A. Oxenstierna gab P. Sondén heraus (Stockh. 1898).

2) Karl Gustav, Graf, schwed. Feldherr, Sohn des vorigen, geb. 23. Dez. 1613 auf Skokloster (bei Upsala), gest. 5. Juli 1676 auf Spieker (Rügen), zeichnete[757] sich als Rittmeister 1632 beim Übergang über den Lech und bei Lützen aus, wurde 1636 Oberst, 1638 Generalmajor und war 1641, nach Banérs Tod, einer der vier Generale, die das schwedische Heer in Deutschland bis zur Ankunft Torstenssons (s. d.) kollegial befehligten. Hierauf machte er unter diesem die Feldzüge in Deutschland, bez. Dänemark mit und wurde 1644 Anführer der Flotte, mit der er 23. Okt. d. J. die Dänen bei Fehmarn schlug. 1645 als Reichsfeldzeugmeister nach Deutschland zurückgeschickt, wurde er 1646 Reichsrat, Feldmarschall und Oberbefehlshaber des dortigen Schwedenheeres, das unter ihm. mit den Franzosen unter Turenne, 17. Mai 1648 bei Zusmarshausen die kaiserlich-bayrische Armee schlug. Nach dem Westfälischen Frieden und seit 1660 Generalgouverneur von Pommern, kommandierte er beim Ausbruch des polnischen Krieges (1655) die Flotte, kämpfte aber dann zu Lande und befehligte mit dem Großen Kurfürsten in der Schlacht bei Warschau (1656) den linken Flügel. Seit 1657 war er auf dem dänischen Kriegsschauplatz tätig, erstürmte Frederiksodde, machte 1658 den Übergang über die Belte mit und nahm Kronborg ein, konnte aber die Vereinigung der holländischen Flotte mit der dänischen im Sund nicht verhindern. In seiner Eigenschaft als Reichsadmiral (seit 1657), bez. Reichsfeldherr (seit 1664) war W. 1660–72 Mitglied der Vormundschaftsregierung für Karl XI. 1665–66 hatte er den Oberbefehl im Krieg gegen Bremen, 1675 in dem wider seinen Willen begonnenen Krieg mit Brandenburg, der, als er wegen Krankheit die Führung seinem Stiefbruder, Generalleutnant Freiherr Waldemar W. (1641–76), übertragen mußte, höchst unglücklich verlief (s. Fehrbellin) und seine Absetzung zur Folge hatte.

3) (auch Wrangell) Ferdinand, Baron von, russ. Seefahrer, geb. 29. Dez. 1794 in Livland, gest. 6. Juni 1870 in Dorpat, wurde in dem Seekadettenkorps zu St. Petersburg erzogen, machte unter Golownin 1817–19 eine Reise um die Erde, leitete 1820 bis 1824 im Auftrage der Regierung eine Expedition in das nordöstliche Sibirien, während der er auf vier Schlittenreisen von zusammen über 6000 km Länge die Eismeerküste von der Kolymamündung bis zur Koliutschinbai untersuchte, die Bäreninseln besuchte und dreimal über die zerklüftete Eisdecke nach N. vordrang, ohne indes das vermutete Land (s. Wrangelinsel) zu erblicken. Nach seiner Rückkehr unternahm W. 1825–27 eine zweite Reise um die Welt, verwaltete als Generalgouverneur 1831–36 die russisch-amerikanischen Kolonien, war dann 13 Jahre lang Direktor des Departements für Schiffsbauwälder, wurde 1847 Vizeadmiral und verließ 1849 den Staatsdienst. Beim Beginn des Krimkrieges trat er wieder ein, war von 1853–58 Verweser des Marineministeriums, wurde dann Mitglied des Staatsrats, nahm aber nach dem Verkauf der amerikanischen Kolonien (1866), den er lebhaft bekämpfte, aufs neue seinen Abschied. Die auf seiner sibirischen Reise angestellten »Physikalischen Beobachtungen« gab Parrot heraus (Berl. 1827); eine deutsche Bearbeitung seines Reiseberichts veröffentlichte Engelhardt (das. 1839, 2 Tle.); die russische Originalbeschreibung erschien erst später (Petersb. 1843, 2 Bde.). Außerdem veröffentlichte W. »Statistische und ethnographische Nachrichten über die russischen Besitzungen an der nordwestlichen Küste von Amerika« (in Baer und Helmersen, »Beiträge zur Kenntnis des russischen Reiches«, Petersb. 1839). Vgl. L. v. Engelhardt, Ferd. v. W. und seine Reise längs der Nordküste von Sibirien (Leipz. 1885).

4) Fredrik Ulrik, Graf, schwed. Historiker und Genealog, geb. 3. Okt. 1850 auf Salsta (Upland), wurde 1897 Kammerherr, 1898 auch Protokollsekretär im Reichsmarschallamt, mußte aber 1906 schuldenhalber etc. nach Amerika fliehen. Von seinen zum Teil sehr wertvollen Veröffentlichungen seien genannt: »Från Jean Bernadottes ungdom« (Stockh. 1889); »Liste des diplomates françaisen Suède 1541–1891« (1891); »Svenska adelns ättartaflor ifrån år 1857« (mit O. Bergström, 1897–1900, 3 Bde.); »Die souveränen Fürstenhäuser Europas« (1898–1899, 2 Bde.; illustriert, auch französisch); »De kongl. Svenska riddareordnarne« (1899, illustriert); »Stockholmiana« (1902–05, 4 Bde.); »Svenskt Pantheon« (1906, illustriert); »Ströftåg i New York och annorstädes« (1907). Ferner gab er 1891–97 die »Svenska A utografsällskapets Tidskrift«, 1898 bis 1903 die »Personhistorisk Tidskrift« heraus.

5) Friedrich Heinrich Ernst, Graf von, preuß. Generalfeldmarschall, aus dem Geschlechte der vorigen stammend, geb. 13. April 1784 in Stettin, gest. 1. Nov. 1877 in Berlin, trat 1796 in ein ostpreußisches Dragonerregiment, erwarb sich, seit 1798 Leutnant, 1807 bei Heilsberg den Orden pour le mérite, ward 1809 Rittmeister und 1813 Major. Anfang 1814 an der Einschließung von Luxemburg und den folgenden Gefechten beteiligt, ward er im April 1814 Oberstleutnant und Kommandeur des 2. westpreußischen Dragonerregiments, 1815 Oberst, erhielt 1819 das 5. Kürassierregiment, 1821 die 10. Kavalleriebrigade, leitete mehrere Kavalleriemanöver, wurde 1823 Generalmajor und 1834 Kommandeur der 13. Division in Münster. Seit 1839 kommandierender General des 1. Armeekorps in Königsberg, wurde W. wegen Mißhelligkeiten mit dem Oberpräsidenten v. Schön 1842 nach Stettin versetzt und ward 1845 Chef des 3. Kürassierregiments (in Königsberg), das noch jetzt Kürassierregiment Graf W. heißt. Im deutsch-dänischen Krieg von 1848 mit dem Oberbefehl über die deutschen Bundestruppen in Schleswig-Holstein betraut, siegte er 23. April bei Schleswig und drang in Jütland ein, legte 8. Sept. den Oberbefehl nieder, übernahm den in den Marken, rückte 9. Nov. mit den Truppen in die Hauptstadt ein, verhängte 12. Nov. den Belagerungszustand und stellte ohne Blutvergießen die Autorität der Regierung wieder her. Zum General der Kavallerie ernannt, erhielt er 1849 zu dem Oberkommando in den Marken noch das des 3. Armeekorps, wurde 1856 Generalfeldmarschall und bei Beginn des deutsch-dänischen Krieges im Januar 1864 Oberbefehlshaber über die alliierte österreichisch-preußische Armee, ward aber, da er den Feldzugsplan Moltkes nicht befolgte und die Abschneidung der Dänen im Danewerk vereitelte, im Mai enthoben und in den Grafenstand versetzt. 1866 erhielt er kein Kommando, begleitete aber sein Kürassierregiment als Kriegsfreiwilliger nach Böhmen. Im Sommer 1852 bereiste er auf Einladung des Kaisers von Rußland und in dessen Gefolge die russischen Staaten und besuchte Konstantinopel. Von seinen drei Söhnen überlebte ihn keiner. Ein Enkel, Gustav, Graf W., geb. 21. Okt. 1847, Legationssekretär z. D., starb 7. Juli 1904 in der Heilanstalt Thonberg. 1880 ward W. auf dem Leipziger Platz in Berlin ein Denkmal errichtet. Vgl. v. Meerheimb, Graf von W. (Berl. 1877); E. v. Malt itz, Lebensgeschichte des königlich preußischen Generalfeldmarschalls Grafen v. W. (das. 1884).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 757-758.
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