Nibelung [2]

[872] Nibelung, König des Nibelungenlandes, das immer in weiter Entfernung (daher wohl so v.w. ein Nebelland) von denen lga, welche davon redeten, so den Deutschen im fernen Norden, den Skandinaviern in Deutschland (am Rhein). Mit diesem Lande verbunden kommt das 100 Rasten entfernte Island (Isenland) vor. Berühmt war N. bes. durch den großen Schatz (Nibelungenhort), den er besaß, bestehend in Gold u. Edelsteinen nebst Wünschel- (Zauber-) ruthe, durch welche man sich Jedermann unterwürfig machen konnte. Aus der Höhle, in welcher derselbe aufbewahrt war, schafften ihn nach N-s Tode seine Söhne N. u. Schilbung. Von diesen gewann Sigfried den Schatz, u. von diesem erhielt ihn Chriemhild als Brautschatz; dieser nahm ihn Hagen, welcher ihn in den Rhein (bei Bingen) versenkte; s. unten. Nach den Besitzern des Nibelungenhortes (Nibelungen) ist das Nibelungenlied genannt, die bedeutendste Schöpfung der deutschen volksmäßig-höfischen Kunstepik des Mittelalters, welches in den besseren Handschriften den Titel der Nibelunge Rot führt. Wie es gegenwärtig vorliegt, zerfällt es in drei Hauptabschnitte: a) Sigfrieds Thaten u. Tod. Sigfried (Sifrid), Sohn des Königs Sigmund auf Santen in Niederland u. der Sigelind, hatte in seiner Jugend von N. u. Schilbung den Nibelungenhort erkämpft u. ihnen auch den Zwerg Alberich, den Hüter des Schatzes, u. die Tarn- (Nebel-, Hehl-) Kappe, welche unsichtbar machte u. die Kraft von zwölf Männern gab, abgenommen. Sigfried hörte von der schönen Chriemhild (s.d.), Tochter des burgundischen Königs Gibich (Gippieh) in Worms u. der Ute, u. Schwester Günthers, Gernots u. Giselhers, ging nach Worms, u. nachdem er dem jungen König Günther gegen die Sachsen beigestanden u. die Brunhild, Tochter des Königs von Island, hatte erkämpfen helfen, vermählt dieser ihm seine Schwester Chriemhild, welche von ihm den Nibelungenhort zum Brautschatz erhielt u. ihm einen Sohn Günther gebar. Aber Brunhild rang mit Günther um das Gattenrecht, besiegte ihn u. hängte ihn in der Nacht an einen Nagel. Doch in der zweiten Nacht bezwang Sigfried sie für Günther, nahm ihr Zaubergürtel u. Ring, durch welche sie so stark war, u. gab Beides seiner Chriemhild. Bei einem Streit Brunhilds u. Chriemhilds über die Vorzüglichkeit ihrer Männer zeigte diese jener Gürtel u. Ring, zum Beweise, daß Sigfried sie bezwungen habe. Brunhild brütete Rache u. beredete Hagen zum Mord Sigfrieds. Hagen verbreitete die unwahre Nachricht, daß die Sachsen, welche Sigfried für Günther besiegt, den Krieg wieder begonnen hätten; Sigfried versprach Hülfe; Chriemhild, besorgt um ihren Gatten, nähete auf seinen Mantel ein kleines Kreuz zwischen den Schultern, wo, als er sich in Drachenblute badete, ein Lindenblatt die Haut unverwundbar zu werden verhindert hatte, u. hat Hagen, Sigfrieden vor den Geschossen der Sachsen zu schützen. Der Sachsenkrieg wurde nun bei Sigfrieds Ankunft von Günther u. Hagen als gehoben dargestellt u. dafür eine Jagd im Odenwald vorgeschlagen. Nach der Jagd bewog Hagen Sigfrieden zu einem Wettlauf nach einem Brunnen u. durchstach ihn, als er sich zum Trinken bückte, zwischen den Schultern (der Brunnen, wo es geschah, wird noch bei dem Dorfe Grasellenbach unweit Fürth im Odenwalde gezeigt u. ward hier im Juni 1851 ein steinernes Denkmal gesetzt). Chriemhild kam zur Bestattung Sigfrieds nach Worms u. blieb auf ihrer Brüder Bitte hier, wo man ihr nahe am Grabe Sigfrieds am Münster eine Wohnung baute. Für sie holten dann ihre Brüder Gernot u. Giselherden Nibelungenhort, wozu zwölf Rüstwagen zwölfmal fahren mußten. In Chriemhilds Abwesenheit raubte Hagen den Schatz u. versenkte ihn in den Rhein. Chriemhilds Haß gegen Hagen wuchs dadurch. b) Chriemhilds Rachelust u. zweite Verheirathung. 13 Jahre lebte Chriemhild im Wittwenstande; da sendete König Etzel von Ungarn, dessen Gemahlin Helge gestorben war, Rüdigern von Bechlaren zur Werbung um Chriemhild nach Worms, sie willigte aber erst ein, als ihr Rüdiger Etzels Rache an Hagen versprach. 13 Jahre hatte Chriemhild mit Etzel gelebt u. ihm einen Sohn, Ortwin, geboren. Jetzt sollte Rache an den Burgundern genommen werden. Durch die Sänger Swämelin u. Wärbelin wurden nun die Burgunder gen Ungarn geladen. Es zogen Günther, Gernot, Giselher, Hagen, Dankwart u. der Spielmann Volker, welche jetzt auch N-en hießen, durch Baiern (wo die Fürsten Else u. Gelfert sie angriffen, Letzter aber von Dankwart erschlagen wurde) nach Ungarn zu Etzel, bei dem damals Dietrich von Bern lebte. c) Untergang der N-en. Chriemhild fragte Hagen, ob er ihr den Nibelungenhort mitbringe, worauf er sie höhnte u. gegen sie frevelte. Da forderte sie ihre Mannen zur Rache auf, u. ein Kampf entspann sich, in welchem, nachdem Etzels Bruder Vledel, Hagen dagegen Etzels Söhne im Trinksale erschlagen hatte, endlich alle Hunnen u. Burgunder blieben, bis auf Günther u. Hagen, welche Dietrich von Bern gefangen nahm u. sie Chriemhilden auslieferte. Ihrem Bruder Günther ließ Chriemhild, als schuldig an ihres Gatten Sigfrieds Mord, den Kopf abhauen, Hagen schlug sie denselben mit Sigfrieds Schwert Balmung, welches Hagen seit Sigfrieds Tod besessen hatte, selbst ab, worauf sie von Hildebrand, Dietrichs von Bern Waffenmeister, in Stücke zerhauen wurde.

Das Nibelungenlied war vom 13. bis zum 16. Jahrh. sehr verbreitet, wie die große Anzahl (24) der theils ganz, theils nur in Bruchstücken erhaltenen Handschriften bekundet. Da es nicht durch den Druck vervielfältigt wurde, war es im Laufe des 16. Jahrh. nur einigen Historikern bekannt, welche es als historische Quelle benutzten, u. gerieth im 17. Jahrh. vollständig in Vergessenheit. Erst durch Bodmer wurde es wieder bekannt, welcher unter dem Titel Chriemhilden Rache (Zürich 1751) das letzte Drittel des Gedichtes nebst der Klage u. Bruchstücken aus dem vorderen Theile herausgab. Das Ganze veröffentlichte erst Chr. H. Müller in seiner Sammlung deutscher Gedichte aus dem 12. bis 14. Jahrh. (Berl. 1784, 1. Theil), ohne jedoch viele Erfolge zu erzielen. Besser gelang dies im 19. Jahrhundert, als die Romantische Schule u.[872] der Druck der Fremdherrschaft das Gefühl für Deutschlands große Vorzeit wieder erweckte, von der Hagen, welcher das Nibelungenlied (Berl. 1810) herausgab u. auch zugleich wissenschaftlich einführte. Das wirkliche Verständniß u. die wahrhafte wissenschaftliche Behandlung des Gedichtes wurde jedoch erst durch die Arbeiten W. Grimms u. namentlich Lachmanns möglich. Letzter stellte zuerst in der Schrift: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichtes von der Nibelunge Not (Berl. 1816), dann in seiner kritischen Ausgabe des Gedichtes (ebd. 1826, 4. Aufl. 1859) u. den Anmerkungen zu den Nibelungen u. der Klage (ebd. 1836) die Ansicht auf, daß in den verschiedenen erhaltenen Handschriften eine dreifache Gestalt des Liedes vorliege: eine nach seiner Ansicht verhältnißmäßig älteste, welche um 1210 entstand u. in der zweiten Hohenemser (Münchener) Handschrift (A) vorliegt; eine erste erweiternde Bearbeitung in der St. Gallener Handschrift (B) u. eine zweite vor 1225 verfaßte, wiederum erweiterte Bearbeitung, welche in der ersten Hohenemser (später Laßberg'schen) Handschrift (C) vorliegt. Weiter suchte er zeigen, daß die Recension der Handschrift (A) aus verschiedenen Stücken von ungleichem Alter bestehe, u. schied 20 derselben als echte, alte, zum Theil noch dem 12. Jahrh. angehörige epische Lieder aus, die allmälig durch Fortsetzungen erweitert u. endlich von einem Sammler u. Ordner zu einem Ganzen vereinigt worden seien, indem er die etwa nöthigen Ausfüllungen u. Verbindungslieder hinzufügte. Jene 20 alten echten Lieder machte Lachmann nicht nur in seinen Ausgaben durch den Druck kenntlich, sondern ließ sie auch abgesondert in einer Prachtausgabe erscheinen (Berl. 1840). Unterdessen hatte auch v. Laßberg einen treuen Abdruck seiner Handschrift (C) besorgt (in seinem Liedersaal, Eppishausen 1821, Bd. 4), welcher von Schönhuth (Tüb. 1834, 2. Aufl. 1840) u. Leyser (mit Holzschnitten, Lpz. 1840) wiederholt wurde. Die Hypothese Lachmanns, zu welcher ihn in der Hauptsache die Ansichten Wolfs über die Entstehung der Homerischen Gesänge geführt haben mochten, erlangte fast allgemeine Geltung u. wußte dieselbe auch zu behaupten, bis Holtzmann mit seinen Untersuchungen über das Nibelungenlied (Stuttg. 1854), denen sich Zarncke (Zur Nibelungenfrage, Lpz. 1854) sofort anschloß, dieselbe erschütterte u. eine immer noch schwebende literarische Debatte über den Gegenstand hervorrief. Holtzmann verwirft die Ansicht von den 20 alten Liedern u. stellt dagegen die Behauptung auf, daß das Nibelungenlied von einem einzigen Dichter, wenn auch unter Benutzung älterer epischer Lieder, aus einem Guß verfaßt sei u. daß die Handschrift (C), welche die ausführlichste Gestalt des Liedes enthält, auch die ursprüngliche Form desselben sei. Während Müllenhoff (Zur Geschichte der Nibelunge Not, Braunschw. 1855) u. Rieger (Zur Kritik der Nibelungen, Gießen 1855) die Ansicht Lachmanns zu stützen u. aufrecht zu erhalten versuchten, schritten Holtzmann (Stuttg. 1857, Schulausgabe, ebd. 1858) u. Zarncke (Lpz. 1856) zu kritischen Ausgaben des Liedes nach ihren Ansichten, welche auch in jüngster Zeit an Fischer (Nibelungen od. Nibelungenlieder? Hannov. 1859) u. Anderer Unterstützung fanden; vgl. noch R. von Liliencron Über die Nibelungenhandschrift C, Weim. 1856. Wie die Form, so ist auch der Inhalt des Gedichtes Gegenstand eingehender Forschungen geworden. Obenan stehen hier wieder die Arbeiten von W. Grimm u. Lachmann. Während der Erstere (Über die deutsche Heldensage, Götting. 1829) den gesammten Sagenstoff übersichtlich zusammenfaßte u. beurtheilte, sonderte u. verfolgte der Letztere historisch entwickelnd, die einzelnen Bestandtheile des Gedichtes in seiner Kritik der Sage von den Nibelungen (im Rheinischen Museum 1830). Fördernd wirkten in dieser Richtung auch der dänische Alterthumsforscher P. E. Müller (Untersuchungen über die Geschichte u. das Verhältniß der nordischen u. deutschen Heldensage, deutsch von Lange, Frankf. 1832), ferner Wackernagel, Müllenhoff u. And., in neuester Zeit namentlich aber Raßmann (Die deutsche Heldensage, Hannov. 1857–59, Bd. 1, 2) u. Haas (Die N. in ihrer Beziehung zur Geschichte des Mittelalters, Erl. 1860); zahlreiche andere Schriften über den Ursprung, Inhalt u. den Verfasser des Nibelungenliedes, wie von von der Hagen (Berl. 1819), Göttling, Mone, Rückert, Spann, W. Müller etc. haben zu keinen haltbaren Ergebnissen geführt. Namentlich sind die Versuche, den eigentlichen Dichter zu ermitteln, vergeblich geblieben; die Vermuthungen, daß Heinrich von Ofterdingen, Wolfram von Eschenbach, Klingsor von Ungarland, ein Pfaffe Konrad, Walther von der Vogelweide od. gar Rudolf von Ems Verfasser des Gedichtes seien, sind nur theils grundlose, theils selbst widersinnige Einfälle. Jedoch ist die Annahme sehr wahrscheinlich, daß der Dichter od. Bearbeiter in Österreich, wo im Anfang des 13. Jahrh. die Volksdichtung bes. blühete, gelebt u. gedichtet habe.

Das Nibelungenlied selbst bewegt sich in einer vierzeiligen Strophe, der sogenannten Nibelungenstrophe, deren Verse arm aber rein im Reime u. äußerst streng in der Metrik sind. Jeder Vers, durch eine Cäsur getheilt, zeigt in seiner ersten Hälfte drei Hebungen mit klingendem, od. vier Hebungen mit stumpfem Ausgang u. in der zweiten Hälfte drei Hebungen mit jederzeit stumpfem Endreim; nur am Schlusse der Strophe war des volleren Austönens wegen die Hinzufügung einer vierten Hebung bald zur Regel. Vgl. Simrock, Über die Entstehung der Nibelungenstrophe, Bonn 1859. Unter den vielen neuhochdeutschen Übersetzungen des Nibelungenliedes steht die von Simrock (Berl. 1827 u.ö.) oben an; sonst sind noch die von Pfitzer (Stuttg. u. Tüb. 1842–43, mit Illustrationen von Schnorr u. Neureuther) u. Marbach (Lpz. 1860) zu nennen. Bacmeister bearbeitete das Nibelungenlied für die Jugend, Stuttg. 1858. In den Handschriften u. Ausgaben schließt sich an der Nibelunge Not noch ein zweites Gedicht desselben Sagenkreises an, welches den Titel: Die Klage (diu klage) führt u. in kurzen Neimpaaren abgefaßt ist. Es schildert die Bestattung der an Attila's Hofe Gefallenen u. die ihren Tod nach der Heimath berichtende Botschaft, jedoch so, daß Dietrich von Bern etwas in den Vordergrund tritt Die Klage ist zwar älter als das Nibelungenlied, steht ihm aber an poetischem Werthe sehr nach; der Verfasser ist ebenfalls unbekannt. Vielleicht benutzte er ein lateinisches Gedicht, welches auf Veranlassung des Bischofs Pilgrim von Passau (gest. 991) von einem gelehrten Geistlichen, Namens Konrad, verfaßt worden war. Vgl. Dümmler, Pilgrim von Passau u. das Erzbisthum Lorch (Lpz. 1854). Die Klage hat übrigens dieselben Überarbeitungen erfahren, wie der Nibelunge Not. Vgl. außer den obenerwähnten Ausgaben des Nibelungenliedes[873] noch Holtzmann, Die Klage in ihrer ältesten Gestalt, Stuttg. 1859.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 872-874.
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