Lindau [2]

[563] Lindau, 1) Rudolf, Diplomat und Schriftsteller, geb. 10. Okt. 1829 in Gardelegen, ging 1860 in diplomatischer Mission der Schweiz nach Japan, um[563] den Handelsvertrag zwischen beiden Ländern vorzubereiten, und wurde nach Abschluß desselben zum Generalkonsul ernannt, verweilte längere Zeit in China, Kotschinchina und Amerika und kehrte erst 1870, kurz vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges, nach Europa zurück. Er machte den Krieg in dem Generalkommando der Garde als Sekretär des Prinzen August von Württemberg und Berichterstatter des »Staatsanzeigers« mit und wurde nach dem Frieden der deutschen Botschaft in Paris attachiert, 1878 aber in die politische Abteilung des Auswärtigen Amtes nach Berlin berufen und 1880 zum Wirklichen Legationsrat, 1885 zum Geheimen Legationsrat befördert, 1891 als Vertreter des Deutschen Reiches bei der Verwaltung der türkischen Staatsschuld nach Konstantinopel versetzt; jetzt lebt er als Wirklicher Geheimer Legationsrat zumeist auf Helgoland. Von Lindaus Schriften sind hervorzuheben: »Voyage autour du Japon« (2. Aufl., Par. 1865); »The Philosophers Pendulum«, Novellen (Edinb. 1888); »Die preußische Garde im Feldzug 1870/71« (Berl. 1872); »Erzählungen und Novellen« (das. 1873, 2 Bde.); der Roman »Robert Ashton« (Stuttg. 1877), »Vier Novellen und Erzählungen« (das. 1878), die Novellen: »Liquidiert« (das. 1877), »Schiffbruch« (das. 1877) und »Gordon Baldwin« (Berl. 1878); die Romane: »Gute Gesellschaft« (Bresl. 1879, 2 Bde.) und »Der Gast« (das. 1883); die Erzählungen: »Die kleine Welt« (Berl. 1880, neue Ausg. 1894), »Wintertage« (Bresl. 1883), »Auf der Fahrt« (Berl 1886), »Der lange Holländer« (das. 1889); die Romane: »Zwei Seelen« (Stuttg. 1888), »Martha« (das. 1892), »Liebesheiraten« (Berl. 1894, 3. Aufl. 1899), »Der Fanar und Mayfair« (das. 1898), »Ein unglückliches Volk« (das. 1903, 2 Bde.); »Der Flirt«, Novellen (das. 1894), »Sch weigen«, Novellen (das. 1895), »Erzählungen eines Effendi« (das. 1896), »Türkische Geschichten« (das. 1897), »Alte Geschichten« (das. 1904); ferner die Reiseerinnerungen »Aus China und Japan« (das. 1896) und »Zwei Reisen in der Türkei« (das. 1899). Seine »Gesammelten Romane und Novellen« erschienen 1893 zu Berlin in 6 Bänden. Die Erzählungen Lindaus spiegeln das Leben dieses vielgereisten Mannes wider, indem sie die Sitten fast aller Kulturländer, Frankreichs, Englands, Amerikas und nicht am wenigsten Deutschlands, scharf und kenntnisreich darstellen. Die originellsten und anziehendsten seiner Novellen: »Reisegefährten« (neue Ausg. 1894), »Der lange Holländer«, schildern das Leben der europäischen Kolonisten in Japan und Ostasien. L. fühlt sich wesentlich als Schüler Turgenjews, und in seiner weltmännisch skeptischen Lebensauffassung mit der vorwaltenden Neigung zu ernsten Erzählungen hat er manchen Zug mit dem großen russischen Elegiker gemein. Seiner Prosa merkt man die französische Schulung an. Einzelne der Erzählungen (»Die kleine Welt«) sind vollendete Kunstwerke. Vgl. Erich Schmidt, Charakteristiken, 2. Reihe, S. 304 ff. (Berl. 1901). – Sein Bruder Richard L., geb. 7. Mai 1831 in Genthin, widmete sich gleichfalls der diplomatischen Laufbahn, war Konsul des Norddeutschen Bundes zu Nagasaki in Japan, machte dann große Reisen in der Südsee, wurde 1874 Konsul in Marseille, beim Ausbruch der karlistischen Umtriebe nach Bayonne delegiert, 1876 Konsul und war 1881–1900 Generalkonsul in Barcelona.

2) Paul, Schriftsteller, Bruder des vorigen, geb. 3. Juni 1839 in Magdeburg, besuchte dort das Gymnasium zum Kloster Unsrer Lieben Frauen und später die lateinische Schule in Halle, studierte daselbst und in Berlin und beschloß sehr früh, sich der literarischen Laufbahn zuzuwenden. Seine Vorstudien dafür machte er bei einem mehrjährigen Aufenthalt in Paris, von wo er für deutsche Zeitungen korrespondierte. 1863 nach Deutschland zurückgekehrt, übernahm er die Redaktion der »Düsseldorfer Zeitung« und wurde Anfang 1866 Chefredakteur der »Elberfelder Zeitung«, die er bis zum Herbst 1869 leitete. Der heinisierenden Sommerreise »Aus Venetien« (Düsseld. 1864) und einem Skizzenbuch: »Aus Paris. Beiträge zur Charakteristik des gegenwärtigen Frankreich« (Stuttg. 1865), ließ er die »Harmlosen Briefe eines deutschen Kleinstädters« (Leipz. 1870, 2 Bde.; 2. Aufl., Bresl. 1879), »Moderne Märchen für große Kinder« (Leipz. 1870) und die »Literarischen Rücksichtslosigkeiten« (1.–3. Aufl., das. 1871) folgen, Schriften, deren boshafter und unterhaltender Witz der Zeit gefiel. Ernstere wissenschaftliche Tendenzen verfolgte L. in den Schriften »Molière« (Leipz. 1871) und »Alfred de Musset« (Berl. 1877). Nachdem er 1869 in Leipzig »Das Neue Blatt« begründet und bis 1871 redigiert hatte, siedelte er Mitte dieses Jahres dauernd nach Berlin über und rief hier die Wochenschrift »Die Gegenwart« ins Leben, die er bis zum Herbst 1881 geschickt leitete; 1878 begründete er außerdem die bis 1904 von ihm herausgegebene Monatsschrift »Nord und Süd«. Daneben widmete sich L. vorzugsweise dramatischen Arbeiten. 1891 siedelte er nach Strehlen bei Dresden über, 1895 wurde er zum Intendanten des Hoftheaters in Meiningen ernannt, legte dies Amt 1899 nieder und kehrte nach Berlin zurück, wo er erst das Berliner Theater, dann bis 1905 das Deutsche Theater leitete. Mit dem Schauspiel »Marion« hatte er 1868 seine dramatische Laufbahn begonnen; rasch nacheinander folgten das Lustspiel »In diplomatischer Sendung« (1872), die Schauspiele: »Maria und Magdalena« (1872) und »Diana« (1873), das Lustspiel »Ein Erfolg« (1874), das Schauspiel »Tante Therese« (1876), der Schwank »Der Zankapfel« (1875), die Schauspiele: »Johannistrieb« (1878) und »Gräfin Lea« (Berl. 1879), denen sich später noch die Schauspiele: »Verschämte Arbeit« (1881), »Jungbrunnen« (1882), »Mariannens Mutter« (1883), »Frau Susanne« (mit H. Lubliner, 1884) und »Galeotto« (frei nach dem Spanischen des José Echegaray, 1886), »Die beiden Leonoren« (1888), »Der Schatten« (1889), »Die Sonne« (1890), »Der Komödiant« (1892), »Der Andre« (1893), »Ungeratene Kinder« (1894), »Die Venus von Milo« (1895), »Die Erste« (1895), »Der Abend« (1896), »Der Herr im Hause« (1899), »Nacht und Morgen« (1901), »Lucians Satiren« (1901), »... so ich dir« (1903) anschlossen, Werke, die sich zum Teil durch pikanten Dialog und geschickte Technik auszeichnen. Gesammelt erschien ein Teil derselben als »Theater« (Berl. 1873 bis 1888, 5 Bde.). Außerdem schrieb L.: »Kleine Geschichten« (Leipz. 1871, 2 Bde.); »Gesammelte Aufsätze. Beiträge zur Literaturgeschichte der Gegenwart« (Berl. 1875, 2. Aufl. 1880); »Vergnügungsreisen« (Stuttg. 1875); »Dramaturgische Blätter« (das. 1875, 2 Bde.; 2. Aufl. 1877; neue Folge, Bresl. 1878, 2 Bde.); »Die kranke Köchin. Die Liebe im Dativ. Zwei ernsthafte Geschichten« (Stuttg. 1877); »Nüchterne Briefe aus Bayreuth« (Bresl. 1876, 9. Aufl. 1879); »Überflüssige Briefe an eine Freundin«, Feuilletons (das. 1877, 3. Aufl. 1878); »Wie ein Lustspiel entsteht und vergeht« (Berl. 1877); »Aus dem literarischen Frankreich« (Bresl. 1882);[564] »Bayreuther Briefe vom reinen Toren« (das. 1882, 5. Aufl. 1883); »Herr und Frau Bewer«, Novelle (das. 1882, 10. Aufl. 1899); »Toggenburg und andre Geschichten« (das. 1883); die Erzählung »Mayo« (das. 1884); »Aus der Hauptstadt. Briefe an die Kölnische Zeitung« (Leipz. 1884). Eine besondere Liebhaberei und Gewandtheit bekundete L. in der Darstellung merkwürdiger Gerichtsverhandlungen, deren er mehrere veröffentlichte: »Interessante Fälle« (Gräf etc., Bresl. 1887), »Der Mörder der Frau Ziethen. Ziethen oder Wilhelm?« (das. 1892) u.a. Von einem Romanzyklus: »Berlin«, erschienen die Abteilungen: »Der Zug nach dem Westen« (Stuttg. 1886, 10. Aufl. 1903), »Arme Mädchen« (das. 1887, 9. Aufl. 1905) und »Spitzen« (das. 1888, 8. Aufl. 1904); außerdem: »Wunderliche Leute« (Bresl. 1888), »Im Fieber«, Novelle (das. 1890), der Roman: »Hängendes Moos« (das. 1892), »Vater Adrian und andere Geschichten« (Berl. 1893), »Die Gehilfin«, Berliner Roman (Bresl. 1894), »Die Brüder« (Dresd. 1895), »Der König von Sidon«, Erzählung (Bresl. 1898), »Vorspiele auf dem Theater. Dramaturgische Skizzen« (das. 1895); endlich die Reiseschilderungen: »Aus der Neuen Welt« (Berl. 1884) und »Altes und Neues aus der Neuen Welt« (das. 1893, 2 Bde.); »Aus dem Orient« (Bresl. 1890); »Ferien im Morgenlande« (Berl. 1899), »An der Westküste Kleinasiens« (das. 1900) u.a. Auch als Übersetzer und Bearbeiter französischer Theaterstücke war L. tätig. Vgl. »Paul L., eine Charakteristik« (Berl. 1875); Hadlich, Paul L. als dramatischer Dichter (2. Aufl., das. 1876).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 563-565.
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