Ghika

[819] Ghika, ein aus Köprili in Mazedonien stammendes Fürstengeschlecht, aus dem seit dem 17. Jahrh. viele Hospodare der Moldau und Walachei hervorgingen. Der Stifter des Geschlechts, Georg G., wurde 1658 durch den türkischen Großwesir Mehemed Köprili als Hospodar der Moldau und 1660 der Walachei eingesetzt. Ihm folgten als Hospodar der Walachei sein Sohn Gregor 1661–65 und 1672–75 und diesem sein Sohn Matthias, dessen beide Söhne, die Fürsten Alexander und Gregor II. (1727–52 Hospodar bald der Moldau, bald der Walachei), die Stifter zweier Linien des Hauses G. wurden. Vgl. Dora d'Istria, Gli Albanesi in Rumenia, storia dei principi G. (Flor. 1873). Sonst sind zu nennen:

1) Gregor III., zuerst Dragoman bei der Pforte, wurde 1768 während des türkisch-russischen Krieges Hospodar der Walachei, wo er den Protestanten Religionsfreiheit gewährte, und erpreßte große Reichtümer. Wiewohl er Rußland, das ihn gestützt hatte, an die Türken verriet, ließ ihn die Kaiserin Katharina II. in dem Frieden von 1774 doch als Hospodar der Moldau bestätigen. Weil er sich aber der Abtretung der Bukowina an Österreich widersetzte, ward er 1777 auf Befehl der Pforte erdrosselt.

2) Gregor Alexander, geb. 25. Aug. 1807 in Botoschani, gest. 26. Aug. 1857 auf seinem Landsitz in Meudon bei Paris, Großneffe des vorigen, wurde in Deutschland und Frankreich freisinnig erzogen, gehörte nach seiner Heimkehr zur Opposition gegen den russisch gesinnten Hospodar Sturdza und ward, nachdem dieser infolge der Ereignisse von 1848 abgetreten war, 16. Juni 1849 Hospodar der Moldau. Er legte Schulen an, baute Straßen und ordnete die Verwaltung, die 1853 durch das Einrücken der Russen unterbrochen ward. Nach der Besetzung der Donaufürstentümer durch die Österreicher übernahm er wieder die Regierung, bildete in Jassy ein freisinniges Ministerium und schritt energisch zu neuen Reformen. Weil er jedoch auf die Vereinigung der beiden Fürstentümer ausging, ward er nach Ablauf seiner Vollmachten durch Theodor Balsch ersetzt. Am 3. Juli 1856 begab er sich nach Paris, um dort für die Vereinigung der Fürstentümer zu wirken, tötete sich aber, als hier seine Verwaltung beschimpft wurde, durch einen Pistolenschuß. Er hinterließ drei Söhne, Konstantin, Johann und Alexander, von denen der letzte 27. Febr. 1902 zu Paris als rumänischer Gesandter bei der Pforte starb.

3) Alexander X., geb. 1. Mai 1795 aus der andern Linie, gest. im Januar 1862, war zuerst Statthalter der Kleinen Walachei und wurde 1828 Großspathar oder Oberbefehlshaber der Miliz, als die Russen in das Land rückten, um hier bis 1834 zu bleiben. Auf Empfehlung des Grafen Kisselew wurde er im März 1834 von der Pforte zum Hospodar der Walachei[819] ernannt. Er begann seine Verwaltung mit liberalen Maßregeln und bestrebte sich, in den Donaufürstentümern das Volksleben von dem türkischen Einfluß wie von der russischen Vormundschaft zu befreien; so gründete er Volksschulen und erleichterte die bäuerlichen Lasten sowie die Leibeigenschaft der Zigeuner. Gleichwohl konnte er die äußerste Linke nicht zufriedenstellen, sondern mußte 1837 gegen sie in Petersburg um Hilfe nachsuchen; man sagte sie ihm zwar zu, beschränkte jedoch die Unabhängigkeit der Walachei in Staats- und Verwaltungssachen. Die Unterdrückung einer revolutionären Bewegung der Liberalen (1840) sowie einer Verschwörung der von den Russen begünstigten Altbojaren führte Ghikas Sturz herbei. Rußland, dem Ghikas Energie gefährlich erschien, bewirkte, daß der Sultan im Oktober 1842 ihn ab- und den russischen Kandidaten Georg Bibesco an seine Stelle setzte. Er lebte hierauf mehrere Jahre in Oberitalien, bis 1853 in Wien, regierte nach dem Krimkrieg nochmals 1856–59 als Kaimakam (Statthalter) die Walachei und starb kinderlos in Italien. – Söhne seines Bruders Gregor IV., der 1821–28 Hospodar der Walachei war, sich um die Wohlfahrt des Landes und die Bildung einer Nationalliteratur verdient machte und 1844 starb, sind: Konstantin, geb. 1804, kam 1824 als Geisel nach Konstantinopel, wurde später Bau von Krajowa und unter dem Fürsten Stirbey Präsident des obersten Gerichtshofs, dann Minister des Innern und wirkte für die Vereinigung der beiden Fürstentümer Walachei und Moldau; Demetrius, geb. 1816, gest. 27. Febr. 1897 in Bukarest, trat in russische Dienste, bereiste fast ganz Europa, wurde unter Fürst Stirbey 1857 Polizeipräfekt von Bukarest, in den die Verfassung beratenden Diwan gewählt und trug, obgleich selbst Bewerber, 1859 zur Wahl Alexander Cusas bei. Unter Cusa (1862–66) war er erst Bürgermeister von Bukarest, dann Kultus- und Finanzminister sowie Minister des Innern, unter dem Fürsten Karl von Hohenzollern 5.- 8. Febr. 1870 Ministerpräsident. Am 9. Juni 1871,29. Nov. 1872 und 5. Juni 1875 wurde er von der Zweiten Kammer zum Präsidenten gewählt. Zuletzt war er Senatspräsident; in allen Stellungen eins der einflußreichsten Glieder der liberalen Partei gemäßigter Richtung. – Der älteste Bruder Alexanders X. und dessen Minister war Fürst Michael, dessen Tochter die Gräfin Dora d'Istria (s.d.) ist.

4) Joan, Neffe Alexanders X., geb. 1817 in Bukarest, gest. 4. Mai 1897 daselbst, studierte 1837–40 in Paris, schloß sich nach seiner Heimkehr der nationalen Opposition an, war 1843 Professor der Mathematik und der Staatswirtschaft zu Jassy und beteiligte sich an der Gründung der Zeitschrift »Progrès«, die jedoch bald durch den regierenden Fürsten Sturdza suspendiert wurde. 1845 kehrte er nach Bukarest zurück, ward einer der einflußreichsten Führer der nationalen Partei und nahm teil an dem Komitee, das 1848 die Revolution organisierte und den unter russischem Einfluß stehenden Fürsten Bibesco stürzte. Die darauf folgende provisorische Regierung schickte ihn als Geschäftsträger nach Konstantinopel. Hier erwarb er sich, besonders durch den Einfluß des englischen Botschafters Lord Stratford de Redcliffe, die Gunst der türkischen Regierung in dem Grade, daß er zum Gouverneur und 1856 zum Fürsten von Samos und Muschir ernannt wurde. Nach dem Regierungsantritt Cusas kehrte er in sein Vaterland zurück. Vom 28. Juli 1866 bis 5. März 1867 war er unter dem Fürsten Karl von Hohenzollern Ministerpräsident. Danach trat er in die Reihen der Opposition zurück und beteiligte sich an der republikanischen Erhebung im August 1870. Im Dezember 1870 erzwang er die Entlassung des Ministeriums und übernahm 29. Dez. selbst die Bildung eines neuen Ministeriums. Als sich aber bei der Störung des deutschen Friedensfestes in Bukarest 22. März 1871 zeigte, daß G. selbst die Ausschreitungen begünstigte und damit weitere Pläne zur Abdankung des Fürsten Karl verband, mußte G. 23. März seine Entlassung nehmen. Seit 1876 Vizepräsident des Senats, versöhnte er sich mit der Politik der Regierung und war 1881–1889 Gesandter in London.

5) Helene, Schriftstellerin, s. Dora d'Istria.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 819-820.
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