Flandern [2]

[331] Flandern (Gesch.). In der alten Zeit wohnten die Moriner, Nervier, Aduaticer u. Menapier in dem nachherigen F., u. es gehörte zum Belgischen Gallien. Als Cäsar Belgien eroberte, kam dieser Strich unter die Herrschaft der Römer, dann unter die der Franken. Der Name F. kommt seit dem 7. Jahrh. vor u. befaßte damals nur das Gebiet von Brügge (Municipium Flandrense). Die einheimischen Geschichtsschreiber erzählen, daß unter Karl dem Großen u. schon lange vorher F. von eignen Herren unter dem Titel Forestarii verwaltet worden sei, u. sie nennen als solche Liderich, Ingelram u. Odacer. Der erste Graf von F. war Balduin I. der Eiserne. Dieser, ein französischer Ritter, entführte Judith, die Tochter Karls des Kahlen; der König verzieh ihm u. belehnte ihn 863 mit F. (dem Gebiet von Brügge), zu dem er noch die Gebiete von Gent, Courtrai, Tournai, Arras etc. u. die Grafschaft Artois schlug. Balduin I. starb um 879, sein Sohn Balduin II. der Kahle befestigte Brügge gegen die Einfälle der Normannen u. starb um 918; dessen Sohn Arnulf I. nahm seinen Sohn Balduin III. als Mitregenten an, der um 950 die ersten Webereien in F. einführte, durch welche nachmals F. so berühmt wurde. Balduin I. starb 965, noch vor seinem Vater, der nun seinen Enkel Arnulf II. als Mitregenten annahm u. 966 starb. Nach Arnulfs II. Tode 989, folgte ihm sein Sohn Balduin IV. der Bärtige, welcher sich 1066 gegen Kaiser Heinrich II. empörte u. Valenciennes erobern wollte; er wurde aber besiegt u. mußte Valenciennes als Lehn annehmen; er st. 1036; Balduin V. der Fromme, sein Sohn, bemächtigte sich schon bei Lebzeiten des Vaters eines Theils der Herrschaft, bezwang die Friesen u. führte mit Herzog Gottfried III. von Lothringen Krieg gegen Kaiser Heinrich III.; dennoch belehnte ihn Kaiser Heinrich IV. mit Valenciennes, Gent etc. Nach dem Tode des Königs Heinrich I. von Frankreich wurde er Vormund über Philipp I. u. st. 1067. Von seinen 2 Söhnen folgte Balduin VI. der Gute in F., der andere, Robert der Friese, besaß eine Zeitlang Holland u. Friesland. Balduin erheirathete mit Richilde das Hennegau u. fiel 1070 gegen seinen Bruder Robert. Von seinen Söhnen regierte Arnulf III. der Unglückliche unter Vormundschasseiner Mutter Richilde, aber schon 1071 raubte ihn sein Oheim, Robert der Friese, Grafschaft u. Leben in der Schlacht bei St. Omer (Mont Cassel) u. be hauptete F. gegen die Ansprüche von dessen Bruder Balduin II. von Hennegau. Diesem Robert folgte nun 1093 dessen Sohn, Robert II. Hierosolymitanus, welcher den ersten Kreuzzug mitmachte, Douai von Hennegau erwarb u. 1111 starb Sein Sohn, Balduin VII. der Strenge, starb 1119 kinderlos u. setzte den Prinzen Karl I. den Guten von Dänemark, seinen Vetter, zum Erben ein. Dieser wurde 1127 in Brügge meuchlings ermordet, u. nun beriefen die Stände Wilhelm von Cliton, Sohn Roberts von der Normandie, als Grafen, verjagten ihn aber, da er sich ihnen verhaßt machte, bald wieder u. wählten 1129 Dietrich vom Elsaß, Enkel Roberts des Friesen, zum Grafen; die er führte Krieg mit Hennegau u. st. 1168. Sein Sohn Philipp folgte ihm u. erwarb zwar Aelst als Reichslehn wieder, überließ aber 1180 Artois dem Könige Philipp August von Frankreich als Mitgift für dessen Gemahlin Isabelle von Hennegau. Philipp starb kinderlos 1191 (1192), u. ihm folgte seine Schwester Margarethe, die Gemahlin des Grafen Balduin von Hennegau; dieser nahm den Namen Balduin VIII. an, starb aber schon 1194; sein Sohn war Balduin IX., derselbe, der sich als lateinischer Kaiser 1204 Constantinopels bemächtigte u. 1205 in Griechenland starb. Von seinen 2 Töchtern erbte die ältere, Johanna, F. u. heirathete Ferdinand von Portugal. Sie bestand, mit England verbündet, harte Kriege wegen ihres väterlichen Erbes, verband sich 1214 mit Kaiser Otto IV. gegen Frankreich, jedoch wurde ihr Gemahl in der Schlacht bei Bovines 1214 gefangen u. erst 1226 wieder freigegeben. Währenddem hatte sie gegen einen gewissen Bertrand, der lange als Eremit in den Niederlanden lebte u. sich für ihren Vater Balduin ausgab, zu kämpfen u. mußte vor demselben nach Frankreich fliehen. Da dieser aber, vom König von Frankreich nach Valenciennes berufen, sich nicht legitimiren konnte, wurde er an Johanna ausgeliefert, die ihn in Lille hängen ließ. 1233 starb Johannas Gemahl, u. sie vermählte sich 1237 zum 2. Mal mit dem Grafen Thomas von Savoyen. Nach ihrem Tode folgte ihre Schwester, Margarethe II., in F. u. Hennegau. Diese hatte Burkard von Avesnes, ihren Vormund, 1218 mit Bewilligung der Stände geheirathet u. von ihm 2 Söhne, Johann u. Balduin, geboren; später aber, als sich zeigte, daß Burkard die geistlichen Weihen gehabt hatte, als er die Ehe mit ihr schloß, u. ihre Ehedaher ungültig war, heirathete sie Wilhelm von Bourbon-Dampierre u. erhielt 3 Söhne von ihm, Wilhelm, Guido u. Johann, welche sie mehr liebte als die aus erster Ehe u. denen sie daher die Erbschaft zuzuwenden strebte. Hierüber entstanden, nachdem Wilhelm von Dampierre, der Vater, 1241 gestorben war, Unruhen u. Krieg, bis endlich König Ludwig IX. von Frankreich u. der Papst entschied en, daß Hennegau den Söhnen erster Ehe u. F. denen zweiter bleiben solle. Aber Wilhelm, der Sohn, wurde 1251, auf Anstiften seiner Stiefbrüder, im Turnier zu Avesnes getödtet, u. nun brach der Krieg von Neuem aus. Margarethe rief die Franzosen zu Hülfe, die ältern Brüder aber den Kaiser Wilhelm von Holland,[331] welcher die Grafen Guido u. Johann gefangen nahm. Erst nach des Kaisers Tode (1256) wurden diee wieder freigegeben u. die Unruhen u. Fehden dauerten bis zu Margarethens Tode 1279 fort, wo ihr Sohn Johann in Hennegau u. Guido in F. folgte. Dieser verband sich 1291 mit dem Kaiser Adolf von Nassau u. mit England gegen Philipp den Schönen von Frankreich, bis der Krieg 1295 durch Vermittelung des Papstes Bonifacius VIII. geendigt wurde. Philipp IV, von Frankreich fiel indeß 1297 wieder in F. ein, eroberte den größten Theil des Landes u. nahm Guido u. dessen Sohn Robert gefangen. Erster starb 1305 als Gefangener in Compiegne. Robert, gegen Abtretung von Lille, Orchier u. Douay freigelassen, bestrafte nun einzelne Stände, die sich gegen ihn empört hatten, bekriegte den Grafen Wilhelm von Holland, weil er die Lehnspflicht wegen Seeland verweigert hatte, u. entzweite sich mit seinem Sohne, dem Grafen Ludwig von Nevers, welcher nach Frankreich floh u. daselbst 1322 starb. Bald darauf starb auch Robert, u. sein Enkel Ludwig I. folgte ihm. Gegen diesen aber empörten sich die Flandrer u. vertrieben ihn; doch gelang es ihm mit Hülfe des Königs Philipps VI. von Frankreich, welcher die Flandrer 1328 bei Cassel schlug, sich wieder in Besitz des Landes zu setzen. Nach Ludwigs Tode 1346 folgte sein Sohn Ludwig II. 1377 empörte sich Gent; Ludwig II. belagerte es vergebens, dann schlug er die Genter mit französischer Hülfe 1382 bei Rosebeke, wo Philipp von Artevelde, der genter Führer, fiel; die Genter nahmen darauf die ihnen dargebotene englische Hülfe in Anspruch, schlugen Ludwig bei Dünkirchen, u. erst 1384 kam durch Vermittlung Frankreichs ein Friede zu Stande. 1384 starb der Graf an den Folgen einer Dolchwunde, die er vom Herzog von Berry bei Gelegenheit eines Streites erhalten hatte. Ihn beerbte seine Tochter Margaretha, die sich an Philipp von Burgund vermählte, wodurch F. an Burgund fiel u. mit diesem Reich vereinigt blieb, bis es nach dem Tode Marias von Burgund 1482 an Österreich kam u. bis 1648 den Niederlanden (s.d.) einverleibt wurde. Nachdem Frankreich seit 1668 F. vorübergehend erst ganz, dann zum Theil besessen hatte, wnrde es ihm durch die Frieden von Campo Formio 1797 u. Luneville 1802 förmlich zugesprochen u. machte (das alte) einen Theil des Departements Nord, (das neue) das Departement Lys (Hauptstadt Brügge) u. das Departement Schelde (Hauptstadt Gent) aus. 1814 wurde F., mit Ausnahme der früheren Besitzungen Frankreichs, an die Niederlande übergeben u. es bildete die niederländischen Provinzen Ost- u. Westflandern, welche beide durch die Belgische Revolution dem neugebildeten Staate Belgien zugesprochen wurden. Seeflandern blieb indeß mit den Niederlanden vereinigt. Eine Sammlung flandrischer Chroniken gibt die historische Gesellschaft in Brüssel heraus, 1837 ff.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 331-332.
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