Recht

[661] Recht (lat. Jus), im objektiven Sinne der Inbegriff von Regeln, welche die menschlichen Lebensverhältnisse in erzwingbarer Weise normieren; im subjektiven Sinne die einer Person (Rechtssubjekt) in einem gewissen Kreis eingeräumte und durch das objektive R. geschützte, erzwingbare Macht. Das R. im objektiven Sinn enthält die Grundsätze, nach denen der Mensch sein Verhalten einrichten muß, indem es auf der einen Seite Verbindlichkeiten, auf der andern Befugnisse (Rechte im subjektiven Sinne) begründet. Befugnis und die ihr entsprechende Verpflichtung bilden zusammen ein Rechtsverhältnis. Die ein solches normierende Regel wird Rechtssatz (Rechtsnorm), eine Anzahl zusammengehöriger Rechtssätze Rechtsinstitut genannt, wie z. B. die auf die Ehe, auf die Vormundschaft, auf die testamentarische Erbfolge bezüglichen Bestimmungen. Das gesamte R. im objektiven Sinne besteht hiernach aus einer Summe von Rechtssätzen, deren wissenschaftliche Darstellung den Gegenstand der Rechtswissenschaft (s. d.) bildet. In der Erzwingbarkeit dieser Satzungen liegt der Unterschied von R. und Moral. Sein gesamtes Wollen und Handeln hat nämlich der Mensch zunächst nach dem Sittengesetz zu bestimmen. Allein, was der einzelne für sittlich erlaubt und unerlaubt hält, ist Sache seiner subjektiven Überzeugung. Darum erheischt ein geordnetes Zusammenleben der Menschen noch ein strengeres, äußerlich erkennbares und erzwingbares Gebot, dem sich der Einzelne fügen muß, denn nur so wird die Gesamtheit vor dem irrenden oder dem unsittlichen Wesen Einzelner sichergestellt. Hierin liegt auch zugleich der Unterschied zwischen dem positiven R. und dem sogen. Naturrecht (Vernunftrecht), d. h. den durch Nachdenken als der Rechtsidee entsprechend gefundenen Sätzen, die als »philosophisches[661] R.« lediglich wissenschaftliche Autorität beanspruchen können: alles wahre R. ist positives R. Es liegt aber in der Natur des Rechtes, daß vor Entstehung des Staates von einem eigentlichen R. nicht die Rede sein konnte. Denn erst mit der Gründung des Staates ist in der Staatsgewalt eine Macht gegeben, die allgemein verbindliche Normen nicht nur aufstellen, sondern auch erzwingen kann. So ist denn der Rechtsschutz eine Hauptaufgabe des Staates. Sie wird durch die gesetzgeberische (s. Gesetz) und durch die richterliche Tätigkeit des Staates wahrgenommen (s. Gericht). Das Gesetz ist jedoch nicht die ausschließliche Quelle der Entstehung des Rechtes (Rechtsquelle). Auch das Gewohnheitsrecht (s. d., Jus non scriptum) ist wahres R., ungeschriebenes R. im Gegensatz zu dem geschriebenen Gesetzesrecht (Jus scriptum). Unrichtig ist es dagegen, ein sogen. R. der Wissenschaft oder ein durch den Gerichtsgebrauch entstandenes R. (Juristenrecht im Gegensatz zu Volksrecht, s. d.) anzunehmen; denn weder die Wissenschaft noch die Praxis der Gerichte ist dazu berufen, neues R. zu schaffen. Aber beide können durch Festhalten an ihrer Auffassung Anstoß zur Entstehung von Gewohnheitsrecht geben. Das R. im objektiven Sinne teilt man ein in das bürgerliche R. (früher Privatrecht [jus privatum]), das sich auf die Lebensverhältnisse der einzelnen untereinander, und das öffentliche R. (Jus publicum), das sich auf die Stellung des einzelnen zur Gesamtheit des Staates bezieht. Durch den Verkehr der Staaten untereinander ist noch eine dritte Gattung des Rechtes, das Völkerrecht (s. d.), hinzugekommen, das die Beziehungen der Völkerschaften zu- und untereinander normiert. Das bürgerliche R. normiert die persönlichen (Personenrecht) und dann die Vermögensverhältnisse (Vermögensrecht) der Menschen. Das Personenrecht wiederum stellt teils die Rechte der Person als solcher (Personenrecht im engern Sinne), teils die Rechte, die der Person als Glied der Familie (Familienrecht) zukommen, dar; das Familienrecht wird wiederum in Ehe-, Verwandtschafts- und Vormundschaftsrecht eingeteilt. Das Vermögen einer Person besteht teils in der ganzen oder teilweisen Herrschaft über Sachen, teils in dem R. auf Handlungen und Leistungen andrer Personen, und damit hängt die Einteilung des Vermögensrechts in Sachenrecht und R. der Schuldverhältnisse oder Obligationenrecht zusammen, von welch letzterm das Handels- und Wechselrecht einen besonders wichtigen Bestandteil bildet. Da die Vermögensrechte regelmäßig mit dem Tode des Berechtigten ihr Ende nicht erreichen, so kommt noch das Erbrecht hinzu, welches das Schicksal des Vermögens einer Person nach deren Tode bestimmt. Das öffentliche R. zerfällt in das Staatsrecht (öffentliches R. im engern Sinne, Verfassung s- und Verwaltungsrecht), Kirchenrecht, Strafrecht und Straf- und Zivilprozeßrecht. Entsprechend der Einteilung des Rechtes im objektiven Sinn in öffentliches R. und bürgerliches R., lassen sich auch die subjektiven Rechte, die durch jenes begründet werden, in öffentliche Rechte und bürgerliche Rechte klassifizieren. Letztere sind der Zahl nach die bedeutendsten, während jene, die sogen. politischen Rechte, dieselben an Wichtigkeit überragen. Endlich ist das R. in Reichs- und Landesrecht einzuteilen, je nachdem es für das ganze Deutsche Reich auf Grund eines Reichsgesetzes oder nur für einen bestimmten deutschen Bundesstaat auf Grund eines Landesgesetzes gilt. Literatur s. bei den Artikeln »Bürgerliches Gesetzbuch, Handelsrecht, Kirchenrecht, Strafrecht, Straf- und Zivilprozeßrecht und Völkerrecht«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 661-662.
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