Dionysios [2]

[26] Dionysios, 1) D. I., der ältere, Tyrann von Syrakus, geb. 431 v. Chr. Von niederer Herkunft, aber ein tapferer Soldat, erreichte er durch Verdächtigungen der im Felde stehenden Feldherren, daß diese abgesetzt wurden und er an ihrer Stelle nach Gela zum Schutz dieser Stadt gegen Karthago geschickt wurde. Hier aber stürzte er die Oligarchen und gewann mit deren Gelde die Söldner für sich, bemächtigte sich dann in Syrakus der Burg auf der Insel Ortygia (406) und herrschte nun, gestützt auf die Söldner und auf die Hermokratische Partei, die er durch Zurückberufung aller Flüchtlinge und Verbannten verstärkte, als Tyrann mit unbeschränkter Machtvollkommenheit über die Stadt. Seine Herrschgelüste gingen über Syrakus hinaus, zunächst auf die Vertreibung der Karthager von der Insel. Aufstände in der Stadt und im Heere, die indes immer mit einer Festigung seiner Tyrannis endeten, hinderten ihn vielfach in der Führung dieses Krieges, endlich schloß er mit diesen Feinden 383 einen Frieden, in dem er ihnen Sizilien westlich vom Halykos überließ. Schon vorher aber hatte er auch nach Italien seine Macht auszudehnen begonnen; er eroberte Kroton und Rhegium, plünderte im Bunde mit den Galliern zahlreiche Städte in Etrurien und gründete am Adriatischen Meer mehrere Militärkolonien. Sogar in Griechenland suchte er Einfluß zu gewinnen, indem er die Spartaner gegen Theben und Athen mit Schiffen und Söldnern unterstützte und 384 eine prächtige Festgesandtschaft zu den Olympischen Spielen schickte. Er starb 367, nachdem er ein Jahr vorher nochmals einen Krieg mit Karthago begonnen hatte, nach einer Nachricht an den Folgen eines Trinkgelages, nach einer andern an Gift, das ihm sein Sohn beigebracht hatte. D. war tapfer, kühn und mäßig in sinnlichen Genüssen und edler Regungen fähig, ein Freund der edlen Künste und Wissenschaften; aber über alles ging seine Herrschsucht, und in seiner Großmachtspolitik kannte er keine Rücksicht. Um sich zu bereichern und sich die Mittel zur Bezahlung seiner Söldner zu verschaffen, ermordete oder verbannte er seine politischen Gegner und verteilte den Grundbesitz unter seine Freunde und das Volk, so daß der Charakter der Bevölkerung von Syrakus sich unter ihm völlig änderte. Zur Ruhe und Befriedigung ließ ihn freilich die Erinnerung an seine Gewalttaten und Grausamkeiten nicht kommen. Vgl. Martini, Die Politik des ältern D. (Koblenz 1890). Ein unbedachtes Wort brachte seine vertrautesten Genossen in Gefahr: er verb annte seinen Freund Philistos, ließ den Dichter Philoxenos wegen eines ungünstigen Urteils über seine Gedichte in die Steinbrüche werfen und den Philosophen Platon, durch dessen Freimut beleidigt, als Sklaven verkaufen. Über seine Furcht vor Nachstellungen, seine Mittel, sich davor zu schützen (»Ohr des D.«). und sein Bewußtsein von der Jämmerlichkeit eines solchen mißtrauischen, in steter Furcht schwebenden Lebens (Schwert des Damokles) erzählen die Alten viele Anekdoten.

2) D. II., Sohn des vorigen und der Lokrerin Doris, war talentvoll und höherer Regungen fähig, hatte sich aber früh gewöhnt, der Genußsucht zu frönen und allen Launen nachzugeben. Zwar suchte ihm nach seinem Regierungsantritt 367 v. Chr. sein Schwager Dion für wissenschaftliche Studien Interesse einzuflößen, was ihm besonders durch die Berufung Platons gelang. Bald aber erhielten Philistos und Aristippos, Männer von unedler Denkart, Einfluß auf den jungen Herrscher; Dion wurde 366 verbannt, und Platon verließ 365 Sizilien wieder und hatte auch bei einem zweiten Besuch (361–360) auf des D. Drängen keinen Erfolg. Nach außen wurde D. vom Glück begünstigt, er beendete einen Krieg gegen die Lukaner mit einem für ihn vorteilhaften Frieden, befestigte hierauf mehrere Punkte am Adriatischen Meer und besiegte die illyrischen Seeräuber. Aber in Syrakus verlor er durch seine Schwelgerei und seinen Despotismus die Volksgunst und wurde 357 von Dion vertrieben, worauf er in Lokroi Epizephyrioi, der Heimat seiner Mutter, Zuflucht suchte. Der Tod des Dion (s. d.) und die darauf in Syrakus ausgebrochenen Unruhen veranlaßten ihn, nach zehnjährigem Exil 346 den Versuch zu machen, sich der Stadt zu bemächtigen; er gelang, aber die unerhörte Strenge, mit welcher er nun verfuhr, trieb viele Bürger zur Flucht, und als diese unter Timoleon von Korinth 343 zurückkehrten und in Sizilien starken Anhang fanden, mußte D. sich und seine Schätze dem Timoleon ausliefern. Den Rest seines Lebens verbrachte er in Korinth, wo er, seinem Hang zu einem verschwenderischen, unordentlichen Leben weiter frönend, zuletzt teils durch Betteln, teils durch den Unterricht der Kinder sein Leben gefristet haben soll.

3) D. der Periëgēt, griech. Geograph, aus Alexandria, verfaßte unter Hadrian in Hexametern eine Beschreibung der Hauptmeere, Küstenländer und Inseln der damals bekannten WeltPeriegesis«). Das trefflich angelegte und durch Reinheit der Sprache ausgezeichnete Gedicht wurde später als Schulbuch gebraucht und häufig (besonders von Eustathios) kommentiert, auch von Avienus und Priscian ins Lateinische übertragen (hrsg. in Müllers »Geographi graeci minores«, Bd. 2).

4) D. Thrax (der »Thraker«), griech. Grammatiker um 100 v. Chr., Aristarchs Schüler, verfaßte die älteste griechische Elementargrammatik (»Techne grammatike«), gewissermaßen die Grundlage aller europäischen Grammatiken. Hauptausgabe ist von Uhlig herausgegeben (Leipz. 1883).

5) D. aus Halikarnassos, griech. Rhetor und Geschichtschreiber, lebte seit 30 v. Chr. 22 Jahre in Rom als Lehrer der Rhetorik und war mit dem Studium der römischen Geschichte beschäftigt. Die Frucht desselben war die 8 v. Chr. vollendete »Römische Archäologie«, eine Geschichte Roms von den mythischen Zeiten bis zum ersten Punischen Kriege (264) in 20 Büchern, von denen nur die 11 ersten Bücher (bis 443) ziemlich vollständig, im übrigen Exzerpte erhalten sind (hrsg. von Kießling, Leipz. 1860–70,-t Bde.; Kießling und Prou, Par. 1886; Jacoby, Leipz. 1885 bis 1891, 3 Bde.; übersetzt von Schaller und Christian, Stuttg. 1827–50, 12 Bdchn.). Sie ist hauptsächlich für Griechen bestimmt, um ihnen eine richtigere und günstigere Meinung über das römische Volk und die Entstehung seiner Macht durch Darlegung der Weisheit und Tüchtigkeit ihrer Begründer zu verschaffen und so die Unterordnung unter das römische Joch zu erleichtern, und beruht auf gründlichen Quellenstudien, weshalb sie trotz mancher Mangel und der rhetorischen Haltung von nicht geringem Wert ist, zumal sie neben Livius die einzige zusammenhängende Darstellung der ältesten römischen Geschichte bildet. In seinen rhetorischen Schriften (hrsg. von Usener und Radermacher, Leipz. 1889 ff.) zeigt sich D. als Vorkämpfer des guten Geschmacks des Attizismus im Gegensatz zu dem Schwulst der asianischen Beredsamkeit und als ebenso belesenen wie feinsinnigen Mann. Es sind teils Abhandlungen über einzelne Teile der Rhetorik. »De compositione verborum«, eine vortreffliche[26] Schrift über die Zusammenfügung der Worte zur Hervorbringung eines dem Ohr angenehmen Eindrucks und die Modifikationen der dabei zu beachtenden Regeln nach den verschiedenen Stilarten (hrsg. von Schäfer, Leipz. 1808; Göller, Jena 1815), und »De imitatione«, über die nachzuahmenden Musterschriftsteller, nur in Bruchstücken und teilweise im Auszug erhalten (hrsg. von Usener, Bonn 1889; die seinen Namen mit Unrecht tragende »Ars rhetorica« ist eine Sammlung von vier auf die rhetorische Theorie bezüglichen Aufsätzen, hrsg. von Schott, Leipz. 1804). Andre sind kritisch-ästhetischer Art: »De antiquis oratoribus«, eine Charakteristik der bedeutendsten attischen Redner, von der jedoch nur Lysias, Isokrates und Isäos und als Nachtrag Deinarchos erhalten sind; »De admirabili vi dicendi in Demosthene«, ergänzt durch zwei Briefe an seine Freunde Pompejus und Ammäos (hrsg. von Herwerden, Groningen 1861, und Usener, s. oben); »De Thucydidis charactere«, eine eingehende, aber nicht ganz gerechte Charakteristik des Thukydides, ergänzt durch den Brief an Pompejus und einen zweiten an Ammäos (mit diesen hrsg. von Krüger, »Historiographica«, Halle 1823; Ausgabe der 3 Briefe von Rhys Roberts, Cambridge 1901). Gesamtausgabe von Reiske (Leipz. 1774–76, 6 Bde.).

6) D. Areopagita, Beisitzer des Areopaggerichts zu Athen, wird Apostelgesch. 17,34 genannt, als er vom Apostel Paulus zu Athen für das Christentum gewonnen wurde, und soll nach der Überlieferung als Bischof zu Athen hingerichtet worden sein. Der heil. D. von Paris, der nach seiner Enthauptung mit dem Kopf in der Hand noch bis zu dem nach ihm genannten St.-Denis gegangen sein soll und am 9. Okt. in Frankreich verehrt wird, ist eine ganz andre Person und gehört wahrscheinlich dem 3. Jahrh. an. Berühmt wurde der Name des D. durch eine Anzahl ihm zugeschriebener Schriften, die dem Gebiet der theosophischen Mystik angehören und wahrscheinlich um 500 im palästinensischen Syrien entstanden sind. Sie stellen eine durchgängige Versetzung der christlichen Dogmatik mit neuplatonischer Spekulation dar und leiten die vollkommene Gnosis, die sie versprechen, unmittelbar ab aus der angeblichen Erfahrung einer im Innern sich vollziehenden realen und übernatürlichen Einigung mit der »überwesentlich übererhabenen Übergottheit«. Durch Joh. Scotus Erigena, der ihnen vieles entlehnte, wurden sie ins Lateinische übersetzt. Ihre Unechtheit wies zuerst Laurentius Valla nach. Ausgabe von Balthasar Corderius (Antwerpen 1634, 1644 u. ö., 2 Tle.); deutsche Übersetzung von Engelhardt (Sulzb. 1823, 2 Tle.). Vgl. Hipler, D., der Areopagite (Regensb. 1861); Stiglmayr, Das Aufkommen der Pseudo-dionysischen Schriften (Feldkirch 1895); Koch, Pseudo-Dionysius Areopagita in seinen Beziehungen zum Neuplatonismus und Mysterienwesen (Mainz 1900).

7) D. von Alexandria, der Große, einer der bedeutendsten Schüler des Origenes, seit 232 Vorsteher der Katechetenschule zu Alexandria, seit 247 Bischof daselbst, wurde in den Christenverfolgungen unter Decius Valerian mehrmals verbannt und starb 265. Er bekämpfte die Chiliasten und sprach die Apokalypse dem Apostel Johannes ab. Vgl. Dittrich, D. der Große von Alexandria (Freiburg 1867); Försterin der »Zeitschrift für historische Theologie«, 1871; P. Morize, Denys d'Alexandrie (Par. 1881).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 26-27.
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