Landwirtschaftliche Versuchsstationen

[156] Landwirtschaftliche Versuchsstationen, Anstalten, die dazu bestimmt sind, auf die Landwirtschaft bezügliche Fragen wissenschaftlich zu bearbeiten und die praktischen Landwirte wissenschaftlich zu beraten. Die erste wurde auf Anregung von Ad. Stöckhardt, Th. Reuning u.a. 1851 zu Möckern bei Leipzig errichtet (vgl. die »Festschrift zum 50jährigen Jubiläum«, Berl. 1902). Heute bestehen im Deutschen Reiche 78, in Österreich-Ungarn 38. Erstere vereinigten sich 1888 in Weimar zum Verband landwirtschaftlicher Versuchsstationen im Deutschen Reiche; 9 Stationen traten 1901 aus dem Verband und bildeten die Vereinigung deutscher landwirtschaftlicher Versuchsstationen. Die wissenschaftliche Aufgabe der Versuchsstationen des Deutschen Reiches bezieht sich gegenwärtig auf: Pflanzenphysiologie (einschließlich Bodenkunde, Düngungsversuche, Bakteriologie, Pflanzenschutz etc.), worin 38 Versuchsstationen betätigt sind, auf Tierphysiologie (15 Stationen), Weinbau (5), Milchwirtschaft (4), Brauerei (3), Rübenzuckerindustrie (3), Spiritusfabrikation (2), Obstbau (2), Moorkultur (1); außerdem wirkt als Reichsanstalt die Biologische Abteilung für Land- und Forstwirtschaft am kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin mit 4 Unterabteilungen: Agrikulturchemie, Pflanzenkrankheiten, Zoologie und Bakteriologie. Die Kontrolltätigkeit der Versuchsstationen umfaßt: Dungmittel (27 Stationen), Futter- und Genußmittel (28), Saatwaren (32). Manche Versuchsstationen bearbeiten vermöge ihrer Organisation und Arbeitskräfte gleichzeitig verschiedene Gebiete des Landwirtschaftsbetriebes, andre sind für besondere Zwecke gegründet. Einzelne dienen zugleich Lehrzwecken. Die Unterhaltung der Versuchsstationen geschieht teils durch den Staat oder landwirtschaftliche Korporationen, teils durch eigne Einnahmen (Kontrolltätigkeit, Honoraranalysen). Die größten haben ein Jahresbudget von 60,000–80,000 Mk. Deutschland besaß 1904 folgende Stationen: Arendsee (Kontrollstation 1865), Augustenberg (Gründungsjahr 1901), Augsburg (1865), Berlin (für Gärungsgewerbe; Versuchskornhaus und Versuchsanstalt des Verbandes deutscher Müller, 1899), Bergburg (1882), Bonn (1856), Braunschweig (1862), Bremen (1877), Bremervörde (Kontrollstation 1876), Breslau (drei Stationen, 1856, 1869 und 1875), Dahme (1857), Danzig (1877), Darmstadt (1871), Döbeln (1872), Dresden (1890), Ebstorf (1871), Eldena (1878), Geisenheim (1872, für Obst- und Weinbau), Göttingen (1857, Kontrollstation 1874), Halle (1863, für Tierphysiologie 1867, für Pflanzenkrankheiten 1891), Hameln (Milchwirtschaft 1893), Hildesheim (1870), Hohenheim (1865, Kontrollstation 1874), Insterburg (1858), Jena (1883), Kaiserslautern (1894), Karlsruhe (1859, für Pflanzenphysiologie 1872), Kempen (1883), Kiel (Molkereiwesen 1856, Nahrungsmittel 1893, Landwirtschaft 1871, Kontrollstation 1883), Kleinhof-Tapiau (für Molkerei 1887), Kolmar (1896), Königsberg i. Pr. (1875, für Milchwirtschaft 1887), Köslin (1863), Köthen (1864), Magdeburg (1889), Marburg (1882), Möckern (1851), München (1858), Münster (1871), Oldenburg (1876), Pommritz (1864), Poppelsdorf (1856), Posen (1877), Proskau (2 Stationen, 1873 u. 1878), Rastatt (1875), Rufach (1874), Rostock (1875), Speyer (1860), Tharandt (1869), Triesdorf (1874), Weihenstephan, Weinsberg (1888, für Weinbau), Wiesbaden (1881), Würzburg (1877). Außerdem bestehen Prüfungsstationen für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte, z. B. in Halle, Dresden, Hohenheim. Deutsch-Ostafrika besitzt in Ost-Usambara das Biologisch-Landwirtschaftliche Institut in Amani für Untersuchung der Lebensbedingungen und Wachstumsverhältnisse tropischer Kulturpflanzen nach den für die Praxis maßgebenden Gesichtspunkten; Erforschung und Bekämpfung der von pflanzlichen und tierischen Organismen verursachten Krankheiten der Kulturgewächse; Feststellung geeigneter Düngungsmethoden, Untersuchungen von Rohstoffen und Produkten des Tier- und Pflanzenreichs; Erforschung der Flora und Fauna von Deutsch-Ostafrika. – In Österreich-Ungarn: Wien (3), Mariabrunn, Graz, Otterbach, Dublany, Lemberg, St. Michele, Tabor, Prerau, Kaaden, Lobositz, Trautenau, Chrudim, Raudnitz, Jungbunzlau, Pilsen, Leitmeritz, Prag (2), Tetschen-Liebwerd, Oberhermsdorf, Troppau, Neutitschein, Brünn, Feldkirch, Marburg, Klagenfurt. Laibach, Görz, Feldsberg, Parenzo, Spalato, Budapest, Kasha, Magyar Ovár (3), Debreczin, Keszthely, Leutschau, Posony, Koloszvár, Fiume etc. – L. V. finden sich in allen Kulturländern, Frankreich besitzt 58, Belgien 12, Holland 6, Großbritannien 12, Italien 19, Schweden 22, Norwegen 6, Dänemark 12, Rußland 42, Japan 12 etc. – Die unter dem Department of agriculture stehenden 54 nordamerikanischen Experiment Stations, mit einem Beamtenstand von rund 660 Beamten, erteilen den Farmern und Gärtnern des betreffenden Staates unentgeltlich Rat. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Versuche im Bereiche des Ackerbaues, der Viehzucht, des Gartenbaues und der Bekämpfung von Krankheiten und Schädlingen der Kulturpflanzen werden kostenlos den Interessenten mitgeteilt. 16 derartige Bulletins mit zusammen 552 Druckseiten verteilt z. B. die Experiment Station[156] in Geneva (N. Y.) in je 33,000 Exemplaren gratis. Die letzten Arbeiten aller Stationen werden in monatlichen Records in 54,000 Exemplaren gedruckt. Das vom Agricultural-Department ausgegebene »Yearbook« wird in 1/2 Mill. Exemplaren gratis verteilt. Das Agricultural-Department mit seinen sämtlichen Experiment Stations und dem Wetterbureau kostete dem amerikanischen Staate 1899: 3,549,702 Doll., davon das Wetterbureau allein 1,015,502 Doll., die Experiment Stations 720,000 Doll. Letztere bezogen außerdem aus andern Hilfsquellen noch im ganzen 40,000 Doll. – Vgl. die Zeitschrift »Die landwirtschaftlichen Versuchsstationen« (hrsg. von Nobbe, von 1905 an von O. Kellner, Dresd. 1858 ff., jetzt Berl.); die »Mitteilungen der Vereinigung deutscher landwirtschaftlicher Versuchsstationen« (Berl., seit 1903); »Arbeiten aus der Biologischen Abteilung für Land- und Forstwirtschaft«; »Zeitschrift für das landwirtschaftliche Versuchswesen in Österreich« (Wien, seit 1898); Kühn u. Nobbe, Entwickelung und Tätigkeit der land- und forstwirtschaftlichen Versuchsstationen (Festschrift, Berl. 1877); die Berichte über das landwirtschaftliche Versuchswesen und die Tätigkeit der landwirtschaftlichen Versuchsstationen in Preußen in den Ergänzungsbänden zu Thiels »Landwirtschaftlichen Jahrbüchern« (zuletzt für 1900 von Immendorff, das. 1903); Sierig, Das landwirtschaftliche Versuchswesen in Deutschland (das. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 156-157.
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