Belgien

Belgien

[214] Belgien, das Königreich, nördl. von den Niederlanden, östl. von Preußen und dem niederländ. Theile Luxemburgs, südl. von Frankreich und westl. von der Nordsee begrenzt, hat seinen Namen von den Belgiern, einem Stamme der alten Gallier, welcher zur Römerzeit das Land zwischen der Marne, dem Rheine und der Seine bewohnte. Ein Theil seines Gebiets bildete bis 1795 die östr. Niederlande (s.d.), wurde dann durch die Franzosen zur batavischen Republik, zum Königreich Holland, endlich zu Frankreich geschlagen, 1815 aber vom wiener Congreß mit dem neugebildeten Königreiche der Niederlande vereinigt. Bald zeigte sich, daß die Neigungen und Interessen der verbundenen nördl. und südl. Provinzen, die Verschiedenheit der Sprachen und der Religion und andere Misverhältnisse, Unzufriedenheit vorzüglich in den südl. Landestheilen erregten, welche durch fanatische Geistliche fortwährend gesteigert, nach der franz. Juliusrevolution am 25. Aug. 1830 in Brüssel in völligen Aufruhr ausbrach, der sich mit reißender Schnelligkeit über ganz.B. verbreitete. Vergebens suchte der König der Niederlande durch die im Sept. ausgesprochene Trennung B.'s von Nordniederland und Verheißung einer eignen Regierung, den Sturm zu beschwören, nachdem der kurz vorher vom Prinzen der Niederlande, Friedrich, unternommene Angriff auf Brüssel gänzlich misglückt war. Es erfolgte von der errichteten provisorischen Regierung die Unabhängigkeitserklärung der empörten Provinzen sammt Luxemburg, welche der berufene belg. Nationalcongreß im Nov. 1830 bestätigte und für den neuen Staat eine monarchischrepräsentative Verfassung und die Ausschließung des Hauses Oranien proclamirte. Da die erfolgte Wahl eines franz. Prinzen zum König von B. nicht angenommen wurde, erwählte man am 24. Febr. 1831 den bisherigen Präsidenten des Congresses, Baron Surlet de Chokier, zum Regenten. Ein im März versammelter zweiter Nationalcongreß bot sodann dem Prinzen Leopold von Sachsen-Koburg die Krone an, der auch als Leopold I. (s.d.) am 21. Jul. 1831 den Thron bestieg, nachdem er die Constitution beschworen hatte. Gleich darauf griffen die Holländer die Belgier an, zerstreuten die schlecht bewaffneten und noch schlechter geführten Gegner, und hätten wahrscheinlich ganz.B. wieder erobert, wenn nicht eine franz. Armee dazwischen getreten wäre, welche dem 12tägigen Kampfe ein Ende machte. Die nun [214] in London über die niederländ. Angelegenheiten eröffneten Unterhandlungen führten zu keinem Einverständniß zwischen B. und dem König der Niederlande; B. nahm jedoch am 15. Nov. 1831 die in London als Grundlage eines Friedensvertrags zwischen den streitenden Parteien entworfenen 24 Artikel an, wodurch die Provinzen Südbrabant, Lüttich, Namur, Hennegau, Ost- und Westflandern, Antwerpen, und Theile von Limburg und Luxemburg, als zu B. gehörig anerkannt wurden. Da Holland diese Anordnung verwarf, so unternahmen es England und Frankreich, als Bürgen jenes Vertrags, B. mit Gewalt in Besitz des ihm zugesprochenen Gebiets zu setzen, wohin namentlich die Eroberung der von den Holländern noch immer besetzten Citadelle von Antwerpen (s.d.) durch ein franz. Heer gehört. Nach deren Übergabe am 24. Dec. 1832 verließ dasselbe B. wieder, allein die seitdem mit Holland fortgesetzten Unterhandlungen haben noch immer zu keinen beiden Theilen genügenden Resultaten geführt.

Grundgesetz des Staats ist die vom Nationalcongresse am 25. Febr. 1831 angenommene Verfassung, nach der B. ein nur im Mannsstamme erbliches constitutionnelles Königreich ist, dem die fünf großen Mächte eine ewige Neutralität zugesichert haben. Die gesetzgebende Macht und das Besteuerungsrecht üben der König und die beiden Kammern gemeinschaftlich, die vollziehende Gewalt aber der König allein aus, jedoch unter Verantwortlichkeit der Minister und ohne daß die Wirkung bestehender Gesetze im Mindesten beschränkt werden kann. Der König hat ferner das Begnadigungs- und das Münzrecht, ist oberster Befehlshaber der Land- und Seemacht, kann Krieg und Frieden beschließen und Verträge mit andern Staaten eingehen, die aber in den meisten Fällen der Genehmigung der Kammern unterliegen. Diese werden von allen Bürgern gewählt, welche nicht unter 20 und nicht über 1000 Gulden Steuern bezahlen. Um in die zweite oder die Kammer der Volksvertreter wählbar zu sein, muß man in B. wohnen, 25 Jahre alt und im Besitz der bürgerlichen und politischen Rechte sein; die Zahl der Abgeordneten wird so bestimmt, daß 1 auf 40,000 Landesbewohner kommt. Zur Wahl in die erste Kammer oder den Senat, welcher halb so viel Mitglieder als die zweite zählt, gehören ziemlich dieselben Eigenschaften, aber ein Alter von 40 Jahren und die Bezahlung von 1000 Gulden Steuern. Beide Kammern können vom König aufgelöst werden; außerdem sind die Volksvertreter auf vier, die Senatoren auf acht Jahre gewählt und erstere werden alle zwei, die andern alle vier Jahre zur Hälfte erneuert. Die Sitzungen der Kammern sind in der Regel öffentlich, können aber auf Antrag des Präsidenten oder von zehn Mitgliedern in geheime verwandelt werden. Die Landarmee sollte nach der letzten Bestimmung aus 59,000 M. Linientruppen und 58,000 M. Reserve bestehen; zur Seemacht ist durch Erbauung einiger Kanonenboote kaum ein Anfang gemacht.

B. ist reich an großen, schöngebauten Städten und herrlichen Dörfern und gehört zu den am stärksten bevölkerten Gegenden Europas. Es hat einen Flächenraum von ungefähr 545 ! M. und gegen 4 Mill. Einw., meist eifrige Katholiken, 20,000 Juden und 15,000 Protestanten. In beiden Flandern, Antwerpen und einem Theile von Südbrabant wird die der holländ. in den Hauptgrundzügen ähnliche flämische Sprache, im übrigen Brabant, in Hennegau, Namur, Lüttich, einem Theile von Limburg und Luxemburg das Wallonische, eine verdorbene franz. Mundart, in Limburg auch viel Holländisch und in Luxemburg untermischt Deutsch gesprochen; die Vornehmen bedienen sich jedoch meist der franz. Sprache. Der Boden ist im südöstl. Theile des Landes, welchen die Ardennen durchziehen, in denen noch Wölfe hausen, dem Ackerbau nicht günstig, dagegen in den übrigen Provinzen meist völlig eben und sehr fruchtbar, besonders in Flandern, Südbrabant und in den Poldern, wie die durch große Dämme vor Überschwemmung gesicherten Ländereien an den Flüssen in der Nähe ihrer Mündungen heißen. Der nördl. und östl. Theil der Provinz Antwerpen besteht jedoch aus einer großen, morastigen Haide, Campine genannt, und an der franz. Grenze in Westflandern liegt ein großes Moor. B. hat viele Teiche und Flüsse, unter welchen letztern die bis über Antwerpen für die größten Seeschiffe zugängliche Schelde, welche sich in zwei Hauptarme, der Westerschelde und Oosterschelde, in die Nordsee ergießt, und die Maas, welche nordöstl. durchs Land fließt, die wichtigsten sind. Außerdem sind die Hauptorte durch zahlreiche Kanäle verbunden, was man jetzt auch durch Eisenbahnen beabsichtigt, deren Bau von Brüssel aus begonnen hat. Von Landesproducten ist Holz in den Gebirgsgegenden reichlich vorhanden; vortreffliches Getreide, besonders Weizen, liefern Brabant und Flandern; außerdem werden Flachs, Hanf, Krapp, Rübsamen und Hopfen, sowie Feld- und Gartenfrüchte in Menge gebaut. Die Rindviehzucht steht in Flandern und Brabant auf einer hohen Stufe; Fische liefern die Flüsse und das Meer. Unter den Mineralien sind Eisen, Blei, Kupfer, Galmey, Schwefel, viele Steinkohlen die vorzüglichsten; neuerdings hat man auch Silberadern aufgefunden. Das vor 1830 blühende Fabrikwesen war durch die Zeitereignisse sehr gesunken, ist aber wieder im Steigen begriffen. Ausgezeichnet sind die Fabriken feiner Tuche und Wollenzeuche von Verviers, der Spitzen in Brüssel und Mecheln, sowie die Baumwollen-, Papier-, Leder-, Eisenwaaren- und die lütticher Gewehrfabriken. Wichtige Erwerbszweige sind ferner der Handel mit nachgedruckten franz. Büchern, die Zuckersiederei, Bierbrauerei, Branntweinbrennerei, die Schiffahrt und endlich überhaupt der außerordentlich wichtige Handel mit dem Auslande. Trotz dieser großen Gewerbsthätigkeit war die Zahl der Hülfsbedürftigen und Armen schon unter der niederländ. Regierung so groß, daß Bettlerdepots und Armencolonien angelegt werden mußten.

B. wird überhaupt in neun Provinzen eingetheilt, von denen jede ihren Gouverneur hat. In Brabant liegen die Haupt- und Residenzstadt Brüssel (s.d.), südl. und durch einen großen Buchenwald, den Sonjen Bosch, davon getrennt, die in der neuesten Kriegsgeschichte merkwürdigen Orte Mont St.-Jean, Belle Alliance und Waterloo (s.d.); ferner die alte Universitätsstadt Löwen (s.d.); Tirlemont oder Tienen am Geeteflusse, mit 8000 Einw., Wollenfabriken und vielen Ölmühlen; Diest mit 6000 Einw.; Nivelles mit 7000 Einw., Leinwand- und Batistfabriken; Hall mit 5000 Einw., die viele Holzwaaren verfertigen; der Flecken Wavre mit 4800 Einw., und in dessen Nähe der Meierhof Quatrebras, wo 1815 Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig fiel; die Dörfer Ligny, berühmt durch die Schlacht am 16. Jun. 1815 zwischen Preußen und Franzosen, und Neerwinden, wo am 18. März 1793 die Franzosen unter [215] Dümouriez durch die Östreicher und Preußen besiegt wurden. In der Provinz Antwerpen liegen Antwerpen (s.d.), die zweite Stadt des Königreichs; Mecheln mit 22.000 Einw., berühmten Spitzen- und Leinwandfabriken, einer 1834 gestifteten Universität, Malerakademie und merkwürdigen Kathedrale; Turnhout mit 11,000 Einw., Leinwandfabriken und Wachsbleichen; Liere mit 11,500 Einw. und Baumwollenfabriken; Heyst op den Berg mit 6000 Einw. und wichtigen Bierbrauereien; Boom mit 4000 Einw. und Salzraffinerien, und Hoogstraten in der Campine mit 1500 Einw. Ostflandern hat das feste Gent (s.d.) zur Hauptstadt; außerdem sind zu bemerken Lokeren mit 14,000 Einw.; St.-Nicolas mit 12,000, Hamme mit 8400, Aalst mit 13,000 Einw., an der Dender, auf welcher Seeschiffe bis an die Stadt kommen können; Wetteren mit 7400, Dendermonde mit 6000, die Festung Oudenaarde mit 6000 Einw., bei der Prinz Eugen von Savoyen 1708 die Franzosen besiegte; endlich die gewerbfleißigen Flecken Waerschott, Cruyshautem und Somerghem mit zahlreichen Leinwand-, Baumwollen-, Spitzenfabriken und lebhaftem Handel mit Getreide, Hanf und andern Artikeln. Westflandern hat zur Hauptstadt das durch Kanäle mit Gent, Ostende und dem Meere verbundene Brügge mit 36,000 Einw., zahlreichen Fabriken, Schiffswerften, einer Akademie der bildenden Künste und ausgebreitetem Handel; nächstdem sind die vorzüglichsten Orte Ypern mit 16,000 Einw., vielen Fabriken und berühmten Bleichen; die Hafenstadt und Festung Ostende mit 11,000 Einw., einer der Hauptüberfahrtspunkte nach und von England und ein wichtiger Handelsplatz; Courtray mit 16,000 Einw.; Meulebeke mit 8000 und Poperingen mit 10,000 Einw. Im Hennegau oder Hainaut ist die Festung Mons oder Bergen mit 21,000 Einw. die Hauptstadt; ferner sind zu bemerken die starke Festung Doornick, franz. Tournay, mit 25,000 Einw., großen Tapeten- und andern Fabriken; Ath oder Anth an der Dender mit 9000 Einw. und einem wichtigen Arsenale; Soignies mit 5000 Einw. und die in der ältern und neuern Kriegsgeschichte merkwürdigen Orte Fontenay, Fleurus und Jemappes. In der Provinz Namur liegen die gleichnamige Hauptstadt und Festung mit 18,000 Einw. und vielen Metallwaarenfabriken; St.-Dinant an der Maas mit 4000 Einw.; Andenne mit 2700 Einw. und Faiencefabriken. Merkwürdig sind die Tropfsteingrotten beim Dorfe Han sur Lesse, in die sich das Flüßchen Lesse stürzt und erst eine halbe Meile davon wieder zum Vorschein kommt. In Lüttich liegen die Hauptstadt Lüttich (s.d.); Verviers mit 11,000 Einw. und berühmten Tuchfabriken; Herstal an der Maas mit 5000 Einw., Fabriken von kurzen Waaren und historisch merkwürdig als Geburtsort Pipin's, des Vaters Karl des Großen; der berühmte Badeort Spaa mit 3500 Einw. und Huy mit 6000 Einw. In Limburg sind die Städte Hasselt an der Demer mit 6500 Einw.; Tongern mit 4000 Einw.; Saint-Tron mit 8000 Einw. und einer Gewehrfabrik; und im belg. Luxemburg die Orte Arlon mit 3500 Einw., Lederfabriken und Eisenwerken; Bouillon mit 2600 Einw., auf einem steilen Felsen an der Semoy, mit einem Schlosse, dem Stammhause des Kreuzfahrers Gottfried von Bouillon, und Bastogne mit 2300 Einw., das in der rauhesten Gegend der Ardennen liegt, zu bemerken.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 214-216.
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