Lope de Vega Carpĭo

[708] Lope de Vega Carpĭo, Felix, der genialste dramatische Dichter Spaniens, El Fenix de España, El Monstro de la Naturaleza benannt, geb. 25. Nov. 1562 in Madrid, gest. 21. Ang. 1635, aus altadligem galicischen Geschlecht, zeigte früh eine ungewöhnliche Begabung für die Dichtkunst und soll schon in seinem zwölften Jahre kleine Komödien geschrieben haben. Nachdem er seine erste Bildung auf dem Colegio imperial in Madrid erhalten hatte, machte er seine theologischen und philosophischen Studien auf den Universitäten Salamanca und Alcalá de Henares, an welch letzterer er den Grad eines Bakkalaureus erwarb. Nach vollendeten Studien trat er in die Dienste des Herzogs von Alba (Enkel des berühmten Feldherrn), für den er seinen Schäferroman »Arcadia« schrieb. Der unglückliche Ausgang eines Liebesverhältnisses veranlaßte ihn, Kriegsdienste zu nehmen. Er machte die Expedition gegen die Azoren (1582) mit. Nach seiner Rückkehr wurde er aus Gründen, über die es an sichern Nachrichten fehlt, ins Gefängnis gesetzt, entfloh aber aus demselben und nahm Dienste auf der Armada, die Philipp II. gegen England schickte. Nach dem Scheitern der Expedition nach Spanien zurückgekehrt, verheiratete sich V. mit einer Dame aus edlem Geschlecht, mußte aber bald nachher infolge eines unglücklichen Zweikampfes wieder seine Vaterstadt verlassen. Er begab sich nach Valencia, damals dem Sitz einer Schule bedeutender dramatischer Dichter, zu denen er in nähere Beziehung trat. Um diese Zeit begann seine Tätigkeit für die Bühne. 1595 erhielt er die Erlaubnis, nach Madrid zurückzukehren, verlor bald nachher seine Gattin durch den Tod und trat hierauf als Sekretär in die Dienste des Marques de Malpica, später in die des Grafen von Lemos, mit dem er einen Teil von Italien bereiste. Nach seiner Heimkehr verließ er diese Stellung, um sich zum zweitenmal zu verheiraten, und lebte nun eine Reihe von Jahren ganz seiner literarischen Tätigkeit. Durch den Tod der Gattin und eines Kindes (1607) tief gebeugt, ließ er sich zum Priester weihen und trat 1611 in die Orden tercera de San Francisco. Sein Dichterruhm stieg schnell; bald beherrschte er die spanische Bühne; die Nation bewunderte ihn; vom Hofe wurde er mit Ehrenbezeigungen überhäuft. Nachdem die Inquisition ihn durch die Ernennung zu ihrem Familiar ausgezeichnet hatte, wurde er 1618 apostolischer Protonotar beim Erzbistum Toledo und von Urban VIII. 1628 zum Ritter des Johanniterordens ernannt.

L. ist der fruchtbarste Dichter aller Zeiten. Man hat von ihm zwei Epopöen: »Angelica« und »La Jerusalén conquistada«; fünf mythologische Gedichte: »Circe«, »Andromeda«, »Philomela«, »Orfeo« und »Proserpina«; größere historische Gedichte: »San Isidro«, »La Dragontea« und »La virgen de la Almudena«; ein meisterhaftes komisches Heldengedicht unter dem Namen Tomé de Burguillos: »La Gatomaquia« (neue Einzelausg. 1878); mehrere beschreibende und didaktische Gedichte; eine Unzahl von Sonetten, Romanzen, Oden, Elegien, Episteln etc., mehrere Romane, teils in Prosa, wie der »Peregrinoen su patria« (Neuausgabe 1881 u. 1887), teils in Versen und Prosa, wie das Lieblingswerk seiner Jugend und seines Alters, die »Dorotea« (1887); den religiösen Schäferroman »Los pastores de Belen« und die »Arcadia« sowie acht Novellen in Prosa (Neuausg. 1881 u. 1887). Diese verschiedenen Werke gab Cerda y Rico u. d. T.: »Coleccion de las obras sueltas de L.« (Madr. 1776–79, 21 Bde.) heraus. Eine Auswahl u. d. T.: »Obras no dramáticas de L.« bildet den 38. Band der »Biblioteca de Autores Españoles«. So groß die Anzahl dieser vermischten Werke ist, so beruht Lopes dichterischer Ruhm doch auf seinen dramatischen Werken. Er hat über 1500 Komödien geschrieben, von denen mehr als 500 noch vorhanden sind; davon 340 in der großen[708] Sammlung seiner »Comedias« (Madr. 1604–47, 28 Bde.). Eine Auswahl der besten veranstaltete Hartzenbusch: »Obras dramáticas escogidas de L.« (Madr. 1853–60, Bd. 24, 34,41 u. 52 der genannten Bibliothek). Einige bisher ungedruckte erschienen als »Comedias inéditas de L.« (Madr. 1873, Bd. 1). Andre existieren bloß noch in Einzeldrucken; wieder andre handschriftlich. Dazu kommen noch eine große Anzahl Autos, Loas und Entremeses, die in verschiedenen Sammlungen zerstreut sind. Eine Ausgabe der Gesamtwerke mit vielen ungedruckten Dramen, Biographie von C. A. de la Barrera und wertvollen Exkursen von Menéndez Pelayo veröffentlicht die spanische AkademieObras de L.« bis 1902: 11 Bde.). Seine theoretische »Arte nuevo de hazer comedias« gab Morel-Fatio heraus (Bordeaux 1901).

L. ist der eigentliche Begründer des spanischen Nationaldramas. Stoff, Behandlungsweise und Form seiner Stücke sind durchaus national. Indem er den Geschmack des Publikums zu seiner Richtschnur nahm, wußte er (selbst durch und durch Südländer und begabt mit einer fast unerschöpflichen Erfindungsgabe) Sitten und Gewohnheiten, Denkungsart und Charaktereigentümlichkeiten seines Volkes in größter Naturwahrheit poetisch zu gestalten und die dramatische Handlung zugleich in die dem Volksgefühl am meisten zusagende äußere Form zu bringen, wobei ihm seine beispiellose Gewalt über die Sprache und Gewandtheit in der Versifikation zu statten kamen. Bei seiner außerordentlichen Produktivität erscheint die Zahl vortrefflicher Stücke, die er geliefert, neben den mittelmäßigen und schwachen noch immer sehr groß. Alle Stilarten des Dramas sind darunter vertreten. Am besten gelang ihm das Intrigenstück, die sogen. Comedia de capa y espada. Schwer ist es, ein einzelnes Meisterwerk namhaft zu machen. Vielleicht ist es der »Alcalde de Zalamea«, von dem wir eine gute Einzelausgabe besitzen (von Krenkel, Leipz. 1878), und das in Halm-Forsterscher Übersetzung als »König und Bauer« auch auf deutschen Bühnen gern gesehen wird. Andre deutsche Übersetzungen einzelner Stücke hat man von Soden (Leipz. 1820), Malsburg (Dresd. 1824), Dohrn (Hamb. 1844), Schack (Frankf. 1845), M. Rapp (in dem »Spanischen Theater«, Bd. 3 u. 4, Hildburghausen 1869), Lorinser (Regensb. 1877), Seubert (Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 727). Analysen von 24 seiner Stücke gab Enk in seinen »Studien über L.« (Wien 1839), eine Übersetzung seiner Romane und Novellen Richard (Aach. 1824–1827, 6 Bde.). Vgl. Montalvan, Fama postuma á la vida y muerte de L. (Madr. 1836); Holland, Some account on the life and writings of L. and G. de Castro (Lond. 1817); L. Quesnel, L., sa vie et ses derniers amours (1881); Lafond, Essai sur la vie et les œuvres de L. (Par. 1857); Damas Hinard, Notice sur L. (in seiner Übersetzung ausgewählter Stücke; neue Ausg., das. 1881); Dorer, Die Lope de Vega-Literatur in Deutschland (Dresd. 1885); Hennigs, Studien zu L., Klassifikation seiner Comedias (Götting. 1891); die Biographie von Barrera im 1. Bd. der obengenannten Gesamtausgabe; »Ultimos amores de L.« (Madr. 1876); Perez Pastor, Proceso de L. und Datos desconocidos (1901); Rennert, Life of L. de V. (Lond. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 708-709.
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